Die Impfung reduziert bei Jugendlichen das Risiko für Long Covid, wird aber in vielen Ländern nicht mehr empfohlen
Eine weitere Studie belegt, dass die COVID-Impfung bei Jugendlichen das Risiko für Long Covid vermindert. In die meisten Impfempfehlungen findet das aber keinen Eingang.
- In der Studie des RECOVER-Programms hatten geimpfte Jugendliche nach COVID-19 ein um 36% geringeres Risiko für Long Covid als eine ungeimpfte Vergleichsgruppe. Nach Bereinigung von statistischen Störfaktoren waren es noch immer 26%.
- Die tatsächliche Risikoreduktion wäre noch größer, da die Impfungen auch einen Teil der Infektionen verhindern.
- Eine weitere, große Studie untersuchte Nebenwirkungen der Impfung bei Jugendlichen. Alle Nebenwirkungen traten nach der Infektion deutlich häufiger auf als nach der Impfung, die Myokarditis fast 5x so häufig.
- In den meisten nationalen Impfempfehlungen wird Long Covid gar nicht erwähnt, COVID-Impfungen für Kinder und Jugendliche sind in der Regel nicht mehr vorgesehen. (Österreich ist da eine der Ausnahmen).
Ja, schon wieder Impfungen und Long Covid. Möglicherweise finden es manche etwas redundant, dass ich zum wiederholten Mal dieses Thema im Blog abhandle: Impfungen schützen nicht nur sehr effektiv vor schweren Verläufen von COVID-19, sie verringern auch das Risiko, an einer der Folgekrankheiten zu erkranken. Und zwar nicht nur bei Risikopersonen, auch bei zuvor gesunden Erwachsenen und auch bei Kindern und Jugendlichen. Zuletzt war das in diesem Artikel das Thema:

Grob gesprochen vermindern die Impfungen das Risiko für Long Covid durch drei verschiedene Mechanismen:
- Sie vermindern die Wahrscheinlichkeit einer Infektion mit SARS-CoV-2. Vor allem in den ersten Monaten nach der Impfung. Und wer sich nicht infiziert, erkrankt auch nicht.
- Im Falle einer Infektion trotz Impfung verläuft COVID-19 in der Regel milder als bei Ungeimpften. Vor allem bei Risikopersonen. Und ein schwerer Verlauf ist mit einer größeren Wahrscheinlichkeit von Langzeitfolgen verbunden.
- Impfungen schwächen längerfristige pathologische Reaktionen auf eine Infektion ab, die auch nach milden Verläufen auftreten und Long Covid auslösen können.

Trotz der guten Evidenz für die Risikoverminderung durch die Impfung findet das in den Impfempfehlungen vieler Länder kaum oder gar keine Beachtung. Dort werden die Impfungen weiterhin lediglich als Mittel zur Verhinderung der schweren Verläufe gesehen. Das ist wichtig, aber eben nur ein Teil des Potenzials der Impfungen. Deutsche Leser dieses Blogs wissen, wovon ich rede. In den aktuell gültigen COVID-19-Impfempfehlung der STIKO vom 11.1.2024 (PDF) kommen Begriffe wie "Long Covid" oder "Post Covid" gar nicht vor. Betreffend der Impfungen für Kinder und Jugendliche liest man dort:
"Säuglingen, (Klein-)Kindern und Jugendlichen ohne Grundkrankheit wird derzeit aufgrund der überwiegend milden Verläufe und des sehr geringen Hospitalisierungsrisikos in dieser Altersgruppe keine COVID-19-Impfung empfohlen."
Das "sehr geringe Hospitalisierungsrisiko" überrascht mich etwas. Deutsche Zahlen habe ich nicht parat. Aber in Österreich sind zwar die Hospitalisierungen von Kindern und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter tatsächlich sehr gering, nicht aber für Säuglinge und Kleinkinder. Die Zahl der alleine 2025 wegen COVID-19 hospitalisierten Kinder von 0 bis 4 Jahren ist fast gleich groß wie die der 60 bis 69-Jährigen. "Sehr gering" ist offenbar ein relativer Begriff.

