Nimbus und XFG

Der Beginn einer neuen COVID-Welle und ein Blick auf die beiden wichtigsten neuen Virusvarianten.

Nimbus und XFG
  • In den Abwasserdaten zeigt sich der Beginn einer neuen COVID-Welle.
  • Getragen wird diese von den neuen Varianten NB.1.8.1 ("Nimbus") und XFG.
  • Nimbus ist v.a. in Südostasien sehr stark, in Europa scheint XFG einen leichten Vorteil zu haben.

Der Beginn einer neuen Welle

Um COVID-19 ist es seit Monaten ziemlich ruhig geblieben. Nach der beeindruckenden, vom Spätherbst 2023 in den Winter 2023/24 hineinragende Welle durch die "Pirola"-Varianten BA.2.86 und v.a. JN.1 dauerte es ein Dreivierteljahr bis im Sommer und Herbst 2024 verschiedene Abkömmlinge von JN.1 eine weitere, relativ gesehen niedrigere Welle verursachten. Diese verschwand um den Jahreswechsel ziemlich unspektakulär, dafür durften wir uns mit der Influenza herumschlagen. Die österreichischen Abwasserdaten liefern einen Überblick über die Zeit seit dem Herbst 2021.

Die Abwasserdaten für Wien (rosa) und Österreich (schwarz). Quelle https://abwassermonitoring.at/dashboard/

Wenn man genau schaut, erkennt man ganz am Ende einen neuen Anstieg. Zoomt man hinein, wird das deutlicher. Die Zahl der Genkopien von SARS-CoV-2 im Abwasser ist niedrig, nimmt aber seit etwa einem Monat deutlich zu. So deutlich, dass wir offenbar am Beginn einer Sommerwelle stehen, der sich auch an einer langsam zunehmenden Zahl an Rettungszufahrten wegen COVID-19 ins Spital bemerkbar macht.

Ein Blick auf die Virussequenzierungen zeigt, dass wir nach wie vor eine Variantensuppe haben (die derzeit allerdings noch recht dünn ist). Mit derzeit rund 33% ist LP.8.1, ein später Pirola-Nachkomme, nach wie vor relativ am häufigsten, ohne es jemals geschafft zu haben, sich so richtig durchzusetzen. In dessen Windschatten stiegen seit Ende April die Subvarianten XFG (zuletzt rund 19%) und NB.1.8.1 (zuletzt rund 12%) merklich an.

Quelle https://zeitferne.github.io/covidat-tools/export/monitoring.html#Varianten

In anderen Weltgegenden kann man dagegen schon von einer echten COVID-Welle sprechen. In Südostasien melden Hongkong, Singapur und Thailand eine rasch zunehmende Zahl an Infizierten (Deutsches Ärzteblatt: "Neue Coronawelle in asiatischen Ländern"). In Hongkong rief Mike Kwan Yat-wah, der Präsident der Asian Society for Paediatric Infectious Diseases, dazu auf, die Kinder impfen zu lassen, da die Kinderspitäler voll mit Kindern seien, die wegen COVID-19 aufgenommen werden mussten ("Hong Kong children urged to get Covid jabs as ‘whole paediatric ward full’").

NB.1.8.1 = Nimbus

Für den Anstieg der Fälle in Südostasien ist großteils die Variante NB.1.8.1 verantwortlich, in Hongkong entfielen zuletzt fast 100% aller SARS-CoV-2-Sequenzierungen auf NB.1.8.1, in Thailand rund 85%. Auch in anderen Ländern wie Australien und Neuseeland, wo derzeit ebenfalls eine Welle beginnt, macht es fast die Hälfte der sequenzierten Virusgenome aus. In den meisten europäischen Ländern entfallen dagegen nur rund 10% auf NB.1.8.1, Frankreich sticht mit 35% heraus.

