Die Herbstimpfung 2024 ist schon da

Europa setzt auf einen an die Variante JN.1 angepassten Herbstbooster gegen COVID-19, die USA wählt dagegen KP.2. Der Versuch einer Einordnung.

Die Herbstimpfung 2024 ist schon da

Die wichtigsten Punkte auf einen Blick

  • In Österreich sind die ersten Chargen des Herbstboosters bereits eingetroffen.* Es handelt sich um einen an JN.1 angepassten mRNA-Impfstoff von BioNTech/Pfizer.
  • Während die europäische EMA diesen Impfstoff präferiert, entschied sich die FDA in den USA für einen an die Variante KP.2 angepassten Impfstoff. Was die bessere Wahl ist, wird die Zukunft zeigen.
  • Hochrisikopersonen, die zuletzt im Herbst 2023 (oder früher) ihre Auffrischungsimpfung erhalten haben, sollten sich bald impfen lassen. Ob es sich für die anderen auszahlt, noch etwas abzuwarten, lässt sich aufgrund spärlicher Informationen aus dem Gesundheitsministerium noch nicht absehen.

*Anmerkung vom 24.07.2024: Der Impfstoff ist laut Gesundheitsministerium eingetroffen, leider wissen weder 1450 noch die ÖGK, wann sie ihn bekommen werden. Entsprechend sind z.B. beim zentralen Impfservice der Stadt Wien noch keine COVID-Impftermine buchbar. Dank an @Wurzelmann für den Hinweis.


Wie bereits vor einer Woche an dieser Stelle berichtet, zeigen die Abwasserdaten, dass wir uns in einer Art Sommerwelle befinden, wenn auch die Zahl der stationären Aufnahmen wegen COVID-19 derzeit kaum angestiegen sind. Mitte Juli 2024 sind die Zahlen im Monitoring bereits höher als im August vorigen Jahres.

Eine Sommerwelle
Laut den Abwasserdaten baut sich derzeit eine Sommerwelle auf. Ein Blick auf die zugrundeliegende Variantensuppe.

Quelle https://allcoronavirusesarebastards.digitalpress.blog/eine-sommerwelle/

Nun traf die Meldung ein, dass bereits die ersten Lieferungen des Herbstimpfstoffes in Österreich eingetroffen sind. Es handelt sich um einen upgedateten mRNA-Impfstoff von BioNTech/Pfizer, der an die seit dem Winter vorherrschende JN.1-Variante angepasst ist, also nicht an die aus JN.1 hervorgegangen FLiRT-Varianten wie KP.2 oder die zuletzt sich auf dem Vormarsch befindlichen FLuQE-Varianten wie KP.3. (Mehr zum Dickicht der derzeitigen Varianten gibt es ebenfalls im Artikel "Eine Sommerwelle".)

Neuer Corona-Variantenimpfstoff in Österreich eingetroffen
Das Vakzin ist an JN.1-Varianten angepasst. Zu diesen zählen auch die aktuell in Österreich zirkulierenden FLiRT-Varianten KP.2 und KP.3

Quelle https://www.derstandard.at/story/3000000229167/neuer-corona-variantenimpfstoff-in-oesterreich-eingetroffen?ref=article

Eine deutlich ansteigende Welle und ein schon verfügbarer Impfstoff - nachvollziehbar, dass Experten wie Ulrich Elling zu einer baldigen Impfung raten, zumindest für diejenigen, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben.

Corona: Welle steigt deutlich, Experte rät zu früher Impfung
Molekularbiologe Ulrich Elling verweist auf deutlich gestiegene Abwasserdaten. Seit der letzten Welle im Winter hat sich ein “hohes Infektionspotenzial” angesammelt.

Quelle https://kurier.at/wissen/gesundheit/corona-welle-steigt-elling-frueher-impfung/402927411

Aber von welchem Impfstoff reden wir überhaupt?


Der Herbstimpfstoff - JN.1 oder KP.2?

Wie wir aktuell gerade sehen, ändert sich bei SARS-CoV-2 rasch, welche Variante vorherrscht. Das war erst vor einer Woche ein Thema in diesem Blog ("Eine Sommerwelle"). Der Selektionsdruck führt dazu, dass Varianten einen Vorteil haben, die durch günstige Mutationen der "Immunitätwand"am besten entkommen. Mit anderen Worten: Jene Varianten, gegen die möglichst wenige Menschen eine gute Immunabwehr aufgebaut haben. Das Virus ist uns Menschen also immer einen Schritt voraus, sodass sich immer mehr Menschen mit einer bestimmten Variante anstecken, bis es so viele sind, dass sich diese Lücke schließt und wieder neue Varianten mit wieder neuen Mutationen eine neue Lücke finden.