Davon abgesehen scheint die Risikoverminderung von Long Covid - wie schon erwähnt - keine Beachtung zu finden. Immerhin ist Deutschland damit in guter Gesellschaft mit zahlreichen anderen Ländern, die auf COVID-Impfungen für Kinder verzichten. In manchen werden sie (bei Fehlen von Grunderkrankungen) gar erst ab 60 oder 65 empfohlen, in England sogar erst ab 75.
Vielleicht ist das ein Grund, wieder und wieder auf Impfungen und Long Covid hinzuweisen - gerade bei Kindern und Jugendlichen. Zum Beispiel auf eine jüngst neu erschienene Studie.
Das Risiko für Long Covid bei geimpften Jugendlichen
Die Studie erschien vor wenigen Tagen online (in gedruckter Form wird sie im Dezember publiziert). Eine US-Forschungsgruppe untersuchte, wie oft bei Jugendlichen, die trotz Impfung an COVID-19 erkrankten, Long Covid auftrat. Verglichen wurde das mit ungeimpften Jugendlichen nach COVID-19 ("Preventive effect of vaccination on long COVID in adolescents with SARS-CoV-2 infection"). Diese Studie ist Teil von RECOVER, einem großen Forschungsprojekt des National Institute of Health in den USA zur Erforschung von Long Covid.

Insgesamt wurden 724 Jugendliche von 12 bis 19 Jahren untersucht, die innerhalb der letzten 6 Monate eine COVID-Impfung erhalten hatten und nun an COVID-19 erkrankt waren. Die ungeimpfte Vergleichsgruppe bestand aus 507 Jugendlichen mit COVID-19. Erhoben wurden acht Symptomgruppen (Geruchs-/Geschmacksverlust, Körper-/Gelenkschmerzen, Müdigkeit, Post-exertional Malaise (PEM), Rücken-/Nackenschmerzen, kognitive Schwierigkeiten, Kopfschmerzen und Schwindel). Diese Symptome waren in einer früheren Publikation als die häufigsten Beschwerden im Rahmen von Long Covid bei Jugendlichen erhoben worden, darauf war klinischer Index als Diagnosetool für das Vorliegen von Long Covid bei Jugendlichen erarbeitet worden ("Characterizing Long COVID in Children and Adolescents").
Laut diesem, sehr probaten Diagnosekriterium entwickelten 13,3% der geimpften und 20,7% der ungeimpften Jugendlichen Long Covid. Daraus ergibt sich eine relative Risikoreduktion von 36% durch die Impfungen. Nach einer statistischen Bereinigung von Störfaktoren (die geimpften Jugendlichen kamen im Durchschnitt aus bildungsnäheren Familien mit besserer medizinischer Versorgung) blieb immer noch eine signifikante Risikoreduktion von 26% über. Auch das Auftreten von schwerem Long Covid war bei den geimpften Jugendlichen mit 4,7% geringer als bei den ungeimpften (6,1%). Das war aber aufgrund der relativ geringen absoluten Zahl der Betroffenen zu gering für einen statistisch signifikanten Unterschied.

