Wer geimpft ist, hat auch nach mildem COVID-19 ein geringeres Risiko für Long Covid

Die Impfung reduziert das Risiko für Long Covid. Auch nach einem milden Verlauf, auch bei Kindern und Jugendlichen.

Wer geimpft ist, hat auch nach mildem COVID-19 ein geringeres Risiko für Long Covid
  • In einer neu publizierten Studie wurde prospektiv bei Kindern und Jugendlichen der Schutz der Impfungen vor Long Covid untersucht.
  • Sie senkten das Risiko für mindestens ein anhaltendes Symptom um mehr als die Hälfte, das Risiko für zwei oder mehr Symptome um drei Viertel.
  • Bei Erwachsenen brachten frühere Studien ähnliche Resultate.
  • Auch der Impfschutz gegen Long Covid nimmt mit der Zeit ab.

Impfungen reduzieren das Risiko für Long Covid, aber...

Dass Impfungen nicht nur einen Schutz vor schweren Verläufen von COVID-19 bieten, sondern auch das Risiko für die Langzeitfolgen senken, ist nichts wirklich Neues. Sie senken per se die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren (seit Omikron nicht mehr so gut wie zuvor). Eine nicht erfolgte Infektion ist der bestmögliche Schutz vor Long Covid. Eh klar. Aber auch wenn man sich ansteckt, steigt man als geimpfte Person besser aus, als wenn man nicht geimpft ist. Dazu gibt es eine Reihe an Studien mit unterschiedlichen Ansätzen.

Eine Einschränkung bei vielen dieser Studien: Sie wurden bei Personen durchgeführt, die wegen COVID-19 im Spital gelandet waren. Also eine Selektion von Menschen, die einen schwereren Verlauf hatten. Das sind in den meisten Fällen Menschen, die älter sind, die Vorerkrankungen haben, oder die auch einfach Pech hatten.

Die Zahl dieser schweren Akutverläufe ist durch die Impfungen dramatisch zurückgegangen. Folglich gibt es auch deutlich weniger Fälle jener Form von Long Covid, die eine Folge der Gewebsschädigung bei schweren Verläufen ist. Das ist aber nur eine der Formen von Long Covid, und sie ist schon längst nicht mehr die häufigste.

Mehr zu den verschiedenen Formen von Long Covid gibt es hier zu lesen:

Long Covid: Lost in Definition
Von der Entstehung des Begriffs Long Covid bis zur ultimativen Einteilung der COVID-Langzeitfolgen.

Bei Kindern und Jugendlichen waren schwere Verläufe der Akuterkrankung von Beginn der Pandemie weg die Ausnahmen. Der überwiegende Teil der Infektionen bei jungen Menschen war und ist mild. Sie können dennoch sehr wohl an Long Covid erkranken - in erster Linie an jener Form, die in die Richtung des Chronic Fatigue Syndromes geht.

Wie sehr die Impfungen das Risiko dieser Form von Long Covid senken, wurde in einer Studie untersucht, die vor wenigen Tagen erschienen ist.


Impfungen reduzieren das Risiko für Long Covid bei Kindern

Die Studie erschien im JAMA-Verlag der American Medical Association. Bereits vor etwas mehr als einem Jahr erschien ein Vorbericht zu dieser Studie, den ich damals in einem Blogartikel kurz vorstellte. Nun liegt die vollständige Studie vor.

Link zum Artikel

Die große Stärke der Studie: Hier wurden nicht wie in so vielen Studien zu den Folgen von COVID-19 retrospektiv Daten aus Gesundheitsakten der Versicherungen angeschaut, was immer die Gefahr einer statistischen Verzerrung mit sich bringt. In dieser Studie wurden die Ergebnisse prospektiv erhoben. Insgesamt 622 Kinder und Jugendliche wurden inkludiert, die bis September 2022 ihre erste SARS-CoV-2-Infektion hatten (bei allen war es eine der Omikron-Varianten). Bei keinem einzigen Teilnehmer kam es zu einer schweren Akuterkrankung, 61 der 622 hatten sogar einen asymptomatischen Verlauf.

Die Studienteilnehmer bzw. ihr Erziehungsberechtigten erhielten frühestens 60 Tage nach der Infektion eines Fragebogen zu neu aufgetretenen und anhaltenden Symptomen. 28 der 622, also fast 5% erfüllten dabei die Kriterien für Long Covid.

Die in der Studie abgefragten Symptome im Detail (anklicken)

Respiratorisch: Kurzatmigkeit, laufende oder verstopfte Nase, Husten.