Die Impfstoffentwicklung und -produktion ist noch ein paar Schritte träger als das menschliche Immunsystem. Die mRNA-Impfstoffe (also BioNTech/Pfizer und Moderna) brauchen wenige Monate bis zur Auslieferung, der besser verträgliche Proteinimpfstoff von Novavax ungefähr ein halbes Jahr. Eine lange Zeit bei der hohen Dynamik der Variantensuppe. Entsprechend herausfordernd ist es für die Gesundheitsbehörden, den Kompromiss zwischen möglichst gutem Impfschutz und Produktionskapazitäten zu finden.

Europa und die USA gehen 2024 verschiedene Wege

Anders als in den letzten beiden Jahren haben die FDA in den USA und die EMA in der EU dieses Mal unterschiedliche Strategien gewählt. Beide legten sich im April fest, dass man einen Impfstoff empfiehlt, der gegen die JN.1-Familie wirkt, die praktisch alle derzeit grassierenden Varianten umfasst. Dabei wählte die EMA die ursprüngliche JN.1-Variante. Am 19.Juli wurde die Entscheidung bekräftigt ("EMA confirms its recommendation to update the antigenic composition of authorised COVID-19 vaccines for 2024-2025" PDF-File). Man entschied sich gegen die KP.2-Variante als Basis für den Impfstoff. Begründet wurde das so (Hervorhebungen durch mich):

"Die ETF (Anm.: EMA Emergency Task Force) vertrat die Auffassung, dass die verfügbaren Tierdaten zur Kreuzneutralisierung nicht eindeutig genug sind, um auf einen größeren Nutzen eines Impfstoffs gegen KP.2 im Vergleich zur JN.1-Variante hinzudeuten, da der Unterschied in der Immunogenität zwischen JN.1- und KP.2-Impfstoffen zum gegenwärtigen Zeitpunkt ungewiss und im Vergleich zu den großen Unterschieden in der Immunantwort gegen derzeit zirkulierende Stämme, die JN.1-Impfstoffe im Vergleich zu XBB1.5-Impfstoffen zeigen, von geringer Bedeutung ist.
[...] Bei der Verwendung von COVID-19-Impfstoffen, die Spike-Proteine von sehr eng verwandten Varianten enthalten, wurden in der Praxis keine signifikanten Unterschiede im erreichten Schutzniveau festgestellt, insbesondere nicht bei schweren Erkrankungen wie Krankenhausaufenthalt und Tod."

Und:

"Die EMA/ETF-Strategie für COVID-19-Impfstoffe zielt darauf ab, sicherzustellen, dass aktualisierte Impfstoffe rechtzeitig hergestellt und ausgeliefert werden können und einen angemessenen Schutz gegen die vorherrschenden Virusstämme bieten. Wir nehmen dabei zur Kenntnis, dass eine genaue Übereinstimmung mit den im Herbst zirkulierenden Virusstämmen nicht möglich ist."

Man geht also davon aus, dass anhand von experimentellen Labordaten erhobene Unterschiede zwischen JN.1- und KP.2-Impfstoffen in der klinischen Praxis nicht von allzu großer Bedeutung sein dürften, weshalb bei der Empfehlung für die schon in der Produktion befindlichen JN.1-Impfstoffen bleibt.

Das österreichische Nationale Impfgremium (NIG) schließt sich in der Impfempfehlung (PDF-Datei) der EMA kurz und knackig an:

"Die derzeit neu zirkulierende Variante KP.2 ist aus immunologischer Sicht der JN.1-Variante sehr ähnlich und es ist daher davon auszugehen, dass der angepasste Impfstoff eine schützende Antwort für beide Varianten hervorruft."

Anders entschied die FDA. Anfang Juni bekräftigte diese die bereits im April gemachte Empfehlung für einen Impfstoff aus der JN.1-Familie. Noch am 6.Juni empfahl sie den Herstellern, die JN.1-Variante selbst zu verwenden, um es nur wenige Tage später am 13.Juni umzuformulieren ("Updated COVID-19 Vaccines for Use in the United States Beginning in Fall 2024"):

"Auf der Grundlage der aktuellsten verfügbaren Daten und des jüngsten Anstiegs der COVID-19-Fälle in einigen Regionen des Landes hat die Agentur außerdem entschieden, dass der bevorzugte JN.1-Stamm für die COVID-19-Impfstoffe (Formel 2024-2025) der KP.2-Stamm ist, sofern dies möglich ist. Mit dieser Änderung soll sichergestellt werden, dass die COVID-19-Impfstoffe (Formel 2024-2025) den zirkulierenden SARS-CoV-2-Stämmen besser entsprechen."

Sowohl die EMA als auch die FDA haben zahlreiche echte Experten auf diesem Gebiet und kommen dennoch zu unterschiedlichen Entscheidungen. Das zieht sich fort bei der Bewertung der Entscheidung durch unabhängige Experten.

Als es noch so ausschaute, als ob die FDA JN.1 präferieren würde, war der hochgeschätzte Infektionsepidemiologe Michael Osterholm in seinem Podcast "Osterholm Update" geradezu wütend.

