Klinische Folgen drei Jahre nach einer Erkrankung an COVID-19

Neue, große Studie: Auch 3 Jahre nach einer COVID-19-Erkrankung treten neue Folgeerkrankungen auf. Das Sterberisiko ist nach schweren Verläufen anhaltend erhöht.

Klinische Folgen drei Jahre nach einer Erkrankung an COVID-19

Die wichtigsten Punkte auf einen Blick

  • In einer großen Studie zu 2020 an COVID-19 erkrankten US-Veteranen war nach einem schweren Verlauf der Infektion das Sterberisiko selbst im dritten Jahr nach der Infektion deutlich erhöht.
  • Bei den leichter erkrankten Veteranen war das Sterberisiko im ersten Jahr erhöht, stieg im weiteren Verlauf nicht weiter an, normalisierte sich aber auch nicht.
  • Selbst im dritten Jahr nach der Infektion traten gehäuft neue Folgeerkrankungen auf, vor allem bei den Personen nach schwererem Verlauf.
  • Akute Infektionen wie COVID-19 können eben langfristige Auswirkungen haben.

Vor wenigen Tagen erschien in Nature Medicine eine Studie, in der erstmals die Folgesymptome und -krankheiten von COVID-19 über einen Zeitraum von drei Jahren nach der Infektion bei einer großen Zahl an Betroffenen erhoben wurde. Autoren sind unter anderem Ziad Al-Aly von der Washington University in St.Louis, Missouri, der bereits zahlreiche wichtige Arbeiten zu diesem Thema publiziert hat, und Eric Topol, einer der am meisten zitierten medizinischen Wissenschaftler überhaupt, der aufgrund seiner Präsenz in sozialen Medien und Podcasts weit über das Fachpublikum hinaus Bekanntheit erlangt hat.

Three-year outcomes of post-acute sequelae of COVID-19 - Nature Medicine
Analyses from the US Department of Veterans Affairs databases reported residual elevated risk and health burden of long COVID at 3 years in hospitalized individuals after SARS-CoV-2 infection.

Einleitend ein paar Begriffsbestimmungen: "Post-akute Folgen von COVID-19" (post-acute sequelae of COVID-19, PASC) ist ein in der Wissenschaft verwendeter Sammelbegriff für alle Folgesymptome und -erkrankungen der Infektion mit SARS-CoV-2. Im Wesentlichen ist er synonym mit dem weniger sperrigen, aber auch unpräzisen "Long Covid".

PASC / Long Covid umfasst eine sehr heterogene Mischung an verschiedenen Krankheitsgruppen. Man könnte PASC grob in drei Gruppen unterteilen:

  1. Die nach einem oft milden Verlauf von COVID-19 auftretenden Symptome, die in die Richtung des Chronic Fatigue Syndroms gehen oder sogar dem Vollbild von ME/CFS entsprechen. In meiner Vorstellung handelt es sich dabei um das eigentliche Long Covid.
  2. Anhaltende Symptome durch die Gewebsschädigung nach einem meist schwereren Verlauf von COVID-19.
  3. Die Verschlechterung einer vorbestehenden Krankheit oder das neue Auftreten einer Folgekrankheit.

Die Unterteilung ist wie gesagt grob. Die drei Gruppen lassen sich im Einzelfall nicht immer klar trennen. Aber die Unterteilung ist trotzdem sinnvoll, weil sich die drei Gruppen in Diagnostik und in der Therapie teilweise maßgeblich unterscheiden. Wichtig ist aber vor allem, dass wir im Grunde sehr unterschiedliche Dinge meinen, wenn wir von PASC oder Long Covid sprechen.


Folgen von COVID-19 drei Jahre nach der Infektion

Nun zur Studie: Sie von wurde anhand der Daten von US-Veteranen erstellt. Dies bietet sich aufgrund der sehr detaillierten Dokumentation von Gesundheitsdaten an, hat aber auch klare Nachteile. Der wichtigste: Die Veteranen sind nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung. In dieser Studie sind rund 90% der Veteranen männlich, das Durchschnittsalter ist mit über 60 Jahren deutlich über dem der US-Gesamtbevölkerung. Sie hatten somit im Vergleich zur Normalbevölkerung von vornherein ein höheres Risiko für schwere Verläufe und somit auch für PASC.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Infektionen passierten alle 2020. Es handelt sich schließlich um Dreijahresdaten. Das heißt aber auch, dass sie allesamt vor den ersten COVID-Impfungen und vor der Verfügbarkeit von wirkungsvollen Medikamenten wie Paxlovid® auftraten und vor Delta und erst recht Omikron.

Die Autor*innen erhoben die Daten von 135.161 Personen, die 2020 an COVID-19 erkrankten. 20.297 von ihnen mussten wegen COVID-19 stationär behandelt werden, die restlichen 114.864 waren nicht hospitalisiert worden. Vergleichen wurden sie mit einer Kontrollgruppe von 5.206.835 Veteranen ohne COVID-19.

