Abschied vom Oxford–AstraZeneca-Impfstoff - Versuch einer Ehrenrettung

Der Oxford-AstraZeneca-Impfstoff wirkte besser und war sicherer als verbreitet geglaubt wird. Er wurde zum Opfer von Desinformationen.

Abschied vom Oxford–AstraZeneca-Impfstoff - Versuch einer Ehrenrettung
Photo by Mika Baumeister / Unsplash

Die wichtigsten Punkte auf einen Blick

  • Der COVID-Impfstoff von AstraZeneca war das idealistische Produkt einer Forschergruppe der Uni Oxford, wurde aber zum Opfer von Desinformation.
  • Er bleibt wohl in Erinnerung wegen der extrem seltenen, aber gefährlichen Nebenwirkung der Sinusvenenthrombosen.
  • Trotz transparenter Kommunikation der Behörden konnten und können die Impfgegner dies für ihre Propaganda nutzen.
  • Dabei verhinderte der Impfstoff alleine im ersten Jahr über 6 Millionen Todesfälle, war billiger und einfacher zu handhaben als die mRNA-Impfstoffe und wurde auf Betreiben der Oxford-Gruppe zum Selbstkostenpreis abgegeben, was vor allem wirtschaftlich schwächeren Ländern zugute kam.

Die Zulassung der Europäischen Arzneimittelagentur EMA für Vaxzevria®, den COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca, lief am 7.Mai 2024 aus. Dies geschah, nachdem AstraZeneca im März selbst um eine Aufhebung der Zulassung angesucht hatte. Der Impfstoff war in Europa seit Frühling 2022 sowieso so gut wie gar nicht mehr verwendet worden und rentierte sich wirtschaftlich nicht mehr.

Es besteht einfach kein Bedarf mehr für den Impfstoff. Wer sich überhaupt noch impfen lässt, wählt die mRNA-Impfstoffe von BioNTech-Pfizer und Moderna oder den Proteinimpfstoff von Novavax. Die sind von Haus aus wirkungsvoller und wurden bereits zweimal an neue Virusvarianten angepasst, während Vaxzevria, bei dem die Anpassung technisch viel aufwendiger ist, noch immer in der ursprünglichen, gegen die aktuellen Varianten nur mehr schlecht wirksamen Form, vorliegt.

Erwartungsgemäß sind diese pragmatischen Gründe nichts, womit sich die Impfgegner und Coronaleugner lange abgeben. Einige Medien, die sich das Mäntelchen der angeblichen Seriosität geben (Berliner Zeitung, The Telegraph) brachten Schlagzeilen, die fälschlich nahelegten, der Verlust der Zulassung wäre eine Folge von gefährlichen Nebenwirkungen. Obwohl die EMA sowohl den Antrag von AstraZeneca als auch die Entscheidung der Behörde auf ihrer Webseite transparent und für die ganze Welt sichtbar veröffentlichte, witterten die Antivaxxer Vertuschung und eine Verschwörung. Weil alles in ihrer Welt Vertuschung und Verschwörung ist.

Auf Twitter/X überschlugen sich die Fehlinformationen und Hasskommentare. (Ihr müsst euch das nicht selbst anschauen. Ich bin extra für diesen Artikel nach langer Zeit wieder einmal dort eingestiegen, habe es für euch angesehen und bin rasch wieder geflüchtet.) Für seriöse Informationen wie z.B. von der ARD-Tagesschau war es da bereits viel zu spät.

Warum der Impfstoff Vaxzevria in der EU nicht mehr zugelassen ist
Seit heute ist der Corona-Impfstoff von AstraZeneca in der EU nicht mehr zugelassen. In den sozialen Medien werden Bedenken bei der Sicherheit als Grund gehandelt. Tatsächlich geht es um kommerzielle Interessen. Von L. Bisch.

Das ist das passende Ende für einen vielversprechenden Impfstoff mit einem besonderen, sozialen Ansatz, der zum Opfer von ein wenig unglücklicher P.R. und von viel Propaganda wurde.


Vaxzevria® sollte anders, sozialer sein

Der Impfstoff wurde von keiner profitorientierten Firma entwickelt. Im Februar 2020, knapp nach der Sequenzierung von SARS-CoV-2 machte sich eine Arbeitsgruppe der Uni Oxford daran, einen Impfstoff zu entwickeln. Er sollte leicht zu handhaben und billig in der Herstellung sein. Zudem legten die Forscher*innen wert darauf, dass der Impfstoff non-profit zur Verfügung gestellt werden und so der Bevölkerung in wirtschaftlichen schwächeren Ländern zugänglich sein sollte.

