"Dings" - Long Covid, Brain Fog und Sprache

"Dings" - Long Covid, Brain Fog und Sprache

Substack-Artikel vom 28.10.2023:

:: Eine neue Studie beschäftigt sich linguistisch mit dem seit 2020 bekannten Phänomen, dass viele Long Covid-Kranke einen Teil ihrer sprachlichen Fähigkeiten verlieren. ::


Von den verschiedenen Symptomen, von denen an Long Covid erkrankte Personen oft betroffen sind, gehören Einschränkungen der sprachlichen Leistung zu den besonders beunruhigenden für viele Betroffene. Bereits in frühen Berichten wie diesem in der NY Times im Oktober 2020 (“I Feel Like I Have Dementia’: Brain Fog Plagues Covid Survivors”) finden sich Berichte wie dieser:

Julia Donahue, 61, of Somers, N.Y., struggles to speak in fluid sentences, painful because she’s long enjoyed playing Abigail Adams in historical programs. “Now, Abigail is just a bunch of dresses in my closet,” she said. “I wouldn’t be able to give a 45-minute address.”

Recently, she couldn’t even recall “toothbrush,” saying to a friend “‘You know, the thing that makes your teeth clean.’”



Julia Donahue, 61, aus Somers, N.Y., fällt es schwer, in flüssigen Sätzen zu sprechen, was schmerzhaft ist, weil sie lange Zeit gern Abigail Adams in historischen Programmen gespielt hat. "Jetzt ist Abigail nur noch ein Haufen Kleider in meinem Kleiderschrank", sagt sie. "Ich wäre nicht in der Lage, eine 45-minütige Rede zu halten."

Kürzlich konnte sie sich nicht einmal mehr an "Zahnbürste" erinnern, als sie zu einem Freund sagte: "Du weißt schon, das Ding, mit dem man die Zähne sauber macht."

Meine an Long Covid erkrankte Tochter erzählte von einem typischen Abend in der Rehab unter lauter Teenagern:

“Du, gibst du mir bitte das… äh… Dings…”

“Meinst du das… äh… du weißt schon?”

“Sophie, setz dich wieder in deinen Rollstuhl! Du fällst sonst wieder um.”

“Ups. Sorry. Habe ich literally vergessen.”

Zur schlimmsten Zeit ihrer Erkrankung hatte meine Tochter zwar kaum Probleme, Smalltalk an Freundinnen und Freunde zu schreiben, aber wenn sie eine förmlichere Nachricht zum Beispiel an eine Lehrperson schicken wollte, kam sie immer wieder hilflos zu mir. Sie wusste, was sie schreiben wollte, schaffte es aber nicht, einen einzigen Satz zu formulieren. Das musste ich dann erledigen.

(Ich habe meine Tochter gefragt, ob ich das schreiben darf. Sie ist einverstanden und findet die Erinnerung an die Dialog bei der Rehab sogar sehr “lustig”. Wahrscheinlich auch, weil sich das Sprachproblem bei ihr inzwischen deutlich gebessert hat.)


Die Sprachprobleme aus linguistischer Sicht

Vor kurzem bin ich über eine unlängst publizierte Studie zu den Sprachproblemen bei Long Covid gestoßen. Das Besondere daran: Es handelt sich um keine medizinische oder neurowissenschaftliche Studie, sondern um sprachwissenschaftliche Tests bei Betroffenen. Und es werden nicht nur Daten und Statistiken aufbereitet, sondern es wird auch ein Eindruck über die Probleme von Betroffenen vermittelt.

A 52-year-old woman recounted how she struggled with concentration and retention of information and was no longer able to read. She was a teacher before developing COVID-19 and had not returned to work 26.5 months after the onset of her COVID illness:

Woman with Long COVID (26.5 months post onset):

“My brain fog means that I can no longer concentrate for very long or retain information that I have read. Before Long Covid I was an avid reader, now I’ve given up as I can’t retain the plot.”



Eine 52-jährige Frau berichtete, dass sie Probleme mit der Konzentration und dem Behalten von Informationen hatte und nicht mehr lesen konnte. Sie war Lehrerin, bevor sie an COVID-19 erkrankte, und war 26,5 Monate nach Ausbruch ihrer COVID-Erkrankung noch nicht wieder an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt:

Frau mit Long COVID (26,5 Monate nach Ausbruch):

"Mein Brain Fog bedeutet, dass ich mich nicht mehr lange konzentrieren kann oder Informationen, die ich gelesen habe, nicht mehr behalten kann. Vor Long COVID war ich eine eifrige Leserin, jetzt habe ich aufgegeben, weil ich die Handlung nicht behalten kann."

