Der Verlauf von Long Covid über 24 (bis 36) Monate bei Kindern
Die bisher längste klinische Studie zum Verlauf Verlauf von Long Covid bei Kindern und Jugendlichen über einen Zeitraum von bis 36 Monaten.
- In einer großen Studie aus Rom wurden Kinder und Jugendliche nach COVID-19 für bis zu 36 Monate auf Long Covid untersucht. Und zwar wirklich untersucht, nicht nur durch online-Fragebögen oder ähnliches abgefragt.
- Fast ein Drittel der drei Monaten nach der Infektion von Long Covid betroffenen Kinder hat über ein Jahr und länger anhaltende Einschränkungen.
- Mädchen, Kinder ab 12 und Kinder mit Vorerkrankungen haben ein erhöhtes Risiko.
- Impfungen reduzieren das Risiko für Long Covid. Ja, auch bei Kindern.
Erst vor wenigen Tagen erschien hier ein Blogbeitrag über Long Covid bei Kindern und Jugendlichen. Es ging um eine erste Charaktersierung der Symptome, die sich doch einiger maßen von denen bei Erwachsenen unterschieden können. Unter anderem tritt bei Kindern im Volksschulalter gehäuft eine Form von Long Covid auf, bei der es vor allem zu anhaltenden Beschwerden des Verdauungstrakts kommt. Mehr dazu im Blogartikel:
Ein weiteres Thema war auch die stark unterrepräsentierte Forschung zu Long Covid bei Kindern und Jugendlichen. Die im Blogartikel besprochene Publikation wurde als Ausnahme vorgestellt.
Nun, wie der Zufall so spielt, war am selben Tag ein weiterer großer Artikel zum Thema erschienen. Und zwar die bisher längste Follow-up-Studie zu Long Covid bei Kindern überhaupt. Die möchte ich hier kurz vorstellen.
Wie Long Covid bei Kindern über 24 (bis 36) Monate verläuft
Die wenigen bisherigen Studien über den Verlauf von Long Covid bei Kindern und Jugendlichen gingen meist über einen Zeitraum von maximal 1 Jahr und die Daten wurden über Online-Fragebögen oder anhand von elektronischen Gesundheitsakten bzw. Diagnosetools erhoben.
Eine Arbeitsgruppe einer Post-Covid-Betreuungsstelle in Rom wählte einen anderen Ansatz. Darauf spezialisierte Mediziner:innen untersuchten Kinder und Jugendliche bis maximal 18 Jahre, die nach einer Erkrankung an COVID-19 von der Notfallaufnahme des Spitals oder von niedergelassenen Kinderärzten zugewiesen wurden. Nicht nur mit einem Fragebogen, sondern mit einer echte klinische Untersuchung durch Spezialisten. Diese Untersuchungen wurden - je nach Zeit der Aufnahme in die Studie - nach 3, 6, 9, 12, 18, 24 und maximal 36 Monaten wiederholt. Die Ergebnisse veröffentlichte die Arbeitsgruppe nun in einem Artikel im Lancet-Verlag.
Insgesamt war es die erkleckliche Zahl von 1315 Kindern und Jugendlichen, die 3 Monate nach der Infektion erstmals untersucht wurden. Die Mehrheit von ihnen hatte sich in der ersten Omikron-Welle angesteckt und konnten über einen Zeitraum von mindestens 18 Monaten bis zum Ende der Studie begleitet werden. Bei 812 Kindern konnten die Untersuchungen nach 24 Monaten erhoben werden. Nur 71 hatten sich so früh angesteckt, dass im Rahmen der Studie auch noch eine Untersuchung nach 36 Monaten erfolgen konnte.
Das mittlere Alter bei Einschluss in die Studie lag bei knapp 8 Jahren, die jüngsten Kinder waren 4 Jahre alt. Über 95% hatten einen leichten oder asymptomatischen Verlauf der Infektion gehabt, 2,2% einen moderaten und 2 Kindern (= 0,2%) einen schweren Verlauf. Die Mehrheit Infektionen (71%) waren auf die Omikron-Variante zurückzuführen. 79,6 % der Kinder waren zum Zeitpunkt der Infektion ungeimpft gewesen. 6,2 %, 12,6 % (166) bzw. 5,2 % hatten eine, zwei bzw. drei Impfdosen erhalten.
