Mikroplastik in der Halsschlagader

Eine neue Studie im NEJM zeigt: Mikroplastik findet sich häufig in Plaques der Halsschlagader und erhöht das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Tod um das 4,5fache. Ein Grund für einen Artikel abseits des üblichen Themas dieses Blogs.

Mikroplastik in der Halsschlagader

Mikroplastik ist überall

Kunststoff ist überall. Und wo Kunststoff ist, entstehen Mikroplastik (Teilchen kleiner 5000µm) und Nanoplastik (kleiner 1µm). Beides entsteht bei jedem mit dem Auto zurückgelegten Kilometer durch Reifenabrieb als Teil des Feinstaubs (insgesamt ein Drittel der weltweiten Menge), es entsteht wenn wir Kleidung mit Kunststofffasern waschen (ein Viertel der weltweiten Menge) und gelangt so in die Luft, ins Wasser und in die Nahrung. Wir nehmen es mit jedem Schluck aus einer PET-Flasche zu uns. Mikroplastik ist in Zahnpasten für besonders weiße Zähne und in Babywindeln.

Mikroplastik wurde in der Tiefsee gefunden und im Eis der Arktis. Es macht in manchen Gegenden über 3% des Sandes von Sandstränden aus. Es findet sich in Fischen und Vögeln, die wir dann wiederum essen. Es wurde auch schon in verschiedenen Organen von Menschen gefunden, in Lunge und Darm sowieso, aber auch im Blut und in der Plazenta. Mikroplastik ist überall. Studien an Zell- und Gewebskulturen zeigen, dass Mikroplastik zu Entzündungsreaktionen und oxidativem Stress führt. Untersuchungen an Tieren führen zu ähnlichen Ergebnissen. Klinische Studien am Menschen fehlten bisher aber fast völlig.


Mikroplastik in der Halsschlagader

Im New England Journal of Medicine erschien nun eine spektakuläre klinische Studie aus Italien, in der erstmals Mikro- und Nanoplastik in atherosklerotischen Plaques von Menschen nachgewiesen und deren klinische Folgen untersucht wurde ("Microplastics and Nanoplastics in Atheromas and Cardiovascular Events").

Atherosklerotische Plaques, oft nicht ganz korrekt als Gefäßverkalkung bezeichnet, sind cholesterinhältige Entzündungsareale der Arterieninnenwand, die die Blutgefäße verengen sowie auch durch dort entstehende Blutgerinnsel komplett verschließen können. Die Folgen sind u.a. Herzinfarkt oder Schlaganfall.

In der Studie wurde bei 257 Personen mit hochgradiger, aber noch asymptomatischer Einengung der Halsschlagader eine Endarterektomie durchgeführt, also ein chirurgischer Eingriff an der Schlagader, bei der die einengende Plaque entfernt wird. Diese Plaques wurden im Rahmen der Studie untersucht, bei den Patientinnen und Patienten wurde über den Zeitraum von rund drei Jahren erhoben, wie viele einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erlitten, bzw. wie viele verstarben.

In den Plaques von 150 der 257 Personen (=58,4%) wurde Mikro- und vor allem Nanoplastik (MNP) aus Polyethylen gefunden, 31 (12,1%) hatten zusätzliche Polyvinylchlorid.

Die Pfeile zeigen auf Mikroplastik in elektronenmikroskopischen Fotos.

Im Vergleich zu den Personen mit Plaques ohne MNP hatten sie deutlich höhere Entzündungsmarker (A-D in der Abbildung), weniger das Gewebe stabilisierendes Kollagen (E) und mehr Entzündungszellen (F-G).

In der klinischen Verlaufskontrolle erlitten 7,5% der Personen ohne MNP in den Plaques einen der drei klinischen Endpunkte (Herzinfarkt, Schlaganfall oder Tod), bei jenen mit MNP waren es 20%. Errechnet wurde daraus ein 4,5x höheres Risiko, dass einer der drei Endpunkte auftritt.


Fazit

Die Studie ist die erste, die Mikroplastik und insbesondere Nanoplastik in atherosklerotischen Plaques von Patientinnen und Patienten nachgewiesen und prospektiv die direkten klinischen Folgen untersucht hat. Die Ergebnisse der Studie finde ich durchaus beunruhigend. Das Plastik trägt zur Entzündungsreaktion in den Plaques bei, Personen mit Nanoplastik in den Plaques haben ein deutlich erhöhtes Risiko für schwere Gefäßkomplikationen.

Mikroplastik entwickelt sich nach dem menschengemachten Klimawandel zur zweiten globalen Umweltkrise. In einem begleitenden Editorial im NEJM ("Plastics, Fossil Carbon, and the Heart") wird darauf hingewiesen, dass 1950 jährlich noch weniger als 2 Millionen Tonnen an Plastik produziert wurden, jetzt sind es 400 Millionen Tonnen. In einem einzigen Jahr. Bis 2040 wird eine weitere Verdoppelung auf 800 Millionen Tonnen jährlich prognostiziert, sofern keine Schritte zur Eindämmung unternommen werden.

Globale Kunststoffproduktion und Akkumulation des bisher produzierten Kunststoffs.

Nicht irgendeine Umwelt-NGO, sondern die OECD weist darauf hin, dass angesichts der langsam aber doch laufenden Abkehr von fossilen Brennstoffen der Druck der Industrie zum Ausbau der auf Erdöl basierenden Kunststoffproduktion zunimmt. Das wird der Industrie auch von den Konsumenten leicht gemacht, weil Plastik praktisch und billig ist. Ähnliche Argumente kennen wir von der Klima- und Verkehrsdebatte.

Die nun erschienene Studie hebt das Wissen über die schädliche Wirkung von Mikroplastik auf ein neues Level. Vor dem Kauf der nächsten praktischen, mit Wasser gefüllten PET-Flasche sollte man vielleicht daran denken. Vor allem aber braucht es Druck auf Politik und Industrie. In den Worten von Philip J. Landrigan, dem Autor des NEJM-Editorials:

Wie die Lösungen für den Klimawandel erfordert auch die Lösung der Probleme im Zusammenhang mit Kunststoffen eine weitreichende Abkehr von fossilem Kohlenstoff. Dieser Weg wird nicht einfach sein, aber Untätigkeit ist keine Option mehr.