Luft - vom Miasma bis zum Aerosol

Luft - vom Miasma bis zum Aerosol

Substack-Artikel vom 05.10.2023:

:: Ein kurzer historischer Abriss über saubere Luft und Krankheiten :: Aus der Pandemie lernen oder besser weiter machen wie 2019? :: Plakette für Saubere Luft der IGÖ


Im Jahr 2020, als wir noch mit FFP3-Masken, Schutzbrillen und doppelt übereinander gezogenen Handschuhen die COVID-19-Kranken im Spital versorgten, dachte ich, dass wir aus SARS-CoV-2 etwas lernen würden. Ich dachte, das Bewusstsein für über die Luft übertragene Erreger würde dazu führen, dass wir auch nach der Pandemie zumindest in neuralgischen Bereichen im Spital weiterhin Masken tragen würden. So selbstverständlich wie wir Gummihandschuhe tragen, wenn Wunden versorgt werden.

Ich habe mich getäuscht. Nur mehr wenige im Gesundheitswesen tragen Masken, FFP2 schon gar nicht. Während es selbstverständlich ist, dass das Trinkwasser sauber sein soll und dass die Kinder bereits im Krippenalter auf das Händewaschen trainiert werden, scheint die Luft nicht als Träger von Erregern im kollektiven Bewusstsein zu sein.

Dabei war das zwei Jahrtausende lang anders.


Von Miasmen zur Tröpfchenübertragung und zurück zur Übertragung über die Luft

Abriss über die historischen Vorstellungen der Krankheitsübertragung in der westlichen Welt. Aus https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/ina.13070

Für über 2000 Jahre fürchtete man sich vor allem vor Miasmen, giftigen Ausdünstungen aus dem Boden oder besser gesagt aus der Unterwelt, mit denen man so gut wie alle Krankheiten zu erklären versuchte, die viele Menschen gleichzeitig betrafen. Die Pestärzte versuchten, sich durch mit Kräuter gefüllten, schnabelähnliche Masken vor den Miasmen zu schützen. Wer es sich leisten konnte, flüchtete vor der Pest oder der Cholera aufs Land, um den Miasmen zu entkommen. Heute wissen wir, dass beide Krankheiten nicht über die Luft übertragen werden.

undefined
Quelle Wikipedia

Mitte des 19.Jahrhunderts erkannte Ignaz Semmelweis hier in Wien durch empirische Beobachtung, dass das Kindbettfieber durch die ungewaschenen Hände der Ärzte hervorgerufen werden kann. Fast gleichzeitig entdeckte John Snow in London die Übertragung der Cholera durch Wasser. Beide starben, bevor sich ihre bahnbrechenden Erkenntnisse durchgesetzt hatten. Das geschah erst durch die Forschung der Pioniere der Keimtheorie wie Louis Pasteur und Robert Koch. Mikroorganismen wurden auf den Händen, im Wasser, in Nahrungsmitteln und im ausgehusteten oder ausgeniesten Sekret der Atemwege nachgewiesen. Durch letzteres wurde das Konzept der Tröpfcheninfektion begründet.

Dass die Keime in der Luft schweben bleiben könnten, wurde nun von vielen negiert. Miasmen waren schließlich eine überwundene Vorstellung aus vorwissenschaftlichen Zeiten. Und die winzigen Viren wurden erst mit der Erfindung des Elektronenmikroskopie in den 1930er Jahren direkt nachgewiesen.

Da war es aber schon zu spät. Der unbestreitbare Erfolg in der Seuchenbekämpfung durch Händewaschen, Flächendesinfektion und OP-Masken gegen die Tröpfchen führte dazu, dass die Übertragung durch die Luft nun als unwissenschaftliche Vorstellung abgetan wurde. Immer wieder stößt man dabei auf den Epidemiologen Charles V Chapin. Er sah über die Luft übertragbare Erreger als Gefahr für seinen Feldzug gegen die Kontaktinfektion, ignorierte die auch damals schon ausreichend vorhandene Hinweise auf eine Übertragung von Krankheiten wie Masern oder Tuberkulose über die Luft. Wer auf diese hinwies, wurde verspottet und lächerlich gemacht.

https://www.influenzaarchive.org/images/large/providence001.jpg
Charles V Chapin, zufrieden mit sich selbst.

