Die Grippewelle beginnt unüblich früh
Und sie könnte besonders groß werden. Die neue Variante A(H3N2)K dürfte dafür verantwortlich sein.
- A(H3N2)K weist mehrere Mutationen der Oberflächenantigene auf, weswegen es dem Immunsystem leichter entkommt.
- Einiges deutet darauf hin, dass wir diesen Winter eine besonders hohe Grippewelle erleben werden.
- Die Impfungen passen nicht perfekt, aber erste klinische Daten deuten doch auf eine ausreichende Wirksamkeit hin.
- Der richtige Zeitpunkt für die Impfung ist jetzt.
ALARM!!!
Wenn ich mir die heimischen Nachrichten und auch die Stimmung im Spital anschaue, ist die Grippewelle noch kein großes Thema. Ganz anders schaut es in Großbritannien aus. Dort überschlagen sich die Medien mit Schlagzeilen über eine vor uns liegende, besonders hohe und gefährliche Welle. Und zwar nicht nur der Boulevard, sondern auch die Qualitätsmedien (alle Hervorhebungen durch mich):
BBC: "Neue Mutation des Grippevirus könnte zur 'schwersten Saison seit zehn Jahren' führen". The Guardian: "Britische Krahttps://www.ecdc.europa.eu/en/news-events/ecdc-recommends-vaccinating-without-delay-due-early-flu-circulationnkenhäuser bereiten sich auf die größte Grippewelle seit zehn Jahren in diesem Winter vor". The Independent: "Was ist der H3N2-Grippevirusstamm? Gesundheitsexperten warnen angesichts steigender Fallzahlen".
Selbst das Fachblatt British Medical Journal hält sich in der Nachrichtensektion nicht zurück und titelt: "Grippe in Zahlen: Der NHS steht vor einem der schlimmsten Winter aller Zeiten, warnen Beamte angesichts mutierter Virenstämme."
Auch in Kanada scheint man beunruhigt. Die öffentlich-rechtliche CBC titelt: "Kanada könnte die „schlimmstmögliche“ Grippesaison erleben, denn Experten warnen, dass ein sich weiterentwickelnder Virusstamm möglicherweise nicht mehr mit dem Impfstoff übereinstimmen könnte."
Und was wird von der Südhalbkugel berichtet, auf der die winterliche Grippewelle gerade ausklingt? In Australien titelte das größte nationale Nachrichtenportal news.com.au im Oktober: "Impfquoten sinken, während 2025 das schlimmste Grippejahr seit Beginn der Aufzeichnungen ist." Laut der australischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin RACPG waren Kinder besonders oft betroffen. Auch sie berichtet vom Rückgang der Impfquoten: "Die Impfquote für Kleinkinder, die einem erhöhten Risiko für schwere Grippeinfektionen ausgesetzt sind, ist auf nur noch ein Viertel gesunken, und sie erkranken auch häufiger an Influenza als jede andere Altersgruppe."
Unüblich früher Beginn der Grippewelle
In Österreich hat die Grippewelle noch nicht offiziell begonnen. Aber auch hier sind bereits steigende Zahlen zu bemerken. Im wöchentlichen Statusbericht des Diagnostischen Influenza Netzwerk Österreich (DINÖ) an der MedUni Wien liest man:
"In Österreich Anstieg der Influenzavirusnachweise, im Vergleich zu den vorhergehenden Saisonen etwa 2-4 Wochen früher."
Eine epidemische Virusaktivität besteht noch nicht, aber die Virusnachweise im Sentinelsystem, der standardisierten Stichprobenerhebung von respiratorischen Viren, zeigten zuletzt bereits einen leichten, aber eindeutigen Ausschlag:

Ähnlich schaut es im Großteil Europas aus. Das Europäisches Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC), das die Infektionen in den EU-Ländern plus Norwegen, Island und Liechtenstein überwacht, berichtet ganz aktuell (20.11.25):
"In Woche 46 des Jahres 2025 lag die Zahl der Patienten, die sich mit Symptomen einer Atemwegserkrankung, einschließlich grippeähnlicher Erkrankungen, in der Primärversorgung vorstellten, in allen meldenden Ländern auf dem Ausgangswert oder auf einem niedrigen Niveau. Virologische Daten zeigen jedoch einen früher als erwarteten Anstieg, der drei bis vier Wochen früher als in den beiden letzten Saisonen und den fünf Saisonen vor der COVID-19-Pandemie."
Großbritannien, das Land der alarmierenden Schlagzeilen, ist da schon deutlich weiter. Dort nimmt die nationale Infektionsschutzbehörde UKHSA die Prozentzahl der positiven Tests als Maß der Virusaktivität. Bereits im Oktober war dort ein deutlicher Anstieg festzustellen. Damit begann die Welle früher als in den letzten Jahren, selbst früher als die Grippewelle 2022/23, die als erste nach dem Ende der COVID-Maßnahmen schon unüblich früh einsetzte:

Ähnliches wird auch aus Kanada berichtet.

Noch früher dran war Japan, das als erstes Land der Nordhalbkugel erwischt wurde. Dort stiegen nicht nur die Fallzahlen, sondern bereits Ende Oktober auch die Spitalsaufnahmen. Ein Grund scheint dort eine Urlaubswelle im September dank billiger Flugpreise gewesen zu sein, wodurch die auslaufende australische Winterwelle per Flugzeug nach Japan getragen wurde.
Die neue A(H3N2)K-Variante
Getragen wird der frühe Anstieg von einer neu aufgetauchtes Variante des Influenza A-Virus. Die Influenza-A-Viren sind hauptverantwortlich für die saisonalen Grippewellen. Sie werden anhand der zwei Oberflächenantigene Hämagglutinin (H) und Neuraminidase (N) in verschiedenen Subtypen eingeteilt. In den letzten Jahren hatten wir es hauptsächlich mit A/H1N1 und A/H3N2 zu tun.
Influenza-A-Viren sind durch eine hohe Mutationsfreudigkeit gekennzeichnet, die zu relevanten Veränderungen der beiden Oberflächenantigene führen kann. Bei der sogenannten Antigendrift kommt es durch Punktmutationen des genetischen Materials der Viren zu Veränderungen, die zu neuen Eigenschaften dieser Virusvarianten führen können - z.B. zu einer höheren Infektiosität. Hobbyvirologen wie wir kennen Ähnliches schon zur Genüge von SARS-CoV-2 mit seinen immer neuen Varianten und Subvarianten.
(Die Antigendrift ist nicht zu verwechseln mit der Antigenshift, einer Besonderheit der Influenza-A-Viren. Dabei kommt es bei einer gleichzeitigen Infektion mit zwei verschiedenen Influenza-A-Virenstämmen zum Austausch ganzer Gensequenzen, wodurch gänzlich neuer Subtypen entstehen können. Solche neuen Subtypen führten zu den großen Influenza-Pandemien des 20. Jahrhunderts. Die Hongkong-Grippe von 1968 mit rund 4 Millionen Toten wurde beispielsweise durch das erstmalige Auftreten von A/H3N2 nach so einem Antigenshift verursacht.)
A(H3N2)K entsteht
In den letzten Grippesaisonen hatte es unüblich wenige Veränderungen der Influenza-Viren gegeben. Dies änderte sich in der Grippewelle 2025 der Südhalbkugel grundlegend. Während diese im australischen Winter zunächst wie schon die Wellen der beiden vorigen Jahre zum überwiegenden Teil von A(H1/N1) getragen wurde, tauchte ab Juli verstärkt A(H3N2) auf. Dies war vor allem auf die Variante J.2.4, die im ersten Halbjahr nur sporadisch gefunden wurde, im September aber bereits fast die Hälfte aller A(H3/N2)-Sequenzierungen ausmachte und mehrere Mutationen aufwies. Zwei weitere Mutationen führten zu einer zunächst J.2.4.1 gelabelten Virusvariante, die sich von der ursprünglichen J-Gruppe so stark unterschied , dass sie zum ersten Vertreter einer neu geschaffenen K-Gruppe gemacht wurde.
A(H3N2)K war entstanden, wurde auf die Nordhalbkugel geflogen und setzte sich offenbar recht rasch durch.
Die bisherigen britischen Daten zeigen, dass die frühe britische Grippewelle fast ausschließlich auf A(H3N2) zurückzuführen ist. A(H1N1) und die Influenza B-Viren kommen dort kaum vor:

Die weitere Differenzierung durch die Virussequenzierung zeigt, dass A(H3N2) wiederum zum ganz überwiegenden Teil aus der Subvariante K besteht, die in der ersten Jahreshälfte noch völlig fehlte:

In den Ländern der EU, wo die Welle erst ganz zu Beginn steht, schaut es - bei noch sehr niedriger Gesamtzahl an Virussequenzierungen - ähnlich aus. Laut den Daten der europäischen Gesundheitsbehörde ECDC ist A(H3N2) gegenüber A(H1N1) zwar noch nicht ganz so dominant wie in UK, aber auch hier ist die K der dominante H3N2-Subtyp:

Die Sache mit der Impfung
Die Grippeimpfung muss laufend an die aktuellen Varianten der Influenzaviren angepasst werden. Dabei ist die Vorlaufzeit für die Herstellung des Impfstoffs beträchtlich. Rasch adaptierbare mRNA-Impfstoffe haben wir bei der Influenza nicht. Die Zusammensetzung der derzeit ausgerollten Impfstoffe wurde wie jedes Jahr im Februar von einer Expertenkommission der WHO festgelegt ("Recommended composition of influenza virus vaccines for use in the 2025-2026 northern hemisphere influenza season"). Spätere Adaptierungen sind nicht mehr möglich.
Eine kanadische Arbeitsgruppe untersuchte die neue Variante sehr genau und stellte fest, das sie sich doch beträchtlich von der J.2-Variante unterscheiden, die als Basis für die aktuellen Impfstoffe genommen wurde ("Emergence of seasonal influenza A(H3N2) variants with immune escape potential warrants enhanced molecular and epidemiological surveillance for the 2025–2026 season").

Sie gehen deshalb von einer reduzierten Wirksamkeit der Impfstoffe aus. Dabei handelt es sich aber um noch um Spekulation anhand von Labordaten, nicht um tatsächlich Zahlen zur Wirksamkeit der Impfstoffe.
Erste klinische Daten gibt es dagegen aus England, und die schauen dann doch um einiges besser aus ("Early influenza virus characterisation and vaccine effectiveness in England in autumn 2025, a period dominated by influenza A(H3N2) subclade K"). Laut dieser Studie bei zeigt sich zwar im Labor eine verminderte Wirksamkeit des Impfstoffes, trotzdem war die Wirksamkeit bei der Verhinderung von stationären Aufnahmen wegen Influenza besser als befürchtet. Bei Kinder wurden 70-75% der Hospitalisierungen verhindert, bei Erwachsenen immerhin noch 30-40%. Wohlgemerkt waren alle ziemlich frisch geimpft, schließlich sind die Impfstoffe erst seit September verfügbar. Bei der Influenza nimmt die Wirksamkeit der Impfung ziemlich rasch ab. Dafür, wie gut die Wirksamkeit einige Wochen bis Monate nach der Impfung ist, wissen wir noch gar nichts. Der Winter könnte lange werden.
Was bedeutet das für uns?
Das Wichtigste: Es handelt sich um kein komplett neues, durch ein Antigenshift entstandenes Influenzavirus, das eine neue Pandemie auslösen könnte. Aber es ist doch eine durch Antigendrift entstandene Variante, die sich so sehr von den früheren Varianten und dem Impfstoff unterscheidet, dass es eine Erklärung für die so früh beginnende Grippewelle sein könnte (zusätzlich zur abnehmenden Durchimpfung der Bevölkerung). Durch mehrere Antigendrift-bedingte Mutationen waren jedenfalls der Grund für die letzten wirklich große Grippewelle 2016/17, die uns in den Spitälern in eine mit den großen COVID-Wellen vergleichbare Situation brachte (allerdings im Gegensatz zu COVID 2020 und 2021 gänzlich ohne Eindämmungsmaßnahmen).
Zum nicht sehr gut passenden Impfstoff kommt noch dazu, dass wir in den letzten zwei Grippesaisonen kaum A(H3N2) hatten, sondern in erster Linie A(H1N1). Der "natürliche" Schutz vor A(H3/N2) aufgrund von rezenten Vorinfektionen dürfte also in der Bevölkerung ganz generell am Abnehmen sein. Viele Kinder haben - sofern ungeimpft - überhaupt noch nie Kontakt mit A(H3N2) gehabt.
Das ist schlecht für die Kinder, von den sich besonders viele anstecken dürften, als auch für alle anderen. Denn Kinder stecken sich oft besonders früh mit der Influenza an und tragen das Virus zu den Eltern und Großeltern. Tatsächlich sind in England bisher überproportional Kinder infiziert:

Trotz aller Hinweise für eine besondere Grippesaison muss darauf hingewiesen werden, dass noch immer einiges an Spekulation im Spiel ist. Wir wissen von COVID-19, wie oft es anders kommt, als man denkt. Oft genug zum Schlechteren, aber manchmal durchaus auch zum Besseren. Die Influenza ist da nicht anders.
Wir können auch selber dazu beitragen, uns zu schützen. Alle unspezifischen Schutzmaßnahmen gegen respiratorisch übertragene Viren, die wir von COVID-19 kennen, helfen auch gegen die Influenza, also vor allem Masken und saubere Luft. In den Öffis nimmt die Zahl der FFP2-Masken dezent aber doch wieder zu.
Außerdem gibt es die Impfungen.
Trotzdem impfen
Es gibt Hinweise für eine schlechtere Wirksamkeit der Impfungen und trotzdem sollte man sich impfen lassen?
Der aktuelle Impfstoff wirkt - laut vorläufigen Daten - weniger gut, als wir es gerne hätten gegen die neue H3N2-Variante. Aber zum einen besteht der Grippeimpfstoff ja nicht nur gegen A(H3N2), sondern auch gegen den H1N1-Subtyp und gegen das Influenza B-Virus - und gegen diese passt der 25/26er Impfstoff gut. A(H1N1) und die Influenza B machen bei den (wenigen) bisherigen Virussequenzierungen der Meduni Wien noch immer die Mehrheit aus.

Zudem bietet der Impfstoff ja doch auch einen gewissen Schutz gegen A(H3N2)K, der ausreichend sein sollte, um das Ausmaß der Grippewelle 25/26 signifikant zu reduzieren.
Das ECDC empfiehlt in einer erst am 20 November erschienenen Empfehlungen folgendes:
- Personen mit einem erhöhten Risiko für schwere Erkrankungen sollten sich unverzüglich impfen lassen. Zu diesen Gruppen gehören Personen über 65 Jahre, Schwangere, Menschen mit Vorerkrankungen und chronischen Erkrankungen oder mit geschwächtem Immunsystem sowie Menschen, die in geschlossenen Einrichtungen wie Langzeitpflegeeinrichtungen leben.
- Lassen Sie sich impfen, wenn Sie im Gesundheitswesen tätig sind oder in einer Langzeitpflegeeinrichtung arbeiten.
- Gesundheitseinrichtungen und Langzeitpflegeeinrichtungen sollten ihre Vorsorgepläne und Maßnahmen zur Infektionsprävention und -kontrolle verstärken und Mitarbeiter und Besucher dazu anhalten, in Zeiten erhöhter Verbreitung von Atemwegsviren Gesichtsmasken zu tragen.
- Gesundheitsdienstleister sollten erwägen, Patienten mit erhöhtem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf unverzüglich antivirale Medikamente zu verabreichen, um Komplikationen zu reduzieren.
- Gesundheitsdienstleister sollten während Ausbrüchen in geschlossenen Einrichtungen, z. B. Langzeitpflegeeinrichtungen, den Einsatz einer antiviralen Prophylaxe in Betracht ziehen.
- Die Länder sollten eine klare, maßgeschneiderte Kommunikation über Impfungen, Handhygiene und Atemwegsetikette fördern, um die Übertragung in der Bevölkerung zu verringern.
Zusammengefasst könnte A(H3N1)K eine besonders große Welle auslösen. Unterstützt wird dies durch rückläufige Impfzahlen so gut wie überall auf der Welt. Wo sie vorher hoch war wie in den angelsächsischen Ländern oder Skandinavien, ist sie nur mehr mittelmäßig. Wo sie wie in den deutschsprachigen Ländern mittelmäßig bis schlecht war, hat sie noch weiter abgenommen.
Die aktuellen Impfungen passen sehr gut gegen zwei zirkulierende Virustypen (H1N1 und Influenza B), die Wirkung gegen H3N1 ist nicht gut, aber ausreichend.
Der ideale Zeitpunkt für die Impfung ist jetzt.