RFK jr., das US-Impfgremium ACIP, die CDC und die gute Wirksamkeit der Herbstbooster 2024

RFK jr. versucht, Impfungen zu diskreditieren. Die CDC-Experten halten mit Daten und Fakten dagegen.

RFK jr., das US-Impfgremium ACIP, die CDC und die gute Wirksamkeit der Herbstbooster 2024
Zusammenfassung des Vortrags von Adam MacNeil von der CDC.
  • Ende Juni tagte das US-Impfgremium ACIP erstmals, seit RFK jr. die früheren Mitglieder rausschmiss und es großteils mit Impfskeptikern neu besetzte.
  • Die geladenen CDC-Expert:innen blieben bei Daten und Fakten:
    • Der Herbstbooster verhinderte wirksam Notfallbehandlungen und Spitalsaufnahmen, auch bei Kindern.
    • Die Impfungen schützen Schwangere und ihre Babys, die erst ab einem Alter von 6 Monaten geimpft werden können.
    • Die Impfungen reduzieren die Wahrscheinlichkeit sich anzustecken.
  • Der Krieg gegen Impfungen läuft weiter, besonders in den USA.

Seit dem letzten Blogpost ist eine unüblich lange Zeit vergangen. Ich hatte wenig Zeit, außerdem haben sich in den letzten Wochen nicht unbedingt Themen für einen neuen Artikel aufgedrängt. Auch die von NB.1.8.1 "Nimbus" und XFG, das inzwischen den Spitznamen "Stratus" bekommen hat, getragene Sommerwelle scheint in sich zusammenzubrechen, bevor sie überhaupt zu einer echten Welle geworden ist. Die Immunflucht der beiden ist wohl doch noch nicht ausgeprägt genug, die extremen Wetterverhältnisse dürften ihr den Rest geben. Mal schauen, wie es da weiter gehen wird.

Abwasserdaten für Wien (rosa) und Österreich (schwarz). Quelle: https://abwassermonitoring.at/

Die erste Sitzung des von RFK jr. neu besetzten ACIP

Dann geschah doch etwas. Am 25. und 26. Juni trat erstmals das US-Impfgremium ACIP zusammen, nachdem Gesundheitsminister RFK jr. allen 17 Mitgliedern Befangenheit vorgeworfen und sie durch 8 neue Mitglieder nach seinem Geschmack ersetzt hatte. Das ist ein Vorgang, den so ziemlich alle Beobachter als beispiellos bezeichnen. Natürlich setzte RFK jr. nicht irgendwelche unabhängige Experten ein, sondern fast ausschließlich Personen, die in der Anti-Vaxx-Szene aktiv sind und so wie RFK Jr. selbst damit viel Geld verdienen.

Über RFK's eigenen Interessenskonflikt schrieb Paul Offit, einer der führenden Experten für Kinderimpfungen, einen sehr lesenswerten Artikel ("The Irony of RFK Jr.’s Conflicts of Interest Gambit"). Die darin wiedergegebenen Prognosen der demokratischen Senatorin Elisabeth Warren von Anfang des Jahres sind 1-zu-1 eingetroffen.

Zum ACIP-Meeting wurde als Expertin beispielsweise Lyn Redwood eingeladen, die ihre Mitarbeit an einer von RFK jr. gegründeten und euphemistisch "Children’s Health Defense" genannten Lobbygruppe gegen Kinderimpfungen entgegen der Regeln nicht offenlegte. Sie berichtete in einem vor Fehler strotzenden Vortrag über die Gefahren des quecksilberhaltigen Konservierungsmittels Thiomersal in einigen wenigen Impfstoffen. In ihrem Bericht über die Sitzung schrieb "Your Local Epidemiologist" Katlyn Jetelina dazu:

Der wichtigste Diskussionspunkt während der ACIP-Sitzung zum Thema Grippe war jedoch Thimerosal. Lynn Redwood, ehemalige Leiterin von Children’s Health Defense – einer Anti-Impf-Interessengruppe – präsentierte Daten. Kurz gesagt, sie überschwemmte den Raum mit aus dem Zusammenhang gerissenen, selektiv ausgewählten Daten. Außerdem enthielten sie gefälschte Zitate, wahrscheinlich aufgrund des Einsatzes von KI. Externe Präsentationen wie diese müssen in der Regel von der CDC auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Normalerweise geschieht dies Tage oder Wochen vor den ACIP-Sitzungen. Diesmal war das nicht der Fall. Es gab eine vernünftige Person im Ausschuss, die angesichts all der vorgelegten Unwahrheiten sagte: „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll“ und hinzufügte: „Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise für die Schädlichkeit von Thimerosal.“

Die ACIP-Mitglieder stimmten dennoch mehrheitlich gegen Thiomersal.