Chapin erhielt zahlreiche Ehrungen und wurde bis lange nach seinem Tod als der größte amerikanische Epidemiologe bezeichnet. Die von ihm propagierten Vorstellungen wirkten sich bis zum Beginn der COVID-Pandemie auf offizielle Empfehlungen aus.

Wir an der Front schützten uns von Anfang an so gut es ging vor den Aerosolen. Dagegen dauerte es Monate bis auch die WHO der Allgemeinheit das Tragen von FFP2-Masken empfahl. Erst mehr als ein Jahr nach Beginn der Pandemie bezeichnete die WHO COVID-19 endlich offiziell als airborne disease.


Wir vergessen das Gelernte, so schnell es geht

Nicht nur COVID-19, sondern auch viele andere über die Atemwege übertragenen Krankheiten können über Aerosole übertragen werden. Ein über SARS-CoV-2 hinausgehender Paradigmenwechsel steht an. Oder wie es am Ende des Artikels What were the historical reasons for the resistance to recognizing airborne transmission during the COVID-19 pandemic? heißt, der einen hervorragenden historischen Überblick über das Thema bietet:

Not only are respiratory diseases not transmitted exclusively by droplets, but also it is likely that many or most respiratory diseases have an important, if not predominant, airborne component of transmission. […] This new paradigm has major implications for the regulation and control of air quality in indoor spaces, by proper ventilation, filtration, and other means, as well as for PPE for workers and masking by the public.

Nicht nur, dass Atemwegserkrankungen nicht ausschließlich durch Tröpfchen übertragen werden, es ist auch wahrscheinlich, dass viele oder die meisten Atemwegserkrankungen eine wichtige, wenn nicht sogar überwiegende, Übertragung über die Luft haben. […] Dieses neue Paradigma hat erhebliche Auswirkungen auf die Regulierung und Kontrolle der Luftqualität in Innenräumen durch angemessene Belüftung, Filterung und andere Mittel sowie auf die persönliche Schutzausrüstung der Arbeitnehmer und die Maskierung der Bevölkerung.

Das wäre ja nicht ganz neu. Die Autoren einer Studie von 2017 (“Hospital-Acquired Respiratory Viral Infections: Incidence, Morbidity, and Mortality in Pediatric and Adult Patients”) stellten kurz und prägnant fest:

Nosocomial respiratory viral infections are an underappreciated cause of morbidity and mortality in hospitalized adult and pediatric patients.

Nosokomiale Virusinfektionen der Atemwege sind eine unterschätzte Ursache für Morbidität und Mortalität bei hospitalisierten erwachsenen und pädiatrischen Patienten.

In der Pandemie wurde also eigentlich schon vorhandenes Wissen zu Aerosolen und Krankheitsübertragung erweitert und vertieft.

Und was passierte mit diesen Erkenntnissen dort, wo sich am meisten besonders vulnerable Personen aufhalten - in den Spitälern und sonstigen Gesundheitseinrichtungen?

Kaum brachte die Pandemie unsere Spitäler nicht mehr zum Zusammenbruch, wurde all das Erlernte wieder bei Seite geschoben. Nach der Beendigung der Maskenpflicht im Patientenkontakt verschwanden die Masken als präventive Maßnahme innerhalb weniger Tage fast völlig aus den Spitälern. Sogar dort, wo besonders vulnerable Menschen wie Immunsupprimierte oder Krebskranke behandelt werden. Selbst von unserer Krankenhaushygiene, die zurecht peinlich genau auf die Einhaltung der Händehygiene und auf allerlei Maßnahmen zur Eindämmung von multiresistenten Bakterien achtet, kam der aufmunternd gemeinte Hinweis: “Ihr müsst nicht mehr.”

Anleitung zum Hände desinfizieren. So geht es richtig! | Blog | mundizio.de
Aber beim Händedesinfizieren sind wir wirklich gut.

In medizinischen Fachjournalen tauchten dabei erste zögerliche Artikel auf, in denen für eine Beibehaltung von Masken im Patientenkontakt argumentiert wurde. Oft versehen mit dem defensiven Zusatz, dass man die Masken - wenn schon nicht immer - wenigstens bitte bitte in der “Virensaison” (die es bei COVID-19 im übrigen bisher nicht wirklich gibt) tragen solle. (Z.B. in den Annals Of Internal Medicine “For Patient Safety, It Is Not Time to Take Off Masks in Health Care Settings” oder im New England Journal Of Medicine “Strategic Masking to Protect Patients from All Respiratory Viral Infections”).