Die Studie im Kontext
Die Studie reiht sich zu früheren Studien ein, die zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen sind: Die Impfungen verringern - auch bei Jugendlichen - das Risiko an Long Covid zu erkranken. Anders als bei manchen früheren Studien hob die Forschungsgruppe hier allerdings nicht Daten aus elektronischen Gesundheitsakten aus, sondern befragten die Jugendlichen direkt. Wenn verschiedene Methoden zu ähnlichen Resultaten führen, macht das das Ergebnis noch robuster.
Wohlgemerkt waren alle Jugendlichen dieser Studie an COVID-19 erkrankt gewesen. Ein Blick auf die eingangs erwähnten grundlegenden drei Mechanismen der Risikoreduktion durch die Impfung zeigt, dass hier im Wesentlichen nur der dritte Punkt zutrifft: der Einfluss auf die längerfristigen pathologischen Reaktionen der Infektion. Doch die Impfungen verhindern - anders als oft geglaubt - zumindest in den ersten Monaten nach dem Stich auch einen Teil der Infektionen per se. Und eine verhinderte Infektion ist potenziell auch eine verhinderte Erkrankung an Long Covid. In dieser Studie wurden allerdings nur Jugendliche nach COVID-19 untersucht. Die tatsächliche Risikoreduktion wäre also noch größer als die 36% (bzw. 26%).
In einer Presseaussendung sagt Melissa Stockwell, die Seniorautorin der Studie:
"Jeden Tag sehen wir [...] junge Menschen, die nicht in der Lage sind, vollständig an den Aktivitäten teilzunehmen, die ihnen Spaß machen, weil sie mit Long-COVID-Symptomen zu kämpfen haben. [...] unsere Ergebnisse deuten stark darauf hin, dass eine Impfung gegen COVID-19 es viel mehr Jugendlichen ermöglichen könnte, ihr Leben nach einer COVID-Infektion normal zu führen."
Ich bin nur ein Arzt in einem Wiener Gemeindespital und kann bei der Expertise sicherlich nicht mit den Mitgliedern der nationalen Impfgremien mithalten. Aber ich frage mich halt: Warum wird in so vielen Ländern die COVID-Impfung für Kinder und Jugendliche nicht (mehr) empfohlen? Die Studienevidenz sollte inzwischen eigentlich ausreichend sein. Und zwar die Evidenz für die Wirkung und auch die Evidenz gegen die schweren Nebenwirkungen der Impfung.
Nebenwirkungen können – selten, aber doch – auftreten. Das Nutzen/Risiko-Verhältnis ist allerdings beeindruckend. Auch bei Kindern. Nur als Beispiel erschien eben erst eine große englische Studie mit Daten von über 13 Millionen Kindern und Jugendlichen ("Vascular and inflammatory diseases after COVID-19 infection and vaccination in children and young people in England: a retrospective, population-based cohort study using linked electronic health records"). Das Ergebnis: Thrombosen und entzündliche Erkrankungen können nach der Impfung auftreten, aber auch nach COVID. Und zwar nicht nur etwas, sondern um ein Vielfaches häufiger. Thrombosen waren fast 5x so häufig, entzündliche Erkrankungen fast 15x so häufig und auch die immer wieder als Argument gegen die Impfungen ins Spiel gebrachte Myokarditis (Herzmuskelentzündung) war bei Jugendlichen nach COVID fast 5x so häufig wie nach der Impfung.

Inzwischen werden Kinder in England übrigens längst nicht mehr gegen COVID-19 geimpft. Wer keine Vorerkrankungen hat, muss in England bis zum 75. Geburtstag warten, um für die Impfung infrage zu kommen. Da erblasst wohl sogar die deutsche Stiko. Wie in Deutschland ist Long Covid in den englischen Impfempfehlungen keiner Erwähnung wert.
Anders schaut es immerhin beim Nationalen Impfgremium Österreichs aus. Im Impfplan Österreich vom 10.10.2025 (PDF) heißt es kurz, knapp und eindeutig (fast möchte ich meinen: unösterreichisch):

Zu einer expliziten Impfempfehlung für Kinder unter 12 ringt sich das NIG zwar trotzdem nicht durch, aber immerhin:
Die Impfung für Kinder unter 12 Jahren [wird] derzeit nicht explizit empfohlen. Eine Impfung ist jedoch gemäß Zulassung möglich und steht kostenfrei zur Verfügung. Der ausdrückliche Wunsch der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten, das Kind zu impfen, soll als Indikation aufgefasst werden.
Die Impfrate bei Kindern in Österreich ist trotzdem sehr gering. Aber das ist ein anderes Thema.

