Die Folgen von COVID-19 bei jungen, durchtrainierten Menschen (Marines)
Auch bei besonders durchtrainierten, jungen Menschen kann COVID-19 zu messbaren Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit führen.
- Bei einer Gruppe von 18- bis 19-jährigen Rekruten der US-Marines wurden die subjektiven und objektiven Folgen einer Erkrankung an COVID-19 erhoben.
- In Fragebögen wiesen sie signifikant häufiger gesundheitliche Einschränkungen auf als eine Vergleichsgruppe ohne Infektion.
- Dies zeigte sich auch in objektiven Daten der sportlichen Drills.
- Die objektiven und subjektiven Daten verdeutlichen die möglichen negativen Auswirkungen einer akuten SARS-CoV-2-Infektion auf die längerfristige Gesundheit und Leistungsfähigkeit selbst bei besonders fitten jungen Menschen.
Dass COVID-19 über die akute Erkrankung hinaus so einiges mit unserem Körper anstellen kann, ist ein wiederkehrendes Thema dieses Blogs. Von dem deutlich erhöhten Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle oder neurodegenerative Erkrankungen, wovon vor allem die Älteren, die Vorerkrankten betroffen sind, bis zum eigentlichen Long Covid, das in besonderen Maß jüngere Frauen betrifft. Ganz zu schweigen von dem noch hypothetischen Slow Covid, über das ich vor kurzem hier berichtet habe:
Trotzdem hält sich bei manchen die Meinung, dass junge, fitte Menschen von all dem nicht betroffen wären. Long Covid und andere Folgen wären nur was bei den Älteren und/oder Vorerkrankten. Oder bei jungen Frauen, denen gerne irgendwas Psychisches oder Psychosomatisches angedichtet wird. Das kommt selbst bei Fachpublikationen wie diesem Artikel von Neurolog:innen der MedUniWien vor, den ich hier verlinke, aber nicht zu lesen empfehle ("Myalgische Enzephalomyelitis/chronisches Fatigue-Syndrom: eine Übersicht zur aktuellen Evidenz").
Vielleicht macht es da Sinn, einmal auf die stärksten und härtesten der jungen Männer zu schauen. Zum Beispiel auf US-Marines. Da wurde kürzlich eine Studie publiziert, in der bei einer recht großen Gruppe von 18- bis 19-jährigen Rekruten die Folgen von COVID-19 angeschaut wurden.
Die CHARM 2.0 Studie
Bereits 2020 wurde in der ursprünglichen CHARM-Studie („COVID-19 Health Action Response for Marines“) bei einer abgeschlossenen Gruppe von Personen - eben knapp 2500 Rekruten der Marines - die Infektionsdynamik von COVID-19 untersucht. 899 der ursprünglichen Studienteilnehmer stimmten der Teilnahme an einer Folgestudie zu, deren Ergebnis vor Kurzem im Lancet-Verlag veröffentlicht wurde ("Clinical and functional assessment of SARS-CoV-2 sequelae among young marines – a panel study").
In dieser zweiten Studie wurden ausschließlich Personen inkludiert, die nach dem Abschluss der Rekrutenausbildung weiterhin im Dienst blieben, um eine zusätzliche militärische Ausbildung oder einen Einsatz zu absolvieren. Dementsprechend hatten die jungen Männer und die wenigen jungen Frauen (72 der insgesamt 899 Teilnehmenden) keine wesentlichen Vorerkrankungen. Sie hatten die ursprüngliche SARS-CoV-2-Infektion zu einem überwiegenden Teil als mild oder gar asymptomatisch beschrieben - nur 18,8% waren dabei in den Krankenstand gegangen. Die folgende Grafik gibt an, welcher Anteil der Studienteilnehmer was für COVID-19-Symptome angab. Man sieht auf einen Blick, wie mild die akute Erkrankung bei den meisten Probanden gewesen sein muss.
Für die nun vorliegende Folgestudie wurde zunächst erhoben, wie viele der Studienteilnehmer anhaltende Symptome und/oder verzögerte oder langfristige Komplikationen angaben. Wenn diese länger als 4 Wochen nach der Infektion bestanden, erfüllten sie die Studiendefinition für PASC.
(Anmerkung: PASC ist ein Akronym für Post-Acute Sequelae of Covid - die Folgen nach der akuten Erkrankung - und wird meist synonym mit Long Covid verwendet. In der Regel werden darunter Beschwerden verstanden, die mindestens für drei Monate nach der Infektion anhalten. In dieser Studie sind es lediglich 4 Wochen, was heute keiner gängigen Definition von PASC entspricht, zum Zeitpunkt der Planung der Studie aber nicht unüblich war.)
Das doch einigermaßen erstaunliche Ergebnis: Fast 25% dieser Gruppe von jungen, sehr fitten Personen mit einer großteils milden bis asymptomatischen Infektion wiesen länger als 4 Wochen anhaltende Symptome auf, die als PASC klassifiziert wurden. Verlust des Geruchssinns war dabei die häufigste Beschwerde, knapp gefolgt von Atemnot und anhaltendem Husten.