Wer sich für einen ausführlicheren Bericht zum Meeting interessiert, ist bei dem Immunologen Edward Nirenberg an der richtigen Stelle:

Reflections on ACIP
Some thoughts on the June 25-26 2025 ACIP meeting

Anm.: Leider publizieren alle drei - Jetelina, Offit und Nirenberg - ihre Blogs bei Substack, einer Plattform, die den Anti-Vaxxern, Coronaleugnern und anderen Verschwörungstheoretikern breiten Raum bietet. Schade.

Im krassen Gegensatz zu den ACIP-Mitgliedern standen die Wissenschaftler:innen der CDC mit ihrer Expertise. Ihre Vorträge sind transparent auf der Webseite der CDC herunterzuladen ("ACIP Meeting Materials: June 25-26, 2025 Meeting") - im Gegensatz übrigens zum Vortrag der Anti-Vaxxerin Redwood. Den Vortrag von Adam MacNeil zu den neuesten Daten der Wirksamkeit der COVID-Impfstoffe des Herbst 2024 möchte ich herausgreifen.


Die Wirksamkeit des Herbstboosters 2024

Wie effizient die Impfungen das Risiko für schwere Verläufe reduziert haben, war schon öfters ein Thema in diesem Blog. Auch die Risikoreduktion für die verschiedenen Formen von Long Covid wurde schon mehrmals behandelt. Am klarsten war der Effekt bei der Basisimmunisierung zu sehen, aber auch die weiteren, an neue Varianten angepassten Booster hatten einen deutlichen Einfluss. Letzten Herbst habe ich ein paar Ergebnisse von Studien zum XBB-Booster vom Jahr zuvor zusammengefasst:

Was? Sollen wir uns schon wieder impfen lassen?
Ja. Natürlich sollten wir uns impfen lassen. Weil die COVID-Impfungen schützen. Auch vor Long Covid.

In der ACIP-Sitzung präsentierte nun Adam MacNeil noch unpublizierte US-amerikanische Daten zur Wirksamkeit des Herbstboosters von 2024, und zwar aus zwei verschiedenen Projekten ("Vision" und "Ivy"), die Besuche von Notfallaufnahmen ("Vision") und stationäre Aufnahmen (beide Projekte) erhoben. Wichtig ist, dass dabei Personen mit dem Herbstbooster mit jenen verglichen wurden, die ihn nicht erhalten hatten - unabhängig von früheren Impfungen. Bei deutlich über 90% der Bevölkerung mit einer Hintergrundimmunität durch frühere Impfungen und/oder Infektionen handelt es sich also um die zusätzliche Wirksamkeit der Herbstbooster über diese Hintergrundimmunität hinaus.

Es handelt sich um eine Case-Control-Studie. Personen, die wegen COVID-19-ähnlicher Symptome eine Notfallbehandlung benötigten oder stationär aufgenommen wurden, wurden auf SARS-CoV-2 getestet. Die positive und die negative Gruppe wurden verglichen. Das bedeutet unter anderem, dass Personen, die aufgrund der Impfung gar nicht oder nicht schwer genug an COVID-19 erkrankten, nicht berücksichtigt wurden. Dies könnte dazu führen, dass die Impfwirksamkeit unterschätzt wird.

Erwachsene

Zuerst ein Blick zu den Erwachsenen: Der Herbstbooster führte zu einer um rund 35% geringeren Wahrscheinlichkeit einer Notfallbehandlung wegen COVID-19. Sowohl die Altersgruppe der 18- bis 65-Jährigen als auch die über 65-Jährigen profitierten dabei von der Impfung. Im Verlauf des Beobachtungszeitraums bis zu 6 Monaten nahm die Wirksamkeit zwar etwas ab, lag aber im Zeitraum von 120 bis 179 Tagen nach der Impfung noch immer bei fast 28%.

Bei der Risikogruppe der über 65-Jährigen war die Wirksamkeit gegen schwerere Verläufe, die zu einer stationären Aufnahme führen, noch etwas besser. Hier lag die Wirksamkeit in beiden Projekten bei rund 45%.

Die im Ivy-Projekt erhobene Wirksamkeit der Herbstbooster gegen intensivpflichtige oder tödliche Erkrankungen bei Personen über 65 lag bei über 50%.