Quelle https://github.com/Mike-Honey/covid-19-genomes?tab=readme-ov-file#covid-19-genomes

Dieser Anstieg hatte zwei konkrete Folgen: Die WHO kürte zum ersten Mal seit längerem eine SARS-CoV-2-Variante zur "Variant Under Monitoring" - aber nicht zur "Variant of Concern" ("WHO TAG-VE Risk Evaluation for SARS-CoV-2 Variant Under Monitoring: NB.1.8.1" PDF). Und: Erstmals seit Pirola erhielt eine Variante einen (inoffiziellen) Spitznamen: Nimbus.

Aus virologischer Sicht ist Nimbus spannend, weil es ein Abkömmling von XDV ist, welches eine Rekombinante aus dem aus der letzten Welle bestens bekannten JN.1 und somit aus dem Pirola-Zweig sowie aus zwei Sublinien von XBB ist. XBB war für die Welle um den Jahreswechsel 2022/23 hauptverantwortlich und hatte ebenfalls die Ehre eines eigenen Spitznamens: Kraken. Der kanadische Biologe T.Ryan Gregory veröffentlichte auf Bluesky folgende Grafik:

Das Besondere an Nimbus ist also, dass es nicht mehr einfach ein Teil der Pirola-Variantensuppe ist. Bei Nimbus spielt auch Kraken mit, was dem Virus neue Eigenschaft gibt, die nach langer Zeit zum nächsten Evolutionssprung von SARS-CoV-2 führen könnten.

Wer übrigens einen Eindruck davon kriegen möchte, wie auseinandergefächert die Varianten jetzt schon sind, ist beim Nextstrain-Projekt richtig. Die grafische Darstellung aller sequenzierten Varianten zeigt das in beeindruckender Weise. T.Ryan Gregory hat die Grafik für uns beschriftet. Blau ist alles bis Omikron, die anderen Farben alle Varianten seither.

In einem Preprint (einem noch nicht von unabhängigen Fachleuten evaluierten wissenschaftlichen Fachartikel) publizierte eine chinesische Forschungsgruppe die virologischen Eigenschaften von Nimbus und einigen anderen neuen Varianten.

Antigenic and Virological Characteristics of SARS-CoV-2 Variant BA.3.2, XFG, and NB.1.8.1
The emergence of the SARS-CoV-2 saltation variant BA.3.2, which harbors over 50 mutations relative to its ancestral BA.3 lineage, has raised concerns about its potential to drive outbreaks similar to BA.2.86/JN.1. Concurrently, variants such as NB.1.8.1, LF.7.9, XEC.25.1, XFH, and XFG exhibit enhanced growth advantages over LP.8.1.1, necessitating a comparative analysis of their antigenic and virological characteristics. Here, we evaluated the infectivity, ACE2-binding efficiency, and immune evasion of these variants. Pseudovirus assays revealed BA.3.2’s robust antibody evasion, including resistance to Class 1/4 monoclonal antibodies; however, its ACE2 engagement efficiency was markedly reduced due to a closed spike conformation, leading to low infectivity. While XFG and LF.7.9 demonstrated strong immune escape associated with A475V and N487D mutations, their reduced receptor-binding efficiency suggested a need for compensatory adaptations. In contrast, NB.1.8.1 retained high ACE2 affinity and humoral immune evasion, supporting its potential for future dominance. Collectively, BA.3.2’s current profile limits its ability to compete with emerging variants like NB.1.8.1. Sustained monitoring of BA.3.2’s evolution— particularly for mutations stabilizing an open RBD conformation or enhancing escape from Class 1 antibodies—is essential to assess its outbreak potential. ### Competing Interest Statement Y.C. has provisional patent applications for the BD series antibodies (WO2024131775A9 and WO2023151312A1), and is the founder of Singlomics Biopharmaceuticals. The other authors declare no competing interests.. National Science and Technology Major Project, , 2022ZD0115002 National Natural Science Foundation of China, , 32222030, 2023011477

Sie untersuchten unter anderem, wie gut Nimbus an den ACE-Rezeptor bindet, über den die Infektion der Zellen geschieht. Im Vergleich zu der in den letzten Monaten führenden Variante LP.8.1.1 ist die ACE-Bindung von Nimbus nur gering schlechter und deutlich stärker als die der anderen getesteten Varianten.

