2 1⁄2 Bücher des Jahres 2025

Statt eines Jahresrückblicks gibt es zweieinhalb Buchempfehlungen.

2 1⁄2 Bücher des Jahres 2025
  • In "Airborne" erzählt Carl Zimmer die lange Geschichte, bis die Übertragung von Krankheiten über Aerosole endlich anerkannt worden ist.
  • In "The Big One" verarbeiten Michael Osterholm und Mark Olshaker anhand einer fiktiven Pandemie faktenreich die Erfahrungen der COVID-Pandemie, was gut war und was schlecht war.
  • Der Sammelband "Die verdrängte Pandemie" liefert eine vornehmlich linke Kritik am Pandemierevisionismus.

Im ausgehenden Jahr 2025 erschienen zwei populärwissenschaftliche Bücher, die mich sehr beeindruckt haben. Der Wissenschaftsjournalist Carl Zimmer schaute sich an, wie sich unser Wissen über die Übertragung von Krankheiten über die Luft entwickelt hat, und kam so zu einigen überraschenden Erkenntnissen über die Medizingeschichte. Der Infektionsepidemiologe Michael Osterholm und der Sachbuch- und Krimiautor Mark Olshaker schrieben ein Buch über eine neue Pandemie, anhand der sie erklären, wie die Arbeit der Virenjäger, die Entwicklung von Testverfahren, die Entscheidungsfindung für Eindämmungsmaßnahmen und die Impfstoffentwicklung funktionieren.

Und dann erschien natürlich noch „Die verdrängte Pandemie“ über den Pandemierevisionismus, herausgegeben von Frédéric Valin und Paul Schuberth, zu dem ich mit einem Kapitel beitragen durfte.


Airborne – von Carl Zimmer

Wir erinnern uns alle. In der Anfangszeit der COVID-Pandemie wurde von offiziellen Stellen bis hinauf zur WHO eine Übertragung v.a. über ausgehustete und ausgespuckte Schleimtröpfchen und an den Händen klebende Viren propagiert. „FACT: #COVID19 is NOT airborne“, verbreitete die WHO in einem offiziellen Tweet im März 2020 und blieb über ein Jahr lang stur auf diesem Standpunkt. Entsprechend versuchte man, durch Abstandregeln – der Babyelefant! - und Händewaschen die Infektionswege einzudämmen. Mit bekannterweise mäßigem Erfolg.

Dabei gab es schon sehr früh in der Pandemie gute Hinweise, dass die Übertragung nicht nur durch diese Schleimtröpfchen geschehen kann. Einer der ersten Hinweise kam für mich aus Österreich. In Ischgl kam es zu einem ersten Superspreaderevent. Es stellte sich bald heraus, dass ein infizierter Barkeeper in der Après-Ski-Bar Kitzloch eine Infektionskette in Gang setzte, die in mehreren Ländern zu den ersten großen Ausbrüchen führte. Bis zu 11.000 Krankheitsfälle ließen sich direkt oder indirekt auf das Kitzloch zurückführen. Der Barkeeper hatte sich dabei selbst nicht einmal krank gefühlt, hatte kaum gehustet und kaum genießt. Schwer vorstellbar, dass er trotzdem seine Schleimtröpfchen so weit verbreitete, dass halb Europa betroffen würde. Ischgl legte nahe, dass das Virus auch über die Luft selbst übertragen wird.

Stimmung im Kitzloch in Ischgl. Quelle: FAZ

Später wurde durch die Aufarbeitungen von Transmissionen bei Chorproben, in Flugzeugen und Autobussen, in Großraumbüros und nicht zuletzt in Spitälern die Evidenz für eine Ausbreitung über die Luft so erdrückend, dass schließlich auch die WHO die Verbreitung des Virus über die Luft anerkannte.

Doch wie konnte es zu dieser Fehleinschätzung und zum sturen Beharren auf diese überhaupt geschehen? Dem versuchte der mehrfach preisgekrönte Wissenschaftsjournalist Carl Zimmer in seinem Buch „Airborne“ auf den Grund zu gehen.

