Langzeitfolgen von COVID-19 und Influenza im Vergleich; Kinder, Impfung und Long Covid

Langzeitfolgen von COVID-19 und Influenza im Vergleich; Kinder, Impfung und Long Covid

Substack-Artikel vom 21.12.2023:

Zwei neue Studien: COVID-19 und Influenza können schwere Langzeitfolgen haben, COVID aber häufiger :: Long Covid ist bei geimpften Kindern seltener als bei ungeimpften.


Langzeitfolgen von COVID-19 im Vergleich mit der Grippe

Seit Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie begleiten uns die Vergleiche von COVID-19 mit der Influenza. Meist verpackt in die unsägliche Aussage, COVID-19 wäre “so harmlos wie eine Grippe”. Diese Aussage ist gleich doppelt falsch. Weil Influenza eine heftige Krankheit ist, der Jahr für Jahr tausende Personen zum Opfer fallen, und weil COVID-19 trotzdem noch ein Eckhaus heftiger ist.

Der Vergleich Grippe / COVID-19 geht aber auch anders. Vor wenigen Tagen erschien eine Studie, in der die Langzeitfolgen bei Personen, die wegen einer Grippe stationär aufgenommen wurden, mit denen bei stationär behandelten COVID-19-Kranken verglichen wurden (“Long-term outcomes following hospital admission for COVID-19 versus seasonal influenza: a cohort study”).

Wie in so vielen anderen Studien wurde hier auf die enorme Datenmenge der Gesundheitsdaten von US-Veterans zurückgegriffen. Über 80.000 von Beginn der Pandemie bis Juni 2022 wegen COVID-19 stationär aufgenommene Veterans wurden mit knapp 11.000 vor der Pandemie wegen Influenza stationären Veterans verglichen.

Dabei zeigte sich sowohl bei der Grippe als auch bei COVID-19 eine beträchtliche Sterberate bei diesen Personen mit schweren, hospitalisierungsbedürftigen Verläufen. Nach einem Jahr waren 15,5% der wegen Influenza und 23,8% der wegen COVID-19 aufgenommenen Personen tot.

Sterberaten bei COVID-19 und saisonaler Grippe. Die Ereignisraten pro 100 Personen werden für COVID-19 (rot) und die saisonale Influenza (blau) dargestellt.

Bei einem Blick auf die Auswirkungen der Erkrankung auf verschiedene Organsysteme waren die Folgen von COVID-19 bei fast allen heftiger, insbesondere bei Störungen der Blutgerinnung (also v.a. Thrombosen und Embolien), des Verdauungssystems, des Bewegungsapparats, des Nervensystems und bei Erschöpfungszuständen (Fatigue). Nur die Lungen wurden durch die Influenza stärker in Mitleidenschaft gezogen. Hier zeigt sich deutlich, dass COVID-19 nicht primär eine Erkrankung der Atemwege ist, sondern eine Multiorganerkrankung.

Ereignisraten von Gesundheitsschäden nach Organsystemen und über alle Organsysteme hinweg bei COVID-19 und saisonaler Grippe. Ereignisraten pro 100 Personen für die COVID-19-Gruppe (rot) und die saisonale Influenza (blau) in jedem Organsystem.

Die Studie und ihre Resultate sind beeindruckend. Man sollte aber beachten, dass es sich wie in allen der Veterans-Studien um eine recht spezielle Personengruppe handelt: um alte weiße Männer. Das Durchschnittsalter lag bei 70 Jahren, 95% waren männlich. Und vor allem wurden nur Personen angeschaut, die wegen der Infektion im Spital aufgenommen waren. Es waren also Personen, die von Vornherein aus mehreren Gründen ein hohes Risiko für die Langzeitfolgen hatten.

Nichtsdestotrotz zeigt sie sehr schön, dass so wie COVID-19 auch die Influenza nicht nur in der Akutphase der Infektion, sondern lange darüber hinaus zu signifikanten gesundheitlichen Problemen führen kann. COVID-19 macht das eben noch deutlich häufiger. Erst recht wenn man bedenkt, dass kaum jemand häufiger als ein- bis zweimal in einem Jahrzehnt an der Influenza erkrankt, während es bei COVID-19 eher alle ein bis zwei Jahre passiert. Dank an X-User “DcrInYYC” der auf diesen Punkt hinwies (Tweet via trackingfreiem Nitter).

Jedenfalls ist die Arbeit ein Hinweis darauf, dass Langzeitfolgen viraler Infektionen bislang bis auf wenige Ausnahmen weit unterschätzt worden sind. Und es ist eine Erinnerung daran, dass man zweimal überlegen sollte, bevor man die Grippe und erst recht COVID-19 als harmlos bezeichnet.


