Das ewige Thema, ob jemand wegen oder mit COVID-19 im Spital liegt.

Das ewige Thema, ob jemand wegen oder mit COVID-19 im Spital liegt.

Substack-Artikel vom 23.02.2023

Wir beginnen das vierte Jahr der Pandemie. In der Öffentlichkeit ist COVID-19 fast kein Thema mehr. Die letzten Maßnahmen werden in Österreich und anderswo zurückgenommen, sogar in den Spitälern. Kanzler Nehammer verkündete: "Wir waren expertenhörig, nun sollen Experten erklären, warum sie zu dieser Entscheidung gekommen sind." Und damit gab er indirekt jene Experten, die sich drei Jahre lang bemühten, das schlimmste von uns abzuhalten, dem Abschuss durch die Querdenker frei.

Aber auch wenn das Virus einiges von seinem Schrecken in der Akuterkrankung verloren hat (bei den Langzeitfolgen von LongCovid angefangen schaut das wohl etwas anders aus), ist es noch nicht ganz verschwunden. An den Abwasserdaten sieht man, dass seit Anfang Februar eine neue Welle anschwillt. Und auch an der Zahl der COVID-Hospitalisierungen erkennt man es.

Zahl der mit COVID-19 hospitalisierten Patientenin in Österreich seit Sommer 2021. Nach den großen Wellen Ende 2021 (Delta) und im Frühling 2022 (ursprüngliches Omikron) sowie den drei Subvarianten-Wellen im Sommer, Herbst und um den Jahreswechsel steigt die Zahl seit Anfang Februar neuerlich.

Diese Grafik postete ich auf Mastodon und fühlte mich prompt an alte Twitter Zeiten erinnert. Die Hospitalisierungen hätten nichts mit dem Virus zu tun sondern wären nur Zufall.

Deshalb habe ich einen alten Twitterthread ausgegraben, den ich hier leicht adaptiert wiedergebe. Geschrieben habe ich den Thread im Juli 2022. Inzwischen ist der Anteil der Patienten mit COVID-19 wohl tatsächlich zu jenen hin verschoben, bei denen es sich nicht um die primäre Diagnose handelt. Warum aber “mit versus wegen” die falsche Frage ist, hat sich nicht geändert.


Was ich damals geschrieben habe:

"Wegen oder mit #COVID19"? "Haupt- oder Nebendiagnose"? Ich bin darauf schon öfters eingegangen. Das wird mir jetzt wieder verstärkt in die Timeline gespült. Deshalb ein Thread darüber, was an der Fragestellung für Kliniker falsch ist, und warum es sich um Spin handelt.Experten wie Sprenger, Gartlehner &Co sagen inzw. nicht nur bei ServusTV, dass #COVID19 bei den meisten positiven im Spital nur eine Nebendiagnose wäre. Und auch verschiedene Gesundheitsbehörden - allen voran die Vorarlberger Landesspitäler - melden es. Also stimmt's?

Bei oberflächlicher Betrachtung, ja. An der #COVID19 Lungenentzündung, der "weißen Lunge", die unsere Intensivstationen bis inkl. Delta mit 50, 60, 70Jährigen gefüllt haben, erkrankt fast niemand mehr.

Jetzt sehen wir viel mehr Kranke im Spital, die mit dem Herzen Probleme haben, deren vorbestehende Niereninsuffizienz schlechter wird, oder ihre chronische Bronchitis. Da kann es dann sein, dass als "Hauptdiagnose" Herzinfarkt steht, COVID nur als Nebendiagnose.

Das liegt am System der Erfassung von Diagnosen, das für Statistiken geeignet ist, aber nicht für die klinische Arbeit. Und noch weniger die Kranken in ihrer Komplexität beschreibt. Wir sollten schließlich nicht Diagnosecodes behandeln, sondern Menschen.

Ich kann da Robert Zangerle alias @Unfertig, einer der wenigen österreichischen Infektionsepidemiologen mit klinischem Hintergrund, wieder und wieder zitieren, der das schon im Februar 2022 in der Seuchenkolumne perfekt beschrieben hat.

In der Statistik der Haupt- und Nebendiagnosen scheint die Frage einfach, in der klinischen Praxis ist die Unterscheidung nicht nur schwierig sondern falsch.

Und noch einmal @unfertig, dieses mal im Februar 2022 auf Twitter. Damals noch zur Frage, ob jemand an oder mit Covid gestorben sei.

Die Unterscheidung an vs. mit ist "eine systematische Relativierung, nicht zuletzt durch Behörden für öffentliche Gesundheit", die uns seit Beginn der Pandemie begleitet.

Und selbstverständlich ist es auch kein österreichisches oder deutschsprachiges Problem. Hier als Beispiel ein Thread des dänischen Infektiologen Kristian Andersen, der die dänischen Behörden kritisiert und die richtigen Fragen stellt. (Seinen Twitter Account hat er wie so viele andere COVID-Experten inzwischen gelöscht.)

Wir wissen längst, dass das Virus v.a. auch die kleinen Blutgefäße befällt, was wiederum direkt und indirekt in zahlreichen Organen zu Schäden führen kann. Vom Herzen über die Nieren bis zum Gehirn. Das kann zu LongCovid führen, aber auch zu akuten Problemen.

Soll keiner behaupten, das wären neue Erkenntnisse. Am Beispiel des Herzens: Diese Studie aus China beschrieb das bereits im März 2020.

Diese Studie zeigte bereits im Juni 2020, dass die hohe Rate an akuten Herzinfarkten bei an COVID19 Kranken ein Problem sind. Auf die Idee dies in “an vs mit COVID” zu unterteilen kam niemand. Es war einfach COVID.

Für uns Kliniker war das rasch klar. Und die Erkenntnisse der medizinischen Forschung unterstützten das bald. "COVID-19 can affect the heart" schrieb das Science Magazine im September 2020.

Ähnliches gäbe es zu Schlaganfällen, zu Nierenversagen und zu weiteren direkten Folgen von COVID19, die nur getrennt sieht, wer eine "systematische Relativierung" betreibt.

Ja, die Infizierten, die nach einem Unfall "mit COVID" im Spital liegen gibt es. Genauso wie jene, die eine Kolik durch Gallensteine erlitten. Aber es sind nicht 80% oder 90%.

Wieviele es tatsächlich sind, lässt sich nicht genau sagen, weil eben schon die Fragestellung falsch ist. Wer an COVID19 erkrankt, eine Verschlechterung der Herzinsuffizienz erleidet, woraus ein Lungenödem entsteht, hat keine Haupt- vs. Nebendiagnose.

Und darum, liebe "Grüne gegen Impfpflicht und 2G" gibt es keine Antwort auf eure Fragen. Weil eure Fragen falsch sind. Ernstgemeint.


Die Initiative “Grüne gegen Impfpflicht und 2G” gibt es übrigens immer noch. Sie widmet sich inzwischen der “Aufarbeitung der Corona-Zeit”.

Vieler Mitglieder der Initiative haben die Partei Grüne Österreich inzwischen verlassen oder wurden durch diese von etwaigen Ämtern entfernt.