Airborne, Carl Zimmer
Air-Borne: The Hidden History of the Life We Breathe Order Now The fascinating, untold story of the air we breathe, the hidden life it…

Er nimmt uns auf eine Reise durch die Medizingeschichte, beginnend mit den Miasmen - den Ausdünstungen böser Luft, die bis ins späte 19. Jahrhundert als Hauptursache von Krankheiten gesehen wurden. Mit der Entwicklung der Keimtheorie – beginnend mit Louis Pasteur, vollendet durch Robert Koch – setzte sich die Vorstellung, dass nicht böse Dämpfe, sondern Krankheitserreger Infektionen verursachen. Die Übertragung von Krankheiten über die Luft geriet in den Hintergrund und blieb dort für eineinhalb Jahrhunderte.

Erst durch das Buch wurde mir klar, dass die Medizingeschichte beinahe auch anders verlaufen wäre. Schon Louis Pasteur höchstpersönlich war überzeugt, dass Keime in der Luft schweben können. Er gelang ihm auch der Nachweis von Bakterien in der Luft – selbst in der Luft von so entlegenen Gegenden wie den französischen Gletscherregionen. Der Nachweis der Übertragung von Krankheiten über die Luft gelang ihm aber nicht.

Dem kam der deutsche Mediziner Carl Flügge Ende des 19. Jahrhunderts sehr nahe. Er ließ Freiwillige den Mund mit einer Lösung mit dem für Gesunde meist harmlosen Bakterium Serratia marcescens spülen. Dann sollten sie sprechen, singen und husten. In der Folge kam es zum Wachstum der Bakterien in meterweit entfernten Petrischalen. Nicht nur das: Die Bakterien wuchsen auch in Petrischalen, die erst in den Raum gebracht wurden, nachdem die Freiwilligen diesen verlassen hatten. Wenn die Freiwilligen zweischichtige Masken trugen, blieb das Bakterienwachstum auf den Petrischalen aus. Der Nachweis von Krankheitsübertragungen gelang aber auch ihm nicht. Und so konnten sich Flügges Erkenntnisse nicht mehr durchsetzen. Zu sehr waren Handhygiene und Wasserqualität schon in den Mittelpunkt der Hygieniker gerückt.

Der Nachweis von Übertragungen über die Luft gelang schließlich dem Amerikaner Fred Meier. Allerdings nicht bei Menschen, sondern bei Pflanzen. Er wies nach, dass Pilzbefall von Weizen und anderen Kulturpflanzen über hunderte Kilometer voneinander entfernte Felder verbreitet werden kann. Er gründete damit die Aerobiologie, die die Landwirtschaft änderte. Die Medizin blieb davon aber unbeeindruckt. Als Meier erste Pläne für Forschungsprojekte bei Menschen hatte, verschwand sein Flugzeug auf einem Pazifikflug spurlos.

Die wissenschaftliche Kooperation hätte er mit dem Ehepaar William und Mildred Wells geplant gehabt. Sie kamen dem Nachweis von Übertragungen via Aerosolen näher als alle zuvor. In mühevollster Kleinarbeit wiesen sie in der Luft von Vorlesungsräumen schwebende Krankheitserreger nach – stundenlang, nachdem hustende Studierende den Raum bereits verlassen hatten. Später wäre ihnen der echte Durchbruch fast gelungen. Mildred wies nach, dass es in Schulen zu weniger grippalen Infekten kommt, wenn die Luft durch UV-Licht desinfiziert wird. William führte Luft von Krankenzimmern mit Tuberkulose-Kranken zu Meerschweinchen. Diese steckten sich an, womit er erstmals eine Ansteckung mit TBC über Aerosole bewies ("Aerial dissemination of pulmonary tuberculosis. A two-year study of contagion in a tuberculosis ward").