Die Studienautorin Louise Cummings hatte zuvor für das Fachbuch COVID-19 and Speech-Language Pathology Sprach- und Kommunikationsschwierigkeiten bei 973 Erwachsenen mit Long Covid erhoben und analysiert, die sich für eine Online-Befragung gemeldet hatten. Wie immer in solchen Fällen meldeten sich natürlich eher Personen mit ausgeprägteren Beschwerden. Die Probanden sind also nicht repräsentativ ausgewählt, und man kann die Ergebnisse nicht allgemein auf Long Covid-Kranke umlegen. Es geht nicht um eine quantitative Erhebung, wie oft die Sprachprobleme auftreten, sondern darum, was für sprachliche Einschränkungen auftreten.

Entsprechend war Gesundheit der Freiwilligen in der Selbsteinschätzung besonders stark reduziert, ebenso der Abfall der sprachlichen Fähigkeiten.

Wortfindungsstörungen, Vergesslichkeit und Konzentrationsstörungen waren bei ihnen aus eigener Sicht besonders häufig.

Nun erschien die zu Beginn angesprochene Folgestudie zu dieser Erhebung (“Cognitive-linguistic difficulties in adults with Long COVID: A follow-up study”). 41 der 973 oben beschriebenen Personen mit Long Covid absolvierten zu Studienbeginn und nach 6 Monaten eine Reihe von sprachlichen Tests. Die Ergebnisse wurden mit jenen von 26 Personen verglichen, die nicht an COVID-19 erkrankt gewesen waren.

Die Personen mit Long Covid waren sowohl zu Studienbeginn als auch nach 6 Monaten signifikant schlechter beim Nacherzählen einer kurzen Geschichte sofort nach dem Hören und am Ende der Tests. Die zu Beginn noch deutlichen Wortfindungsstörungen und verminderten Diskursfähigkeiten besserten sich im Verlauf der 6 Monate und waren nun statistisch nicht mehr schlechter als bei den Vergleichspersonen.

Hinter der Statistik verbergen sich Personen. Auch wenn die Sprachprobleme insgesamt besser wurden, hatten einige Betroffene weiterhin Schwierigkeiten. Die Studienautorin wird dem gerecht, indem sie konkrete Beispiele bringt. Zum Beispiel eine 56jährige Volksschullehrerin und ihre Schwierigkeiten, Gegenstände zu benennen:

Diese Schwierigkeiten schlugen sich in den Testergebnissen nicht nieder, da sie ja letztlich die richtigen Wörter fand. Dass sie aber ihren Beruf als Lehrerin kaum mehr ausüben konnte, ist nachvollziehbar.

Oder diese 58jährige Arzthelferin, die Sätze mit den vorgegebenen Wörtern bilden soll:

Schließlich beschreibt sie die Probleme der Betroffenen, wieder ins Berufsleben einzusteigen:

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Und auch, wie es einige doch geschafft haben - wenn auch in den meisten Fällen mit ziemlichen Schwierigkeiten und viel Unterstützung:

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Schlussfolgerungen

Ich bin naturwissenschaftliche Studien gewohnt. Dieser Studie fehlt im Vergleich dazu einiges an Präzision. Sie erinnert mich an die ganz frühen Long Covid-Studien, als es erstmal darum ging, sich der neuen Krankheit anzunähern. Spätere Studien waren dann viel konkreter.

Auch diese Studie weist einige strukturelle Schwächen auf. Aber - ähnlich wie die frühen Long Covid-Studien - öffnet sie einen Bereich, der bisher bei all dem medizinisch-wissenschaftlichen Focus auf Fatigue, Herzrhythmus, Mikrothromben und Hirnveränderungen in der Magnetresonanztomografie etwas untergegangen sind, für die Betroffenen aber von großer Bedeutung ist.

Konzentrationsstörungen und Sprachprobleme sind ein häufiger Grund, warum Menschen mit Long Covid nicht mehr zu ihrem früheren (Berufs-)Leben zurückfinden.

Das zeigt diese Studie eindrücklich.