Arterien altern nach COVID schneller
Zu den schon bekannten Folgen der Infektion für die Blutgefäße fügt eine neue Studie eine beschleunigte Steifigkeit der Arterien hinzu.

- 6 Monate nach der Infektion sind die Schlagadern steifer als bei einer Kontrollgruppe ohne Infektion.
- Diese beschleunigte Alterung besteht auch nach 12 Monaten, wobei es allerdings zu einer leichten Erholung kommt.
- Es besteht ein markanter Geschlechtsunterschied: Betroffen von der Gefäßalterung sind fast nur Frauen.
- Bei geimpften Personen ist die Gefäßalterung geringer ausgeprägt.
COVID-19 und die Blutgefäße
Dass COVID-19 keine rein respiratorische Krankheit ist, sollte sich längst überall herumgesprochen haben. Sie tritt zwar in erster Linie über die Atemwege in den Körper (und wird idealerweise vom Immunsystem gleich dort abgefangen, aber halt leider bei weitem nicht immer). Wenn es SARS-CoV-2 in den Körper schafft, kann es sich in zahlreiche Organe einnisten. Der ACE2-Rezeptor, den das Virus hijackt, um in Zellen einzudringen, kommt nämlich fast überall im Körper vor. Das ist einer der Unterschiede zu anderen Viren wie zum Beispiel den Influenzaviren.
Eine zentrale Rolle bei COVID-19 und einem großen Teil der Folgekrankheiten spielt das Endothel. Das ist die innerste Schicht der Blutgefäße, die nicht etwa nur eine Art Auskleidung von Röhren ist, sondern eine biochemisch äußerst aktive Zellschicht, die unter anderem bei der Immunabwehr, der Blutgerinnung und der Blutdruckregulation eine wichtige Rolle spielt. "COVID-19 is, in the end, an endothelial disease", war bereits im September 2020 der Titel einer Übersichtsarbeit im European Heart Journal. Was damals noch eine fast schon provokante Behauptung war, hat sich inzwischen als x-fach belegte Tatsache erwiesen. Bei COVID-19 kann das Endothel geschädigt werden, was wiederum einem nicht unwesentlichen Teil der akuten und längerfristigen Komplikationen bis zu Long Covid zugrunde liegt.
Später hat sich gezeigt, dass COVID-19 auch die Atherosklerose anheizt, die wesentlich an der Pathogenese von chronischen Gefäßerkrankungen bis zu Herzinfarkten und Schlaganfällen beteiligt ist.
Der Kardiologe und äußerst produktive Wissenschaftsautor Eric Topol hat unlängst eine so kurze wie klare Übersicht dazu in seinem Blog veröffentlicht:

Anlass für seinen Artikel war die Publikation einer neuen Studie, die eine beschleunigte Alterung der Schlagadern als Folge von COVID-19 beschrieb. Um diese Studie soll es in diesem Blogartikel gehen.
Beschleunigte Gefäßalterung nach einer COVID-19-Infektion
Hinweise auf beschleunigte Alterungsprozesse in den Arterien gab es schon in einigen kleineren Studien. Die nun im renommierten European Heart Journal publizierte Studie war aber deutlich größer und umfassender ("Accelerated vascular ageing after COVID-19 infection: the CARTESIAN study").
Insgesamt wurde bis Februar 2022 über 2000 Probanden aus 16 verschiedenen Ländern von UK über Brasilien und Australien bis Österreich inkludiert. Die Probanden wurden in vier Gruppen unterteilt: 828 hatten COVID-19 ohne Hospitalisierung gehabt, 729 waren wegen COVID-19 hospitalisiert worden, 146 waren intensivmedizinisch behandelt worden. Als Kontrollgruppe wurden 391 vergleichbare Personen ohne COVID-19 rekrutiert.
Als Maß für die Alterung der Arterien nahmen die Forscher*innen deren Steifigkeit. Unsere Arterien verlieren mit zunehmendem Alter an Elastizität, werden also steifer. Bei einer Reihe von Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes kann es zu einer beschleunigten Alterung der Gefäße kommen. Eine etablierte, nicht-invasive Methode zur Bestimmung der Gefäßsteifigkeit ist die Messung der Pulswellengeschwindigkeit (engl. pulse wave velocity, PWV). Dabei werden die Pulswellen in der Halsschlagader und in der Schlagader in der Leiste bestimmt. Anhand des Zeitintervalls zwischen den beiden Messpunkten wird die PWV berechnet. Ist die Gefäßwand relativ elastisch, ist die PWV langsamer; steifere Gefäße führen zu einer schnelleren PWV.
In der vorliegenden Studie wurde rund 6 Monate nach der COVID-Infektion die PWV bestimmt, bei rund der Hälfte der Probanden erfolgte nach 12 Monaten eine weitere Messung.
Die Ergebnisse nach 6 Monaten
Im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne COVID-19 war die PWV nach COVID-19 signifikant um rund 0,4 mm/s beschleunigt. In absoluten Zahlen waren es rund 7,9 mm/s im Vergleich zu 7,53 mm/s bei der Kontrollgruppe - ein durchaus beträchtlicher Unterschied.
Bei näherer Betrachtung waren zwei Dinge auffallend:
- Die Gefäßalterung wurde fast ausschließlich bei Frauen festgestellt. Bei den Männern gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen.
- In der Gesamtpopulation machte es überraschenderweise keinen Unterschied, wie schwer die Infektion gewesen war. Schaute man auch hier nur die Frauen an, war die Gefäßalterung nach einem Intensivaufenthalt etwas ausgeprägter.