"Obwohl KP.2 und KP.3 der JN.1-Variante insgesamt genetisch sehr ähnlich sind, sind diese Mutationen immer noch weit genug entfernt, um immunologische Probleme zu verursachen. Deshalb war es für mich enttäuschend zu sehen, dass die FDA einen monovalenten JN.1-Impfstoff empfahl, im Gegensatz zu einem multivalenten Impfstoff, der JN.1 und diese neuen Varianten berücksichtigt, oder einem monovalenten KP.2-Impfstoff. [...] Trotz der Anregungen und des Widerstands der wissenschaftlichen Gemeinschaft beschloss die Gruppe, sich nur auf das bereits veraltete JN.1 zu konzentrieren. Den in der Diskussion vorgelegten Daten zufolge bietet ein monovalenter JN.1-Impfstoff zwar einen gewissen, aber nicht den gleichen Schutz gegen Varianten und vermutlich auch nicht gegen die Nachkommen, die sich weiterentwickeln."

Andere, wie die ebenfalls hochgeschätzte Epidemiologin Katelyn Jetelina sprach sich dagegen in ihrem Substack-Blog für den JN.1-Impfstoff aus, weil damit auch der Novavax-Impfstoff mit im Spiel wäre und sich so ihrer Vermutung nach mehr Leute impfen lassen würden.

Wieder andere wie zum Beispiel die Expertin für Public Health und Impfungen Sarah Meyer, die im Expertengremium der FDA für den JN.1-Impfstoff stimmte, bringen eine grundsätzliche Überlegung ins Spiel. Da wir nicht wissen, mit was für Varianten wir es im Herbst zu tun haben werden, sei es nicht sinnvoll der gerade aktuellsten Variante nachzuhecheln. Man solle besser eine Variante wählen, die weiter oben im Stammbaum ist. So decke man nämlich auch eventuelle Varianten eher ab, die kein KP.2 Abkömmling sind und sogar näher zu JN.1 sein könnten.

Um es etwas klarer zu machen: Die folgende schematische Darstellung einiger wichtiger Varianten seit BA.2.86 (Pirola) zeigt, dass fast alle aktuellen Varianten Abkömmlinge von JN.1 sind, aber einige davon nicht über KP.2 laufen. Z.B. ein Teil der derzeit langsam zunehmenden "FLiRTTI"-Gruppe unten rechts in der Abbildung. Falls der Selektionsdruck von KP.2 wegführt, könnte JN.1 die bessere Wahl sein. Vielleicht. Aber KP.3, die Variante, die derzeit über die Hälfte aller Infektionen ausmacht, ist ebenfalls kein direkter Abkömmling von KP.2. Trotzdem ist der KP.2-Impfstoff laut den Labortests wirksamer gegen KP.3 als der JN.1-Impfstoff. Es ist eben alles komplizierter, als wir es gerne hätten.

Quelle https://x.com/dfocosi/status/1807054825978290298

Was bedeutet das in der Praxis für uns?

Prognosen sind schwer. Bekanntlich vor allem dann, wenn sie die Zukunft betreffen. Wenn sich schon die internationalen Experten uneins sind, wie sollen wir dann wissen, welche Impfung wann am besten ist?

Erstmal das Wichtigste, die gute Nachricht: Wir haben in Österreich bereits einen aktualisierten Impfstoff! Alle (Hoch-)Risikopersonen, die sich im Frühling keinen Booster geholt haben, sollten sich bald impfen lassen, so wie es Ulrich Elling im weiter oben zitierten Artikel empfiehlt.

Leider verrät das Gesundheitsministerium noch nicht, wie es im Herbst weitergehen wird. Wird auch den KP.2-Impfstoff bestellt? Was ist mit dem für viele Personen besser verträgliche Proteinimpfstoff von Novavax? Darauf bekam die APA auch auf Nachfrage keine klare Antwort.

Impfwillige sollen also selbst schauen, ob man sich jetzt mit dem JN.1-Impfstoff impfen lässt oder doch noch zwei Monate wartet, ob ein KP.2-Impfstoff kommt wird oder nicht, und auch ob ein Novavax-Impfstoff bestellt wird oder nicht (der wäre aber auf jeden Fall JN.1).

Wer möchte, kann zur Entscheidungshilfe einstweilen auf die Abwasserdaten schauen, die zuletzt abflachten. Ob es sich um mehr als eine urlaubsbedingte Schwankung handelt und die Sommerwelle nach einer kurzen Verschnaufpause weiter steigt, werden die nächsten 1-2 Wochen zeigen.

Quelle: österreichisches Abwassermonitoring

Zum Abschluss ein kurzer Blick nach Deutschland: Nicht dass ich extensiv gesucht hätte, aber auf der Webseite des RKI bzw. der Stiko habe ich noch nichts zum Herbstbooster gefunden. Das finde ich schon einigermaßen erstaunlich.