Lisa-Maria Kellermayr
22.10.1985 - 29.07.2022
Lisa-Maria starb heute vor zwei Jahren. Sie hielt Hetze und Bedrohungen von Impfgegnern und Coronaleugnern nicht mehr aus.
Den Text habe ich voriges Jahr geschrieben. Hier bringe ich ihn unverändert noch einmal.
Wir kannten uns nicht persönlich, im real life. Wir waren lediglich Teil einer Twitter-Bubble von österreichischen Ärzt:innen, die versuchten, Infos aus erster Hand zur Pandemie weiterzugeben, wissenschaftliche Neuigkeiten zu COVID-19 zu verbreiten, und über Maßnahmen zu informieren. Vor allem über die Impfungen.
Wir alle bekamen unseren Teil an Beleidigungen und Untergriffen ab. Uns, die wir uns schon in der ersten Zeit der Pandemie freiwillig und täglich in unserem Beruf dem Virus ausgesetzt hatten, als andere mit Klopapierhamsterkäufen beschäftigt gewesen waren, wurde nun eine Angststörung angedichtet. Wir wurden als Dr.Mengele und Impfnazi bezeichnet. Uns wurde eine Verurteilung vor einem Nürnberger Volkstribunal angekündigt (Als Österreicher vor ein deutsches Gericht? Auch schon egal.) Die Frauen unter uns erfuhren darüber hinaus verbale Beleidigungen auf einer sexuellen Ebene.
Das alles war nicht angenehm, oft störend, aber meist nicht wirklich belastend. Dachte ich zumindest vor meinem Rückzug von Twitter, als ich erst merkte, dass all die Beleidigungen doch mehr an mir gezehrt hatten, als ich es bis dahin selber wahrgenommen hatte.
Lisa-Maria traf das alles auch. Und noch viel mehr.
Im Unterschied zu uns wurde sie von einer Meute an Querdenkern zu ihrem Angriffsziel Nummer 1 auserkoren. Über den üblichen Twitter-Hass hinausgehend wurde sie in Telegram-Gruppen zum virtuellen Abschuss freigegeben, erhielt detaillierte Morddrohungen an ihre Adresse. Die aus eigener Tasche bezahlte Security ihrer Ordination nahm angeblichen Patienten Stanley-Messer ab. Auf die Straße traute sie sich sowieso nicht mehr; sie schlief im neu errichteten Panic-Room der Ordi.
Sie suchte Unterstützung bei der Polizei und bei der oberösterreichischen Ärztekammer. Beide verlautbarten öffentlich, Lisa-Maria solle halt nicht so viel an die Öffentlichkeit gehen. Man müsse ja nicht “bei jedem Thema was auf Twitter schreiben”, meinte ein hoher Ärztekammerfunktionär, auf dem Papier ihr Interessensvertreter, während sie - weiterhin und bis zum Schluss ohne Polizeischutz - dem Terror ausgeliefert war.
Einen Monat vor ihrem Tod sperrte sie ihre Ordination zu. Weder ihr noch ihren Mitarbeiter:innen war der Psychoterror weiter zuzumuten. Alle weiteren Pläne, aus der Abwärtsspirale herauszukommen, zerschlugen sich.
Am 29.07.2022 wurde Lisa-Maria tot aufgefunden. Natürlich in ihrer Ordi. Sie hatte sich umgebracht.
Als die Nachricht sich am späten Nachmittag verbreitete, waren wir in Schockstarre. Die österreichische Twitter-Medizin-Bubble fiel auseinander - nicht nur, aber auch wegen Lisa-Marias Tod. Einige zogen sich völlig aus der Öffentlichkeit zurück, andere suchten sich andere Projekte und Plattformen.
Die Welt war nach ihrem Tod nicht mehr dieselbe.
Ihre Geschichte wird bleiben. Als Zeichen für Mut und Standhaftigkeit. Und als Zeichen für Hass, Bosheit und Feigheit, die in der Pandemie an die Oberfläche kamen und am Ende selbst die mutigste und standhafteste unter uns brachen.
Der Kommentar auf puls24.at von Corinna Milborn und Magdalena Punz, der am Tag nach Lisa-Marias Tod erschienen ist, gehört für mich zum Besten, was der österreichische Journalismus herausgebracht hat.
Suizidprävention auf www.gesundheit.gv.at/leben/suizidpraevention
Telefonseelsorge: 142 (Notruf), täglich 0–24 Uhr, online unter www.telefonseelsorge.at
Notdienst des Psychosozialen Dienstes in Wien: 01 31330, täglich 0–24 Uhr, online unter www.psd-wien.at