Impfungen reduzieren auch bei Kindern das Risiko, an Long Covid zu erkranken

Eine ganz andere, aber nicht minder wichtige Forschungsarbeit ist bisher erst als Abstrakt, also als Kurzzusammenfassung erschienen. Hinter dem sperrigen Titel “COVID-19 mRNA Vaccination Reduces the Occurrence of Post-COVID Conditions in U.S. Children Aged 5-17 Years Following Omicron SARS-CoV-2 Infection, July 2021-September 2022” verbirgt sich eine Studie, in der nicht weniger gezeigt wurde, als dass die mRNA-Impfungen bei Kindern und Jugendlichen das Risiko deutlich reduzierte, ab einem Monat nach einer Erkrankung an COVID-19 an neuen und anhaltenden Symptomen zu leiden. Eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen machten von Juli 2021 bis September 2022 einen wöchentlichen PCR-Test. 622 positiv getestete Kids (bzw. deren Eltern) führten dann bis Mai 2023 ein Symptomtagebuch.

4,5% entwickelten mindestens ein anhaltendes Symptom nach der Infektion. Dabei hatten die geimpften im Vergleich zu den ungeimpften Jugendlichen ein um ein Drittel geringeres Risiko für mindestens ein anhaltendes Symptom und ein halb so großes Risiko für 2 oder mehr anhaltenden Long Covid-Symptome. Wahrscheinlich ist die tatsächliche Risikoreduktion noch größer, denn jene Kids, die sich dank der Impfung gar nicht angesteckt haben, sind in dieser Erhebung nicht berücksichtigt.

Zusammengefasst erhärtet diese Studie die Evidenz, dass auch Kinder von der Impfung profitieren. Damit bestätigt sie eine frühere, gänzlich anders konzipierte Studie zu Impfungen und Long Covid-Risiko bei Jugendlichen. Mehr zu dieser früheren Studie hier.


Das Problem der Definition von Long Covid

Die beiden Studien könnten in ihrem Ansatz nicht unterschiedlicher sein. Hier die schwere Verläufe bei alten Männern, da milde Verlaufe bei Kindern und Jugendlichen. Hier werden Folgekrankheiten über einen Zeitraum bis zu eineinhalb Jahre nach der Infektion erhoben, da für mindestens einen Monat anhaltende Symptome. Und doch werden beide unter dem Thema Long Covid zusammengefasst. Das liegt an dessen ursprünglicher Definition.

Die frühen Betroffenen der ersten beiden Wellen wollten geprägt von meist schlechten Erfahrungen im Medizinbetrieb möglichst alle Menschen mit anhaltenden oder neuen Beschwerden vertreten und schufen mit Long Covid einen Sammelbegriff, der im Grunde verschiedene Krankheiten umfasst. Ich habe darüber schon mehrmals geschrieben, unter anderem hier:

Die Impfung reduziert das Risiko an LongCovid zu erkranken. Auch bei Kindern.
Substack-Artikel vom 13.10.2023: Verschiedene Kategorien von Long Covid, wie gut die Impfungen vor Long Covid schützen und warum eine neue Studie zum Risiko bei Kindern auch für Erwachsene wichtig ist. Eine vor kurzem als Preprint erschienene Studie zu den SARS-CoV-2-Impfungen bei Kindern zeigt eine deutlich Reduktion des Risikos,

Man könnte (sollte?) Long Covid in drei große Gruppen unterteilen (mit Überlappungen und Mischformen):

  1. Die nach einem oft milden Verlauf von COVID-19 auftretenden Symptome, die in die Richtung des Chronic Fatigue Syndroms gehen oder sogar dem Vollbild von ME/CFS entsprechen.
  2. Anhaltende Symptome durch die Gewebsschädigung nach einem meist schwereren Verlauf von COVID-19.
  3. Die Verschlechterung einer vorbestehenden Krankheit oder das neue Auftreten einer Folgekrankheit.

Meiner Meinung nach wäre es langsam an der Zeit, sich von der ursprünglichen Definition zu verabschieden, weil die Symptome, die Ursachen und auch Diagnostik und Therapie zu unterschiedlich sind. Für mein Verständnis entspricht nur die erste der obigen Kategorien dem eigentlichen Long Covid als eigene Entität (vielleicht auch, weil meine Tochter von dieser Form betroffen ist). Alle drei Gruppen sind Teil des breiten Überbegriffs der Post-Covid-Erkrankungen. Ihnen gemeinsam ist, dass sie durch Präventionsmaßnahmen und Impfungen verhindert werden können.

Die Autoren der oben vorgestellte Veteranenstudie sprechen übrigens auch gar nicht mehr von “Long Covid”, sondern allgemein von “Langzeitfolgen”. Möglicherweise aus ähnlichen Überlegungen.