Der ursprüngliche Plan, den Bauplan zur Produktion der Welt frei zur Verfügung zu stellen - open-source quasi - war zu idealistisch. Man brauchte doch eine große Pharmafirma für die Logistik von Produktion und Vertrieb. Die Wahl fiel schließlich auf den britisch-schwedischen AstraZeneca-Konzern, womit man sowohl die EU als post-brexit-Großbritannien an Bord holte.

Nach nicht einmal einem Jahr wurden die ersten Chargen des Impfstoffes ausgeliefert. Wie von den Oxford-Leuten geplant war das Produkt einfach zu lagern und zu applizieren, die Auslieferung war auch in Ländern und Regionen mit einer schlechten Infrastruktur möglich - ganz anders als die fancy mRNA-Impfstoffe von BioNTech-Pfizer und Moderna. Und der Impfstoff kostete nur 4-8€ (je nach Lieferwegen), ein Bruchteil des Preises der Konkurrenten. Die Entwickler konnten durchsetzen, dass AstraZeneca den Impfstoff bis Ende 2021 zum Selbstkostenpreis abgab. Böses BigPharma als non-profit-Unternehmen - zumindest für ein Jahr.

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Impfung in Indien. Photo by Swarnavo Chakrabarti / Unsplash

Es war ein guter Impfstoff, der von Beginn an Probleme hatte. Vor allem im Marketing.

Die Probleme begannen früh. Anstatt wie die kommerziellen Konkurrenten Pfizer und Moderna so lange zu warten, bis man robuste, marketinggerechte Ergebnisse hat, bevor man an die Öffentlichkeit geht, taten die Oxford-Wissenschaftler das, was Wissenschaftler eben tun: Sie publizierten jedes Zwischenresultat. Statt für die Transparenz gelobt zu werden, sorgte dieses Vorgehen für Verwirrung bis zu Zweifel an den Resultaten.

Zudem gab es peinliche Fehler wie der, dass Probanden im britischen Studienarm beim ersten Stich irrtümlich nur die halbe Dosis erhielten. Das sorgte nicht unbedingt für mehr Vertrauen. Genauso wenig wie die schließlich veröffentlichten Daten. Während die Konkurrenten den exzellenten Schutz von über 90% vor schweren Verläufen in den Vordergrund stellten, beschrieben die Oxfordler den Schutz vor einer symptomatischen Erkrankung von 70%. Der Wert war gut, kaum geringer als bei den mRNA-Impfstoffen. Aber in der Öffentlichkeit wurden Äpfel und Birnen vermischt, und im Gedächtnis blieben so die scheinbar mageren 70% des Oxford–AstraZeneca-Impfstoffs im Vergleich zu über 90% der mRNA-Impfstoffe. Die viel gescholtenen Pharmamultis wussten eben besser, wie Marketing funktioniert, als die idealistischen Oxforder.

Für manches konnten diese aber nichts. Zum Beispiel, dass das deutsche Handelsblatt Ende Jänner 2021 fälschlich behauptete, der Impfstoff hätte bei über 65jährigen eine Wirksamkeit von gerade einmal 6,3%. Als sich zeigte, dass das Handelsblatt da was falsch verstanden hatte - 6,3% war nämlich in Wirklichkeit der Anteil der über 65jährigen bei den Probanden - war es schon zu spät. Das Handelsblatt korrigierte die Falschmeldung nie. Die Frage des British Medical Journals wurde ignoriert.