In einer weiteren Analyse verglich die Forschungsgruppe die PWV abhängig von persistierenden Symptomen wie Fatigue, Atemnot und Muskelschmerzen. Frauen mit diesen Symptomen hatten auch Zeichen einer signifikanten Gefäßalterung. Bei Männern war hier kein Unterschied zu sehen (wäre auch überraschend gewesen, nachdem sie ja auch in der Gesamtanalyse keine Unterschiede aufwiesen).
Weiters verglichen sie den Unterschied abhängig vom Impfstatus. Hier schnitten die geimpften Frauen zwar nicht sehr ausgeprägt, aber doch statistisch signifikant besser ab.

Die Ergebnisse nach 12 Monaten
Bei ungefähr der Hälfte der Probanden schauten sich die Forscher*innen zusätzlich die Pulswellengeschwindigkeit zwölf Monate nach der Infektion an. Die Gefäßalterung war auch hier zu sehen. Im Vergleich zur Messung nach 6 Monaten war die PWV allerdings bei den Probanden mit einem leichten Verlauf kaum mehr angestiegen und bei jenen mit einem schwereren Verlauf sogar wieder etwas besser geworden, während sie bei der COVID-negativen Kontrollgruppe der normalen Alterung entsprechend etwas zugenommen hatte. Eine leichte Erholung war also zu sehen.

Hier gibt es die wichtigsten Daten der Studie übersichtlich zusammengefasst:

Die Ergebnisse im Kontext
Neben den schon breit nachgewiesenen Auswirkungen auf das Endothel der Blutgefäße und Störungen der Blutgerinnungen wurde nun also auch gezeigt, dass COVID-19 zu einer beschleunigten Gefäßalterung führen kann - zumindest bei Frauen.
Aus dem begleitenden Editorial ("COVID-19 and vascular ageing: an accelerated yet partially reversible clock?"):
"Die CARTESIAN-Studie liefert eine wichtige Botschaft für Kliniker, Forscher und Gesundheitspolitiker: Die vaskulären Folgen von COVID-19 sind real, messbar und mit einer plausiblen Wahrscheinlichkeit geschlechtsspezifischer Befunde verbunden".
Diese vaskulären Folgen könnten auch ein Teil der Long Covid-Erkrankungen erklären. In einer Aussendung der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie sagt die Leiterin der Studie, Rosa Maria Bruno von der Université Paris Cité:
„Seit Beginn der Pandemie haben wir gelernt, dass viele Menschen, die an Covid erkrankt sind, unter Symptomen leiden, die Monate oder sogar Jahre anhalten können. Wir sind jedoch noch dabei zu erforschen, welche Vorgänge im Körper zu diesen Symptomen führen. Wir wissen, dass Covid die Blutgefäße direkt beeinträchtigen kann. Wir glauben, dass dies zu einer sogenannten vorzeitigen Gefäßalterung führen kann, was bedeutet, dass die Blutgefäße älter sind als das chronologische Alter und man anfälliger für Herzerkrankungen ist.“
Auffällig ist natürlich, dass in dieser Studie Frauen viel stärker als Männer von der Gefäßalterung betroffen waren. Darüber, warum das so ist, können wir zum jetzigen Zeitpunkt nur spekulieren. Den im Paper als möglicher Grund angegebene Survivership Bias kann ich mir als relevanten Faktor eigentlich kaum vorstellen.
Plausibler scheint mir ein grundlegender Geschlechtsunterschied der Immunantwort auf Infekte. Nicht nur bei COVID-19 ist es so, dass das männliche Immunsystem die Erreger weniger effizient abwehrt - einer der Gründe für die höhere Mortalität bei Männern. Frauen haben dafür ein weit höheres Risiko für Autoimmunerkrankungen und sind auch deutlich häufiger und stärker von Long Covid betroffen.
Auf diesen Punkt geht auch die Studienleiterin Rosa Maria Bruno in der Presseaussendung ein:
„Einer der Gründe für den Unterschied zwischen Frauen und Männern könnte in den unterschiedlichen Funktionen des Immunsystems liegen. Frauen entwickeln eine schnellere und stärkere Immunantwort, die sie vor Infektionen schützen kann. Diese Reaktion kann jedoch auch die Schädigung der Blutgefäße nach der ersten Infektion verstärken."
Und Eric Topol schreibt in seinem eingangs erwähnten Blogartikel:
"Es ist möglich, dass bei Frauen nach einer Covid-Erkrankung eine höhere Neigung zu Endothelentzündungen besteht als bei Männern, was das Risiko für Steifheit, Fibrose und Merkmale einer frühen Gefäßalterung erhöht."
Ein wichtiger Punkt wurde dabei nicht angesprochen: Was für Auswirkungen haben wiederholte Infektionen auf die Alterung der Gefäße?
So oder so - bald sechs Jahre nach dem Beginn der Pandemie lernen wir noch immer Neues über die Folgen der Infektion. Wie können wir diese Folgen verhindern? Am besten, indem man sich nicht ansteckt. Wenn das nicht gelingt, hat man auch bei der beschleunigten Gefäßalterung gewisse Vorteile, wenn man geimpft ist.