Erhoben wurde über die drei Jahre die Zahl der Todesfälle. Weiters stellte das Autorenteam eine Liste von insgesamt 80 mit PASC assoziierten Symptomen und Krankheiten zusammen und erhoben, wie oft diese auftraten. Daraus errechneten sie schließlich die DALY (disability-adjusted life years), ein Maß für die durch eine Krankheit verlorenen gesunden Lebensjahre.


Übersterblichkeit

Im ersten Jahr nach der Infektion hatten die nicht-hospitalisierten Personen im Vergleich zur nicht infizierten Kontrollgruppe ein um 58% erhöhtes Risiko zu versterben. Bei den hospitalisierten Personen war das Risiko im ersten Jahr fast viermal so hoch und blieb auch weiterhin erhöht. Auch im dritten Jahr nach der Infektion hatten sie noch ein um 29% erhöhtes Sterberisiko. Die nicht-hospitalisierten Veteranen hatten im zweiten und dritten Jahr kein erhöhtes Sterberisiko mehr, dieses ging aber auch nicht zurück, wie man es erwartet hätte, wenn durch COVID-19 großteils Menschen gestorben wären, die "sowieso nicht mehr lange zu leben gehabt" hätten. Diese Behauptung von vielen Maßnahmengegnern und Coronaleugnern ist nicht nur ethisch bedenklich, sondern auch faktisch falsch.

Die bereinigten kumulativen Übersterblichkeit pro 1.000 Personen in den nicht hospitalisierten COVID-19-Gruppen (blau) und den hospitalisierten COVID-19-Gruppen (rot) im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne Infektion.

Folgekrankheiten

Das neue Auftreten von 80 Symptomen und Krankheiten wurde über die drei Jahre erhoben. Durchgehend war das Risiko nach einem schweren Verlauf höher als nach einem milderen Verlauf. Aber auch bei den nicht-hospitalisierten Personen war bei fast allen 80 Folgekrankheiten das Risiko des Auftretens erhöht. In der unteren Grafik sind die Folgekrankheiten nach Organgruppen zusammengefasst. Die linke Spalte zeigt das relative Risiko nach 1, 2 und 3 Jahren. Bei den nicht-Hospitalisierten ist das Risiko im ersten Jahr bei den Atemwegserkrankungen beispielsweise 1,8mal höher als in der Kontrollgruppe ohne Infektion, im dritten Jahr noch immer 1,2mal. Bei den Hospitalisierten ist das Risiko im ersten Jahr gar um das 5fache erhöht, im dritten Jahr noch immer um das 1,6fache. Wohlgemerkt: Es handelt sich dabei nicht um die Gesamtzahl der Betroffenen, sondern um die jährlich neu aufgetretenen Erkrankungen, selbst drei Jahre nach der Infektion.

Die mittlere Spalte der Abbildung zeigt die absolute Zahl der pro Jahr neu Erkrankten pro 1000 Personen. In der rechten Spalte werden die DALY (disability-adjusted life years) als ein Maß für den Verlust an gesunden Lebensjahren gezeigt.

Kumulativ hatten die schwer an COVID-19 erkrankten Personen nach drei Jahren 766 gesunde Lebensjahre pro 1000 Personen verloren, aber auch die milder erkrankten verloren 91 gesunde Lebensjahre pro 1000 Personen.


Ich finde das Ergebnis der Studie bei allen eingangs erwähnten Einschränkungen bemerkenswert. Auch drei Jahre nach COVID-19 besteht ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Folgekrankheiten. Das auch nach drei Jahren deutlich erhöhte Sterberisiko und die auch im dritten Jahr noch neu auftretenden Folgekrankheiten nach einem schweren Verlauf hätte ich in diesem Ausmaß nicht erwartet. Und selbst nach einem milden Verlauf, den die überwiegende Zahl der Betroffenen hat, ist das Risiko für Folgekrankheiten auch noch nach drei Jahren erhöht.

Die gute Nachricht kann in dieser Studie nicht nachgewiesen werden: Die Impfungen senken das Risiko für schwere Verläufe enorm und reduzieren auch die Wahrscheinlichkeit, an Long Covid zu erkranken. Siehe z.B. hier:

Die Impfung reduziert das Risiko an LongCovid zu erkranken. Auch bei Kindern.
Substack-Artikel vom 13.10.2023: Verschiedene Kategorien von Long Covid, wie gut die Impfungen vor Long Covid schützen und warum eine neue Studie zum Risiko bei Kindern auch für Erwachsene wichtig ist. Eine vor kurzem als Preprint erschienene Studie zu den SARS-CoV-2-Impfungen bei Kindern zeigt eine deutlich Reduktion des Risikos,