Die Bindungskapazität verschiedener Virusvarianten. Je niedriger der Balken ist, desto besser bindet das Virus an den Rezeptor.

Als zweiten Schritt bestimmten sie die Immunflucht der Viren, also wie gut sie der Immunität durch frühere Infektionen entkommen. Dazu verwendeten sie Blutplasma von Menschen, die nach der Basisimpfung eine Infektion mit der BA.5-Variante der Sommerwelle 2022 und später eine Reinfektion mit JN.1 oder mit der späteren XDV-Variante mit der zusätzlichen F436L-Mutation hatten. Die Details interessieren die Virologen. Wichtig ist, dass Nimbus im Vergleich zu LP.8.1.1 eine 1,6 bzw. 1,5x größere Fähigkeit zur Immunflucht hatte.

Die Autoren fassen zusammen, dass Nimbus also recht gut an den ACE-Rezeptor bindet und gleichzeitig eine mäßige, aber doch signifikante Fähigkeit habe, dem Immunsystem zu entkommen.

Der wichtigste Satz stammt allerdings aus dem WHO-Report:

"Trotz eines gleichzeitigen Anstiegs der Fälle und Krankenhauseinweisungen in einigen Ländern, in denen NB.1.8.1 weit verbreitet ist, deuten die aktuellen Daten nicht darauf hin, dass diese Variante zu schwereren Erkrankungen führt als andere im Umlauf befindliche Varianten."

Eh nur so schwer, wie das was wir bereits kennen - die Entwarnung von 2025.

XFG

Nimbus ist auf globaler Ebene derzeit die Variante, die sich am raschesten ausbreitet. In Europa und Nordamerika ist aber eine andere Variante zumindest ebenbürtig: XFG.

Der relative Anteil von Nimbus und XFG in Europa. Quelle https://github.com/Mike-Honey/covid-19-genomes?tab=readme-ov-file#covid-19-genomes

In der oben erwähnten chinesischen Studie wurde auch XFG untersucht. Die Bindung an den ACE-Rezeptor war nicht so gut wie bei Nimbus, dafür war der Immunescape deutlich stärker.

Cornelius Roemer vom Neherlab der Uni Basel fasst im aktuellen Variantenreport zusammen:

"Dies könnte dazu führen, dass die beiden Linien in verschiedenen Regionen dominant werden, abhängig von der vorherigen Exposition der Abstammungslinie, der Impfgeschichte und der Immunität der Bevölkerung."

Im Moment könnte das bedeuten, dass sich bei uns, die wir aufgrund der relativ großen JN.1-Welle eine vergleichsweise stärkere Hintergrundimmunität haben, eher das immunevasivere XFG durchsetzt, in anderen Ländern das infektiösere Nimbus.

Wie sich das auf die Impfungen auswirkt, wird man erst sehen. Wir wissen ja noch nicht einmal, welche Impfstoffe wir konkret haben werden. In den USA hat das Beratungsgremium der FDA empfohlen, neuerlich die KP.2- oder JN.1-Impfstoffe des letzten Herbstes anzuwenden. Die FDA selbst präferiert allerdings einen upgedateten LP.8.1-Impfstoff. (Der Hintergrund könnte sein, dass die Trumpisten damit verhindern könnten, dass Kinder und gesunde Erwachsene geimpft werden dürfen. Mehr dazu in diesem NBC-Bericht.) Der LP.8.1-Impfstoff ist auch schon relativ weit entfernt von Nimbus, sodass dessen Wirksamkeit eingeschränkt sein könnte.

Sicher ist, dass nach einiger Zeit der Ruhe wieder eine Dynamik in die Welt von SARS-CoV-2 kommt. Mehr Infektionen bedeuten auch mehr Chancen für Mutationen und damit neue Angriffspunkte der Viren.