Andere propagieren offen die Rückkehr zum Status vor der Pandemie, weil - ihr ahnt es schon - COVID-19 inzwischen endemisch wie die Influenza sei. (Z.B. “Universal Masking in Health Care Settings: A Pandemic Strategy Whose Time Has Come and Gone, For Now”).

Der ständige Vergleich von SARS-CoV2 mit der Influenza führt dazu, dass man mit SARS-CoV-2 wie bis 2019 mit der Influenza umgehen will, anstatt sich zu überlegen, ob nicht eben dieser Umgang mit der Influenza und anderen Viren ein Problem gewesen ist. Können wir durch die COVID-19-Pandemie nicht auch etwas in unserem Umgang mit der Grippe lernen? Oder gar im Umgang mit anderen über die Luft übertragene Infektionen? Auch RSV z.B. ist für Vulnerable kein Spaß.

Wir haben - zumindest in meinem Umfeld - in den letzten 20-30 Jahren viel im Umgang mit den multiresistenten Krankenhauskeimen gelernt. Wir screenen, isolieren, versuchen zu eradizieren. Wir werden trainiert, vor und nach dem Überziehen der Gummihandschuhe unsere Hände zu desinfizieren, damit ja kein noch so kleines Bakterium den Weg durch das Gummi findet. Weil wir wissen, dass diese Keime zu einem echten Problem für unsere Patient:innen werden können.

Auch meine Abteilung ist ein Preisträger der jährlichen Aktion Saubere Hände. Vielleicht sind aber eh alle Teilnehmer Preisträger.

Warum wollen wir nichts aus der in absoluten Zahlen weit gefährlicheren über Aerosole übertragene Krankheiten lernen und uns weiterhin selbst in den Spitälern wie vor 2020 verhalten?

In einem ganz aktuellen Artikel in den Annals of Internal Medicine bringt eine Gruppe von Mediziner:innen aus Seattle auf den Punkt, was sie von der Empfehlung halten, so weiter zu machen wie bis 2019 (“Lessons From the COVID-19 Pandemic: Updating Our Approach to Masking in Health Care Facilities”):

This recommendation assumes that our prepandemic approach to preventing hospital-acquired respiratory viral infections was adequate. In fact, it is likely that before the pandemic, we vastly underappreciated the degree of harm caused by hospital-acquired respiratory viral infections that were preventable by masking among patients and HCWs.

Diese Empfehlung geht davon aus, dass unser Ansatz zur Prävention von im Spital erworbenen Atemwegsinfektionen vor der Pandemie adäquat war. In der Tat ist es wahrscheinlich, dass wir vor der Pandemie das Ausmaß der Schäden durch in Krankenhäusern erworbene respiratorische Virusinfektionen, die durch Masken bei Patienten und medizinischem Personal vermeidbar wären, bei weitem unterschätzt haben.

Masken sind nicht alles

Masken sind nur eine der Forderungen zur Prävention von aerosolübertragenen Krankheiten in einem offenen Brief an die Ärztekammer. Mehr dazu hier:

Wir wünschen uns: Lufthygiene und Masken im Gesundheitswesen, Aufklärung der Bevölkerung und Schulung des Gesundheitspersonals
Substack-Artikel vom ß7.09.2023: :: Ein offener Brief von Ärzt:innen an die österreichische Ärztekammer :: Die Wiener Ärztin Golda Schlaff hat gemeinsam mit ihrer Kollegin Spela Salamon einen offenen Brief an die Ärztekammer geschrieben, den eine Gruppe von weiteren Ärzt:innen mitunterzeichnet haben. Die COVID-19-Pandemie mit all ihren kurz-, mittel

Die Initiative Gesundes Österreich (IGÖ) vergibt eine Plakette für Saubere Luft, mit der Ordinationen, Betriebe, Cafes etc. ausgezeichnet werden sollen, die sich um saubere Luft (Masken, Filteranlagen, CO₂-Messungen usw.) kümmern. Die Seite ist noch im Aufbau - unschwer daran zu erkennen, dass es erst einen einzigen Eintrag gibt.

Falls wer einen solchen Ort kennt oder selbst betreibt → bitte auf der Webseite eintragen oder hier melden!