Bei der Kontrolluntersuchung, die durchschnittlich ein Jahr nach der Infektion stattfand, wurde anhand eines standardisierten Fragenbogens (PHQ-15) die Schwere der körperlichen Symptome erhoben. Die Personen, die die PASC-Kriterien erfüllten, schnitten dabei im Durchschnitt deutlich schlechter ab, als diejenigen ohne PASC und eine nicht-infizierte Kontrollgruppe.
In weiteren Tests hatten sie etwas häufiger Angstzustände und mehr Müdigkeit als die Kontrollgruppen.
Die Forschungsgruppe begnügte sich aber nicht mit Fragebögen. Sie zogen auch objektive Kriterien heran. Und da boten sich die regelmäßigen sportlichen Drills der Marinesoldaten an. Dort gut abzuschneiden bedeutet Vorteile bei der militärischen Karriere und auch einen höheren Sold. Man kann also annehmen, dass die Rekruten dabei wirklich an ihre Grenzen gehen.
Beim Standardlauf über drei Meilen schnitten die Rekruten der PASC-Gruppe deutlich schlechter ab als eine Referenzgruppe von Rekruten vor der Pandemie und die Nicht-Infizierten der ersten Studienphase. Sie waren im Durchschnitt 25 Sekunden langsamer. Die infizierten Rekruten ohne PASC waren nicht ganz 9 Sekunden langsamer, was gerade noch statistisch signifikant war, während die Nicht-Infizierten ähnlichen Zeiten wie die präpandemische Vergleichsgruppe erreichten. Bei der Zahl an Klimmzügen und Sit-Ups in 2 Minuten gab es keine signifikanten Unterschiede. Wie auch schon bei früheren sportmedizinischen Untersuchungen bei einzelnen Athleten zeigte sich, dass vor allem die Ausdauer leidet.
Was bedeutet das
Zusammenfassend zeigt sich, dass ein Teil der Infizierten selbst in dieser jungen, fitten Population mit sehr leichter akuter Erkrankung lang anhaltende Symptome hat. Diese Symptome gehen mit physiologischen Veränderungen, einer messbaren Beeinträchtigung der Lebensqualität und einer verminderten körperlichen Leistungsfähigkeit einher.
Es handelt sich hier um keine repräsentative Gruppe. Nur ein Teil der Teilnehmenden der ersten Studie nahmen auch an dieser Folgestudie teil. Einige waren bereits zu Einsätzen irgendwo auf der Welt abkommandiert - vermutlich waren das Personen ohne körperliche Einschränkungen. Andererseits waren Personen, die von ausgeprägten Long Covid-Symptomen betroffen waren, möglicherweise bereits aus gesundheitlichen Gründen aus dem Dienst ausgeschieden.
Nicht zuletzt wurde die PASC-Diagnose nicht klinisch, sondern lediglich mittels Fragebogen erhoben und zudem ist die Definition von Symptomen für mindestens vier Wochen nicht mehr aktuell. Und schließlich wurde leider nicht erhoben, wie viele Teilnehmer zum Zeitpunkt der Studienvisite nach durchschnittlich einem Jahr noch immer die Kriterien für Long Covid erfüllten.
Die anhand der Fragebögen erhobene subjektive Einschätzung der Gesundheit zeigen einen statistisch signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen, der in absoluten Zahlen aber recht gering ist. Ob die Marines aufgrund des körperlich sehr belastenden Trainings kleine, für die Normalbevölkerung kaum bemerkbare Einschränkungen eher spüren oder ob sie sich im Gegenteil ihrem Selbstverständnis der Zugehörigkeit zu einer besonders toughen Elitetruppe entsprechend besser darstellen, ist Spekulation.
Jedenfalls sind die Unterschiede im objektiven Test der Zeiten beim 3-Meilen-Lauf bei den Personen, die die Studiendefinition von PASC erfüllten, wirklich beträchtlich. Und selbst die Infizierten ohne PASC waren (geringfügig) langsamer als die präpandemische Kontrollgruppe.
Schließlich ist anzumerken, dass die Infektionen 2020 auftraten, also vor den Impfungen, und dass es sich ausschließlich um Erstinfektionen handelte. Deshalb lassen sich die Ergebnisse nicht direkt auf jetzt umlegen, wo einerseits doch ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung zumindest die Grundimmunisierung erhalten hat und andererseits die meisten jetzigen Infektionen Zweit-, Dritt- oder noch häufigere Folgeinfektionen sind. Von den Impfungen wissen wir, dass sie das Risiko für Folgeerkrankungen inklusive Long Covid verringern. Folgeinfektionen wiederum erhöhen das kumulative Risiko.
Bei all diesen Einschränkungen verdeutlichen die in dieser Studie erhobenen subjektiven und objektiven Daten jedenfalls die möglichen negativen Auswirkungen einer akuten SARS-CoV-2-Infektion auf die langfristige Gesundheit selbst bei jungen, besonders durchtrainierten Erwachsenen.