Blöderweise waren die beiden offenbar Personen, die es schafften, sich mit so ziemlich jedem Mitarbeiter und Förderer innerhalb kürzester Zeit zu zerstreiten. William Wells gelang es trotzdem irgendwie, die Harvard University Press von der Publikation seines Opus magnum zu überzeugen: Air-borne Contagion and Air Hygiene (als PDF via Google Books). Er lieferte oft konfusen, über weite Strecken schwer lesbaren Text, den selbst die Bemühungen mehrerer Editoren nicht retten konnten. So gerieten die bahnbrechenden Erkenntnisse rasch in Vergessenheit. Und mit ihnen Sätze wie:

„Sanitary principles which have proved so effective in purifying the water we drink and the food we eat have not been applied to the air we breath.“

Die historische Reise geht weiter zu Leuten wie Donald Milton, der ab den 1970er Jahren die medizinische Aerobiologie revolutionierte. Ihm gelang endlich der direkte Nachweis von Krankheitserregern in der ausgeatmeten Luft von infizierten Personen. Und er wies nach, dass in Büros mit höherem CO₂-Wert auch mehr Erreger in der Luft gefunden werden. Als er seine Erkenntnisse bei der CDC vorstellte, wurde ihm beschieden, dass man seine Forschung gefördert habe, um die Idee einer Übertragung via Aerosol aus der Welt zu schaffen, nicht für das genaue Gegenteil davon. Im Unterschied zu Forschern wie Flügge, dem Ehepaar Wells und vielen anderen erlebte er immerhin, wie sich seine Erkenntnisse dann doch durchsetzten. 2024, als die SARS-CoV-2-Pandemie das Denken nachhaltig geändert hatte, war er Mitglied eines Expertengremiums der WHO, das endlich zur offiziellen Anerkennung der Übertragung über die Luft führte ("Global technical consultation report on proposed terminology for pathogens that transmit through the air").

"Airborne" ist eine faszinierende Reise durch zwei Jahrhunderte, in denen die medizinische Forschung immer wieder knapp daran war, Aerosole anzuerkennen, und dann doch scheiterte. Bis die größte Pandemie der letzten 100 Jahre uns doch zu einem Umdenken zwang.


The Big One – von Michael Osterholm und Mark Olshaker

Der Ausgangspunkt von „The Big One“ ist eindeutig eine Aufarbeitung der COVID-19-Pandemie. Allerdings schreiben sie nicht einfach über die letzten sechs Jahre, sondern erweitern die Perspektive mit einem Kniff. Ein neues Coronavirus führt zu einer fiktiven Pandemie. Ein Virus, das in vielem SARS-CoV-2 ähnelt, allerdings zu einer noch deutlich höheren Sterberate führt. The Big One eben.

The Big One
A 2025 Booklist Editors’ Choice Pick As bad as Covid-19 was, the next pandemic could be worse—but we have the tools to prepare, as revealed in this urgen…

Quelle https://www.hachettebookgroup.com/titles/michael-t-osterholm-phd-mph/the-big-one/9780316258340/

Ausgehend von dem fiktiven Szenario erklärt der Infektionsepidemiologe Osterholm gemeinsam mit seinem Co-Autor in Kapitel für Kapitel, wie die Arbeit der Mediziner*innen und Wissenschaftler*innen vor Ort ausschaut und man erfährt einiges über die Abläufe hinter den Kulissen. Diese kann er aus erster Hand liefern – immerhin war er einer der epidemiologischen Berater von gleich fünf US-Präsidenten, von George Bush sen. bis zu Joe Biden. Garniert ist das Ganze mit einem unglaublichen Reichtum an Erfahrungsberichten und Fakten. Vorgetragen wird das alles in einem Erzählton, der sich nie in trockener Wissenschaft verliert, sondern immer den Menschen in den Mittelpunkt setzt. Die Autoren verbinden wissenschaftliche Präzision mit einer verständlichen Erzählweise. Der Ton ist eindringlich, aber klar und schafft ein Gleichgewicht zwischen Sorge und Empowerment. Hörer des Podcasts Osterholm Update wissen, was ich meine.