Why did a German newspaper insist the Oxford AstraZeneca vaccine was inefficacious for older people—without evidence?
Reporting information from single anonymous sources that turns out to be false could erode public confidence in the vaccines that are crucial to controlling the covid-19 pandemic. Hristio Boytchev reports “AstraZeneca vaccine apparently hardly effective in seniors,” reported the German economic newspaper Handelsblatt on Monday 25 January. “Setback for vaccine” ran as its top story in print the next day,1 subtitled, “The AstraZeneca vaccine apparently has an effectiveness of only 8% in the elderly. The government’s vaccination strategy is shaky.” Handelsblatt attributed news of 8% effectiveness among over 65s to an anonymous government source. The story does not explain the calculation for this figure. There was no comment from AstraZeneca, and the German health ministry declined to answer questions about effectiveness. With huge global public health implications, Handelsblatt ’s story rapidly became international news—and was rapidly rebuffed. Calls for the underlying data filled social media. An AstraZeneca spokesperson described the reported figure as “completely incorrect.”2 The controversy came at a moment of intense finger pointing between the European Commission and AstraZeneca over unfulfilled vaccine shipments, and in the week that the European …

Es schadete dem Impfstoff auch, dass die deutsche STIKO zu einer Zeit, als ein großer Teil der Bevölkerung sehnsüchtig auf die Impfung wartete, beschloss, dass es besser wäre, mehr Daten bei den in den Zulassungsstudien unterrepräsentierten über 65jährigen zu fordern und einstweilen keine Empfehlung für diese Altersgruppe aussprach. Damit war Deutschland zwar ziemlich alleine, aber in den Köpfen der Leute - vor allem in den deutschsprachigen Ländern - setzte sich erst recht das Bild eines minderwertigen Impfstoffs fest.

Und dann kamen die Berichte über Thrombosen nach der Impfung.


Die Sache mit den Thrombosen

Schwere Komplikationen nach Impfungen gehören zu den furchtbarsten Nebenwirkungen in der Medizin. Eine gesunde Person soll vor einer Krankheit geschützt werden, erleidet aber gerade dadurch Schaden. Da ist es dann egal, wie groß der potenzielle Nutzen des Schutzes vor einer Infektion im Vergleich zum minimalen Risiko einer schweren Nebenwirkung ist. Im Kopf bleibt: Ohne die Impfung wäre nichts passiert.

Entsprechend groß war die Aufregung, als Ende Februar erste Berichte über einzelne Fälle einer schweren, offenbar in Zusammenhang mit der Impfung aufgetretene Nebenwirkung auftauchten. Zwei Frauen aus Österreich erlitten eine Thrombose des Venensinus im Gehirn. Eine 50-jährige Krankenschwester starb. Die Gesundheitsbehörden taten das, was sie tun mussten. Während sich die Spitälern noch in der Schockstarre der weiter anhaltenden, desaströsen zweiten COVID-Welle befanden, mussten die Behörden über das weitere Impfprogramm entscheiden. Und zwar schnell.

In einigen Ländern wurden die Impfungen mit dem Oxford–AstraZeneca-Impfstoff vorübergehend gestoppt. In Deutschland sollte er nun nur mehr an über 60-Jährige verimpft werden - also das Gegenteil der ursprünglichen Empfehlung. Dieser Zickzack-Kurs beschädigte das generelle Vertrauen in Impfungen nachhaltig. Nach einem Safety Review kam die EMA zum Schluss, dass die besondere Form der Thrombosen nach der Impfung extrem selten (weniger als 10 pro 1Million Impfungen) auftrat und der Nutzen das Risiko somit bei Weitem übertraf.

Eine Erhebung bei fast 20.000.000 von Dezember 2020 bis April 2021 mit dem Oxford–AstraZeneca-Impfstoff und 9.500.000 mit dem BioNTech-Pfizer-Impfstoff geimpften sowie 1.750.000 an COVID-19 erkrankten Briten zeigten, dass sämtliche untersuchte Nebenwirkungen nach der Impfung deutlich seltener auftraten als nach der Infektion. Auch die besonders gefürchteten Sinusvenenthrombosen ("Risk of thrombocytopenia and thromboembolism after covid-19 vaccination and SARS-CoV-2 positive testing: self-controlled case series study").


Was hat uns der Impfstoff gebracht?

Vor allem in den ersten Monaten 2021 wurde der schneller zu produzierende sowie einfacher zu transportierende, zu lagernde und zu verabreichende Impfstoff zigmillionenfach verimpft. Schließlich waren es weltweit 2,5Milliarden Impfdosen. In UK, wo zwei Drittel der Bevölkerung den britischen Impfstoff bekamen, aber auch in der EU und vor allem in großen asiatischen Ländern.

Anhand der Daten einer Studie des Imperial College London errechnete eine auf Public Health Statistiken spezialisierte Firma, dass durch den Oxford-AstraZeneca-Impfstoff weltweit von Dezember 2020 bis Dezember 2021 über 6Millionen COVID-Todesfälle verhindert worden sind. Das ist sogar etwas mehr als durch den BioNTech-Pfizer-Impfstoff.