Symptome im Verlauf
In der Folgeuntersuchung nach 3 Monaten hatten fast ein Viertel der Kinder und Jugendlichen anhaltende oder neu aufgetretene Symptome mit negativen Auswirkungen auf die täglichen Aktivitäten, die die Kriterien für Long Covid erfüllten. Nach 6 Monaten hatten immer noch 13,2% Long Covid. Nach 12 Monaten waren es noch 7,9%. In weiterer Folge blieb dieser Anteil mehr oder weniger konstant (6,1% nach 18 Monaten, 7,1% nach 24 Monaten). Die Zahl der Kinder, die bereits mindestens 36 Monate vor dem Studienende an COVID-19 erkrankt waren, war so klein, dass die Zahl nicht mehr wirklich vergleichbar war. Von diesen 47 Kindern litten 11 auch nach 36 Monaten an anhaltenden Symptomen. Wie gesagt: Die geringe Zahl dieser Kinder ist alles andere als repräsentativ. Aber dass fast ein Viertel dieser Kinder auch nach 3 Jahren krank war, ist erschreckend.
Die am häufigsten berichteten anhaltenden Symptome bei der ersten Untersuchung drei Monate nach der Infektion waren Fatigue (13,1 %), Belastungsdyspnoe (6,3 %), Kopfschmerzen (5,9 %) und Symptome des Verdauungstraktes (4,9 %). Die ersten drei Symptome blieben auch im weiteren Verlauf im Vordergrund. Nur die Verdauungsprobleme besserten sich mit der Zeit doch deutlich.
Was erhöht das Risiko für Long Covid bei Kindern und Jugendlichen?
Schließlich wurden Risikofaktoren für Long Covid herausgearbeitet. Das Ergebnisse bestätigte im Wesentlichen die Ergebnisse früherer Studien. Folgende Faktoren sind mit einem höheren Risiko für Long Covid assoziiert:
- Alter ab 12 Jahren (im Vergleich zu den jüngeren Kindern)
- Vorerkrankungen
- weibliches Geschlecht
- Ansteckung mit einer früheren Variante. (Dies dürfte nicht an den Varianten an sich liegen, sondern daran, dass mehr Menschen bereits Kontakt mit dem Virus gehabt hatten. Mehr dazu hier: Über das Risiko einer Erkrankung an Long Covid)
- Bei den Impfungen zeigte sich lediglich eine Tendenz zu einem höheren Risiko für Ungeimpfte. Allerdings waren ja nur sehr wenige der Kinder und Jugendlichen in dieser Studie vor der Infektion bereits geimpft, sodass ein klares statistisches Ergebnis kaum zu erwarten war.
Einordnung der Ergebnisse
Während die meisten vergleichbaren Studien einen Beobachtungszeitraum von maximal einem Jahr - oft sogar noch kürzer hatten, sind es hier bei den meisten der Kinder zwei, bei manchen sogar drei Jahre. Und die Verlaufskontrollen erfolgten durch eine echte Erhebung der Symptome in einem ärztlichen Gespräch statt nur via Fragebogen.
Wichtiger Punkt zur richtigen Einordnung der Ergebnisse: Die Auswahl der Kinder und Jugendlichen für diese Studie war nicht repräsentativ. Die meisten wurden gezielt einer Long Covid-Ambulanz zugewiesen. Die bereits in Social Media gelesene Interpretation, 23% aller an COVID-19 erkrankten Kinder würden an Long Covid erkranken, ist falsch und wird auch von den Autor:innen der Studie nicht einmal angedeutet!
Sehr wohl dürfte aber der klinische Verlauf der klinischen Realität entsprechen. Von den Kindern, die nach 3 Monaten die Kriterien für Long Covid erfüllen, bessern sich bei etwa 2/3 die Symptome im ersten Jahr so sehr, dass nicht mehr die Kriterien für Long Covid erfüllen. Wer aber nach einem Jahr noch krank sind, bleibt es mit einer großen Wahrscheinlichkeit über einen langen Zeitraum (in dieser Studie zumindest für 2 Jahre).
Die Pandemie produziert also nicht nur chronisch kranke Erwachsene, sondern auch chronisch kranke Kinder. Wie viele es wirklich sind, wissen wir noch immer nicht genau. Keine positiven Aussichten also in Anbetracht der gerade wieder deutlich steigenden Zahlen an Infektionen.
Wie sehr Impfungen auch bei Kindern das Risiko für Long Covid reduzieren, konnte in dieser Studie aus methodischen Gründen lediglich erahnt werden. Zum Glück gibt es frühere Studien wie jene der RECOVER Covid Initiative des National Intitute of Health (NIH) in den USA ("Vaccine Effectiveness Against Long COVID in Children"). Laut dieser nimmt das relative Risiko für Long Covid bei Kindern unter 12 durch die Impfungen um rund 25%, bei den Jugendlichen sogar um ca. die Hälfte ab. Allerdings: Bei der Zeit seit der letzten Impfung nimmt der Schutz auch gegen Long Covid ab. Booster sind notwendig. Mehr dazu hier:
Einer der Gründe, warum viele Menschen die fehlende Empfehlung der deutschen Stiko für COVID-19 Impfungen für Kinder nicht verstehen. Das NIG in Österreich sieht das zum Glück anders. Hier kann jede/r ab einem Alter von 6 Monaten geimpft werden.