Neue große Studie: Paxlovid® ist ein wirksames Medikament bei COVID-19, auch bei Geimpften mit Risikofaktoren.

Neue große Studie: Paxlovid® ist ein wirksames Medikament bei COVID-19, auch bei Geimpften mit Risikofaktoren.

Substack-Artikel vom 15.04.2023:

Betrachtungen zu einer Studie im British Medical Journal


Im British Medical Journal wurde vor wenigen Tagen eine große Studie zur Wirkung von Nirmatrelvir (= Paxlovid®) gegen einen schweren Verlauf von COVID-19, definiert als Spitalsaufnahme oder Tod innerhalb von 30 Tagen nach Erkrankungsbeginn, publiziert. Das neue im Vergleich zu früheren Studien ist, dass hier endlich auch die Wirkung bei Geimpften und bei Infektion mit den verschiedenen Omikron-Subvarianten angeschaut wurde. Die Zulassungsstudie wurde noch bei ungeimpften Personen und lange vor Auftauchen von Omikron durchgeführt. Kleinere spätere Studien deuteten bereits darauf hin, dass Nirmatrelvir auch bei Omikron und bei Personen mit Impfung wirkt, aber jetzt wurde es eben bei einer großen Zahl an Personen angeschaut.

Wie so viele andere große Studien wurde auch hier auf die riesige Datenmenge der US Veterans zurückgegriffen. In der Studie angeschaut wurden fast 250.000 Personen, bei denen zwischen dem 3.Jänner und dem 30.November COVID-19 diagnostiziert wurde (also ein der Zeit der Omikron-Subvarianten BA.1, BA.2 und BA.5) und die mindestens einen Risikofaktor für einen schwereren Verlauf aufwiesen, keine Kontraindikation für Nirmatrelvir aufwiesen und zu Beginn ihrer Krankheit nicht spitalspflichtig waren.

Der größte Nachteil der Studie ist, dass es sich um keine randomisierte, verblindete, placebokontrollierte Studie handelt. Der Goldstandard für Medikamentenstudien wurde also nicht erfüllt. Dafür handelt es sich um Real-Life-Daten. Und zwar wurden Personen, die Nirmatrelvir veschrieben bekamen, mit passenden Personen verglichen, die es nicht verschrieben bekamen - wohlgemerkt, obwohl es bei ihnen nach den gültigen Empfehlungen indiziert gewesen wäre. In den USA ist es offenbar nicht anders als bei uns: Paxlovid wird trotz klarer Indikation oft nicht verschrieben.

Dann wurde prospektiv geschaut, wie viele der Personen innerhalb von 30 Tagen im Spital aufgenommen wurden oder verstarben. Und zwar getrennt bei ungeimpften, 1-2x geimpften und geboosterten sowie bei erstmalig infizierten und bei reinfizierten Personen. Das relative Risiko dafür waren bei allen dieser Gruppen um rund ein Drittel vermindert, wenn sie das Medikament erhielten. (Nur bei den Reinfizierten, von denen knapp 80% mindestens zweimal geimpft waren und somit offenbar von der sogenannten Hybridimmunität profitierten und auch ein gewisser Selektionsbias bestehenden dürfte, sank das relative Risiko “nur” um ein Viertel.)

Fig 4

Das absolute Risiko eines schweren Verlaufs sank bei den ungeimpften erwartungsgemäß am stärksten (um 1,83%), bei den Geimpften um 1,05 bzw. um 1,27.

Kleiner Einschub zu relativem und absolutem Risiko anhand eines hypothetischen Beispiels:

Das relative Risiko beschreibt, wie hoch das Risiko in einer Gruppe relativ zum Risiko einer anderen vergleichbaren Gruppe ist. Angenommen man vergleicht zwei Gruppen zu je 1000 Personen. Gruppe A erhält ein Medikament, Gruppe B ein Placebo. Von den 1000 Personen der Gruppe B landen 100 im Spital, von der Gruppe A nur 60. Dann ist das relative Risiko 60/100=0,6 - also 60%. Oder anders gesagt um 40% reduziert (100%-60%)

Das absolute Risiko beschriebt dagegen den absoluten Unterschied der beiden Gruppen. In obigem Beispiel wären das 60 von 1000 = 6% versus 100 von 1000 = 10%. Die absolute Risikoreduktion läge also bei 10-6=4%.