Hochrechnung der weltweit verhinderten COVID-Todesfälle je nach Impfstoff. Quelle: Airfinity

Die Todesfälle sind die Spitze des Eisberges der Pandemie. Ich kenne keine Modellierungen, wie viele Spitalsaufnahmen und intensivmedizinische Behandlungen verhindert wurden. Es waren wohl weit mehr als 6Millionen.

Es wurden so viele Todesfälle verhindert, weil der Impfstoff am Ende kaum weniger wirksam war, als die mRNA-Impfstoffe. Zumindest in der Anfangszeit, also gegen die ab Herbst 2020 dominante Alpha-Variante und dann auch noch gegen die brutale Delta-Variante ab Herbst 2021.

Laut einer Übersichtsarbeit von 2023 ("Vaccine efficacy against SARS-CoV-2 for Pfizer BioNTech, Moderna, and AstraZeneca vaccines: a systematic review") konnte Oxford-AstraZeneca zwar bei der Verhinderung einer Infektion nicht mit BioNTech-Pfizer mithalten (70% vs. 92% Wirksamkeit bei Alpha) und war auch bei der Verhinderung symptomatischer Erkrankungen schwächer (79% vs. 95%), aber bei der Verhinderung schwerer und tödlicher Erkrankungen ebenbürtig (95% vs. 92%, Unterschied nicht statistisch signifikant). Bei Delta schauten die Zahlen ähnlich aus.

Das Problem kam später mit dem Immunescape neuerer Virusvarianten. Schon gegen Beta, das sich in Europa nie durchsetzte, war eine deutlich schwächere Wirksamkeit festzustellen. Die Gesundheitsbehörden empfahlen deshalb die Boosterimpfungen mit einem mRNA-Impfstoff. Spätestens mit Omikron konnte Oxford-AstraZeneca nicht mehr mithalten. Das Virus mutierte schneller und schneller, es war technisch nicht möglich damit Schritt zu halten - anders als die flexibleren mRNA-Impfstoffen. Die Zeit des Impfstoffes ging zu Ende.


Was bleibt

Der Oxford-AstraZeneca-Impfstoff war im dunklen zweiten Jahr der Pandemie als die Menschen zunehmend pandemiemüde wurden, eines der Mittel, das uns in den Spitälern vor dem völligen Zusammenbruch bewahrte. Es liegt an der Natur des Präventionsparadox', dass man das nicht wirklich merkte. Wir haben kein Sensorium für die doch nicht Erkrankten und die zumindest doch nicht schwer Erkrankten.

In der aufgeheizten Zeit des März 2021 taten die Gesundheitsbehörden das, was sie tun mussten. Sie identifizierten das Auftreten schwerer Nebenwirkungen, untersuchten diese unter enormem zeitlichen und politischen Druck transparent und objektiv und entschieden dann richtig, wie die inzwischen vorliegenden Daten klar zeigen.

Die Transparenz sorgte aber nicht für mehr, sondern für weniger Vertrauen. Und zwar nicht nur in den Oxford-AstraZeneca-Impfstoff, sondern generell in die Impfungen, wie in einer politikwissenschaftlichen Arbeit 2022 gezeigt wurde.

Did the European suspension of the AstraZeneca vaccine decrease vaccine acceptance during the COVID-19 pandemic?
On March 11, 2021, the AstraZeneca vaccine against COVID-19 was suspended in three Nordic countries and, on subsequent days, in other European countries. Using data on vaccine acceptance in eight Western countries obtained on a daily basis, we show that…

Dieser Vertrauensverlust spielte den Impfgegnern in die Hände. Sie sprechen gerne von einer große Verschwörung, mit der Impfnebenwirkungen vertuscht werden, nutzen aber transparente, offene Untersuchungen für ihre Zwecke aus und ignorieren die Ergebnisse dieser Untersuchungen. Und sie tun es noch immer, wie mir mein kurzer Blick auf Twitter/X eindrücklich bestätigt hat.

Bleibt zu hoffen, dass transparente Untersuchungen von Nebenwirkungen und ehrliche Kommunikation mittel- und längerfristig dann doch für einen Vertrauensgewinn sorgen.