So führt uns das Buch von den ersten Krankheitsfällen und der raschen Entwicklung von Testverfahren zu den Impfungen. Es führt uns von politisch-gesellschaftlichen Problemen, die sich mit einer Pandemie auftun, bis zu Fallstricken in der öffentlichen Kommunikation. Die Themenbreite und Faktendichte sind so groß, dass es müßig wäre, hier im Einzelnen darauf einzugehen.

Während all die Kommissionen und Enquetes durch politische Polemik an einer Aufarbeitung der COVID-Pandemie zwangsläufig scheitern, bietet dieses Buch genau das. Eine Bestandsaufnahme dessen, was gut und was schlecht war und was bei The Big One anders laufen sollte.


Die verdrängte Pandemie

Ja, 2025 erschien auch ein Buch, an dem ich ein wenig mitarbeiten durfte. „Die verdrängte Pandemie“ wurde von Frédéric Valin (@freval auf Mastodon) und Paul Schuberth (@paulschuberth auf Bsky) herausgegeben. Ich war von ihnen eingeladen worden, eine medizinische Einführung über die Pandemie und ihre - medizinischen - Folgen zu schreiben. In diesem Blog habe ich das Buch schon kurz vorgestellt, als es gerade in Druck ging:

Die verdrängte Pandemie
Ein neu erschienenes Buch gegen den Pandemierevisionismus. Ich durfte ein Kapitel schreiben.

Das Buch ist in weiten Teilen eine vornehmlich linke Kritik an der Verdrängung der Pandemie und ihrer Folgen. Es wird noch einmal aufgerollt, wie Maßnahmen weniger nach ihrer zu erwartenden Wirksamkeit als nach ihrer wirtschaftlichen Verträglichkeit gewählt wurden. Es geht um den Umgang mit den Vulnerablen, mit den Alten und mit den Kranken. Letztlich geht es um das Aufwiegen der menschlichen Würde und des Lebens mit wirtschaftlichen Überlegungen. Wie viel ist ein Leben wert? Was darf es kosten? Es geht nicht so sehr um die Querdenker und Coronaleugner, sondern um sozialdarwinistische Tendenzen, die tief in den gesellschaftlichen Mainstream eingedrungen sind.

In einer Rezension in der TAZ ("Das Leben hat einen Wert an sich") schreibt Benjamin Moldenhauer:

"Von heute aus betrachtet lässt sich sagen, dass während der Coronapandemie gesellschaftliche Kommunikation darüber erprobt wurde, wo die gesellschaftlichen Prioritäten liegen und wer im Zweifelsfall überflüssig ist. Entsprechende Ideen werden seither keineswegs nur am rechten Rand ventiliert, sondern kommen aus der Mitte."

Und:

"Jeder Aspekt der Pandemie und ihrer Verheerungen wird in „Die verdrängte Pandemie“ sozial und politisch aufgefasst. Unter ihren Bedingungen zeigt sich der Normalbetrieb wie unter einem Brennglas: Wer ist entbehrlich, was muss laufen, was muss pausieren? Was verstehen die Menschen unter Freiheit, was wird verteidigt, was wird hingenommen?"

Empfohlen sei auch die Rezension von René Martens in seinem mdr-Blog Altpapier:

Kolumne: Das Altpapier am 10. Oktober 2025 – Ein andauerndes Problem | MDR.DE
Dass Schulschließungen katastrophal gewesen seien, gehört zu den Gassenhauern des Pandemie-Nachbetrachtungsjournalismus.

Falls jemand Interesse an dem Buch hat, ist es als Taschenbuch beim Buchhandel des Vertrauens erhältlich. Oder noch besser: Man bestellt es direkt bei den Herausgebern:

Buchbestellung – 19,80 € + Versand (D) 20,40 € + Versand (Ö, CH)
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