In der hier besprochenen Studie ist das absolute Risiko eines schweren Verlaufs wie in allen Studien zu COVID-19 bei den Ungeimpften am höchsten, weshalb bei ihnen bei vergleichbarer relativer Risikoreduktion die absolute Risikoreduktion am größten ist.

Hier ist bei den verschiedenen Untergruppen im Verlauf der 30 Tage dargestellt, bei wie vielen Prozent eine Spitalsaufnahme oder der Tod auftritt (Achtung! Leider andere Skala der Y-Achse bei den Ungeimpften):

Fig 3

Die deutliche Risikoreduktion durch Nirmatrelvir war bei allen demografischen Gruppen, bei Personen mit mehr oder weniger Risikofaktoren und bei BA.5 genauso wie bei BA.1/2 zu sehen:

Fig 5

Diese Daten bestätigen somit die in den direkten Medikamentenstudien zu Nirmatrelvir erhobenen Daten auch im echten Leben: Paxlovid ist ein wirksames Medikament gegen einen schweren Verlauf von COVID-19 bei Risikopersonen.


Trotz der durch diese Studie noch weiter gefestigten Evidenz für die Wirksamkeit wird Paxlovid bei Risikopersonen zu selten verschrieben. In dieser Studie erhielten es gerade 12% der Personen, die alle die Voraussetzungen für die Verschreibung erfüllten (das war die Aufnahmebedingung für die Studie!). Hierzulande wird das geschätzt nicht viel besser ausschauen.

Dabei ist Paxlovid nebenwirkungsarm. Ein metallischer Geschmack kann ziemlich unangenehm sein, ist aber harmlos und verschwindet nach Beendigung der Therapie rasch. Durchfall kann auftreten, ist aber auch ein recht häufiges COVID-Symptom, sodass es im Einzelfall schwer ist festzustellen, ob es sich tatsächlich um eine Nebenwirkung handelt.

Bei schwerer Nierenfunktionsstörung und bei schwerer Leberschädigung soll es nicht gegeben werden. Der häufigste Grund, Paxlovid nicht zu geben, sind aber die vielen Arzneimittelinteraktionen. Die sind unbedingt vorher zu checken, wofür es zum Beispiel online den Interaktionschecker der Uni Liverpool gibt, bei dem man die Medikamente anklickt (Wirkstoffnamen, nicht Handelsnamen!) und in wenigen Sekunden das Ergebnis hat. Ich verwende ihn bei so gut wie jeder Anwendung von Paxlovid. Selbst bei einer Interaktion kann das betreffende Medikament eventuell für die fünf Tage pausiert werden. Das ist eine individuelle Risikoabwägung, die vorher unbedingt mit dem behandelnden Arzt besprochen werden sollte.


Eine interessante Frage, zu der es meines Wissens nach noch gar keine Daten gibt, ist, ob eine Reinfektion bei Personen mit Long Covid eine Indikation für Paxlovid wäre. Da eine Viruspersistenz einer der Pathomechanismen für Long Covid sein kann (siehe auch mein Blogartikel Long Covid und ME/CFS - Teil 3, wird Nirmatrelvir derzeit in Studien als Long Covid Therapeutikum erforscht. Andererseits berichten viele von Long Covid betroffene Personen über eine deutliche Verschlechterung der Symptome bei einer Reinfektion. Ob Nirmatrelvir zumindest das Risiko für diese Verschlechterung senken könnte, würde mich brennend interessieren.

Kennt jemand irgendwelche Erfahrungsberichte dazu?