Nicht respiratorisch: Fieber, unerklärlicher Gewichtsverlust oder Gewichtszunahme, Symptomverschlechterung nach körperlicher Aktivität, Energieveränderung, Müdigkeit, Schwindel, "Brain Fog", Veränderung des Schlafmusters, Taubheitsgefühl, Kopfschmerzen, Schwierigkeiten beim Sprechen oder Kommunizieren, Schwierigkeiten beim Schlucken oder Kauen, Gleichgewichtsstörungen, Gedächtnisverlust, Konzentrationsschwierigkeiten, Nervenprobleme (Zittern, abnormale Bewegungen, neue Anfälle), Hörschwäche oder Ohrensausen, Geschmacks- oder Geruchsveränderungen, Herzklopfen, Brustschmerzen oder Engegefühl, Appetitlosigkeit, gesteigerter Appetit, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Verstopfung, Durchfall, Blähungen, Gelenkschmerzen oder -schwellungen, Muskelschmerzen, Beinschwellungen, Haarausfall, Veränderung der Farbe von Fingern oder Zehen, Hautausschlag, Blutergüsse oder Blutungen leicht und Blasenprobleme

Dann wurde analysiert, wie sehr ein kompletter Impfstatus (damals als mindestens zwei Teilimpfungen definiert) das Risiko für das Auftreten von Long Covid beeinflusste. Die geimpften Kinder und Jugendlichen hatten ein um 57% geringeres relatives Risiko des Auftretens von mindestens einem Long Covid-Symptom (adjusted Odds Ratio 0,43). Das relative Risiko für zwei oder mehr Symptome war sogar um 73% geringer (adjusted Odds Ratio 0,27).

Obwohl die Zahl der Probanden relativ klein war, war das Resultat der Studie nicht nur klinisch, sondern auch statistisch signifikant: Impfungen verringern bei Kindern und Jugendlichen das Risiko für Long Covid deutlich. Der Gesamteffekt dürfte dabei sogar noch größer sein, denn alle Studienteilnehmer hatten ja eine Infektion mit SARS-CoV-2 durchgemacht. Die Impfungen reduzieren aber auch die Wahrscheinlichkeit, überhaupt infiziert zu werden, was logischerweise das Risiko für Long Covid weiter reduziert. Ohne Infektion kein post-akutes Infektionssyndrom wie Long Covid.

Jedenfalls kommen die Autor*innen zu folgendem Schluss:

Erhebungen haben gezeigt, dass ein Grund für das Zögern der Eltern bei der COVID-19-Impfung die Vorstellung ist, dass es sich bei COVID-19 bei Kindern in der Regel um eine leichte Erkrankung und eine Impfung daher nicht notwendig sei. Doch selbst eine milde oder asymptomatische SARS-CoV-2-Infektion kann zu postinfektiösen Folgeerkrankungen führen.
Unsere Ergebnisse legen nahe, dass bei Kindern die aktuellen COVID-19-Impfempfehlungen befolgt werden sollten, da die Impfung nicht nur vor schweren COVID-19-Erkrankungen, sondern auch vor der post-Covid schützt.

Die Studie im Kontext

Das Ergebnis passt zum Ergebnis von früheren Studien bei Kindern. In einer großen retrospektiven Studie mit Daten von über einer Million Kindern und Jugendlichen hatten die geimpften Kinder von 5-11 Jahren beispielsweise eine um 23,8% geringere Wahrscheinlichkeit für Long Covid, Jugendliche von 12-17 Jahren hatten gar eine um 50,3% geringere Wahrscheinlichkeit ("Vaccine Effectiveness Against Long COVID in Children").

Wie schaut es bei Erwachsenen aus? Eine rezent erschienen Metaanalyse (eine Studie, die die Resultate mehrerer Einzelstudien zusammenfasst) kam zum Ergebnis, dass zwei Impfdosen das Risiko für Long Covid um 24% verringern ("The effect of pre-COVID and post-COVID vaccination on long COVID: A systematic review and meta-analysis"). Drei Impfdosen hatten einen noch stärkeren Effekt, allerdings war dies aufgrund der geringen Zahl an Probanden in nur drei kleineren, sehr heterogenen Studien statistisch nicht signifikant. Und die verschiedenen Formen von Long Covid wurden hier zudem nicht getrennt - dies wäre auch methodisch gar nicht möglich gewesen.

Studien, die spezifisch das Risiko für die in Richtung ME/CFS-gehende Form von Long Covid erhoben haben, kenne ich nicht. Eine recht kleine italienische Studie untersuchte bei Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens das Risiko für anhaltende Symptome für mehr als 4 Wochen nach einer eher milden COVID-19 ohne Hospitalisierung bei eher jüngeren Personen (im Durchschnitt knapp über 40). Zwei Impfdosen senkten das Risiko um 75%, drei Impfdosen gar um 84% ("Association Between BNT162b2 Vaccination and Long COVID After Infections Not Requiring Hospitalization in Health Care Workers").

Trotz aller eingangs angedeuteten Probleme der Studien zum Nutzen der Impfungen gegen Long Covid zeigt sich doch immer klarer, dass die Impfungen das Risiko deutlich reduzieren. Nicht nur durch die Verhinderung schwerer Verläufe der Akuterkrankung mit ihren Langzeitfolgen, die Impfungen senken auch das Risiko der in Richtung ME/CFS-gehenden Form von Long Covid.

Ein Fragezeichen bleibt, wie lange dieser Teil des Impfschutzes anhält. In der vorher kurz erwähnten großen retrospektiven Studie bei Kindern nahm der Schutz vor Long Covid mit der Zeit deutlich ab. Während die Risikoreduktion 6 Monate nach der Impfung bei 61,4% lag, war nach 18 Monaten kaum mehr eine Wirkung vorhanden. Es wäre überraschend, wenn das bei Erwachsenen anders wäre.

Es scheint also durchaus sinnvoll zu sein, sich zumindest einmal jährlich die Impfung zu holen, auch wenn man zu keiner der sogenannten Risikogruppen gehört. Und offenbar gilt das auch für Kinder und Jugendliche.