Kinder

Es wird zwar oft behauptet, dass COVID-19 für Kinder fast immer harmlos wäre, die Zahlen zu den stationären Aufnahmen in den verschiedenen Altersgruppen legen aber etwas anderes nahe - zumindest für die ganz Kleinen. Abgesehen von der Altersgruppe der über 75-Jährigen sind es die Säuglinge bis 6 Monate, die am häufigsten wegen COVID-19 stationär aufgenommen werden - fast gleich häufig wie die 65- bis 74-Jährigen. Danach kommen die Kinder bis 2 Jahre ex aequo mit den 50- bis 64-Jährigen.

Während in vielen Ländern die COVID-Impfungen für Kinder ohne bestimmte Risikokonstellationen gar nicht mehr angeboten werden, war sie in den USA noch bis vor wenigen Wochen Teil der offiziellen Empfehlungen. Und so schaute die Impfwirksamkeit bei den Kindern und Jugendlichen für eine Notfallbehandlung wegen COVID-19 aus: Bei den Kindern ab 9 Monaten bis 4 Jahren lag sie bei 79% (mit einem großen Konfidenzintervall, da in diesem Alter nur recht wenige Kinder geimpft sind), bei den 5- bis 17-Jährigen bei 57%.

Schwangere

Schwangerschaft ist ein Risikofaktor für einen schwereren Krankheitsverlauf einer Reihe von Infektionskrankheiten, insbesondere gilt das auch für COVID-19. Deshalb wird in den meisten Ländern, die die Impfung an sich nur mehr Risikogruppen und den über 65-Jährigen empfehlen, gesunden Schwangeren explizit zur Impfung geraten. Die CDC-Projekte erhoben die Wirksamkeit der Herbstbooster 2024 bei Schwangeren nicht. Adam MacNeil präsentierte aber Zahlen zu den ursprünglichen Impfungen und den bivalenten Herbstboostern 2022 sowie zum Herbstbooster 2023.

Bei den ursprünglichen und den bivalenten Impfungen wurde die Wirksamkeit im Vergleich zu ungeimpften Schwangeren erhoben. Die während der Schwangerschaft geimpften Frauen hatten ein um 52% niedrigeres Risiko einer Notfallbehandlung wegen COVID-19. Anzumerken ist, dass nicht erhoben wurde, ob eine Frau zuvor schon mit SARS-CoV-2 infiziert gewesen war. Die Impfwirksamkeit wurde in dieser Studie somit vermutlich unterschätzt. Mehr Details finden sich in der publizierten Originalarbeit ("Effectiveness of the Original Monovalent and Bivalent COVID-19 Vaccines Against COVID-19–Associated Emergency Department and Urgent Care Encounters in Pregnant Persons Who Were Not Immunocompromised: VISION Network, June 2022–August 2023").

Bei der Erhebung zum Herbstbooster 2023 erfolgte der Vergleich unabhängig von früheren Impfungen - also so wie in den zuvor präsentierten Daten zum Herbstbooster 2024. Frauen, die den Booster erhalten hatten und nun schwanger waren (unabhängig davon, ob sie vor oder während der Schwangerschaft geimpft worden waren), hatten ein um 58% geringeres Risiko, eine Notfallbehandlung wegen COVID-19 zu benötigen als Schwangere ohne den Herbstbooster.

Wie ist sehr ist ein neugeborenes Baby durch die Impfung der Mama geschützt? Wir haben ja zuvor gesehen, dass die ganz kleinen Babys ein hohes Risiko haben, im Falle einer Ansteckung mit COVID-19 einer stationären Aufnahme zu bedürfen. In einer Studie der CDC von 2023 zeigte sich ein deutlicher Schutz der Neugeborenen durch eine Impfung während der Schwangerschaft. Babys im Alter von bis zu zwei Monaten hatten ein um 54% geringeres Risiko im Falle von COVID-19 eine stationäre Aufnahme zu benötigen. Da die von der Mama mitgegebenen Antikörper mit der Zeit verschwinden, nimmt die Wirksamkeit im Verlauf deutlich ab, insgesamt blieb sie bei den Babys unter 6 Monaten aber immerhin noch bei 35%. Details zu dieser Erhebung gibt es hier: Effectiveness of Maternal mRNA COVID-19 Vaccination During Pregnancy Against COVID-19–Associated Hospitalizations in Infants Aged <6 Months During SARS-CoV-2 Omicron Predominance — 20 States, March 9, 2022–May 31, 2023

Ansteckung

Ein weit verbreiteter Irrtum ist, dass die Impfungen nichts gegen Ansteckungen brächten. Wir alle wissen - oft aus eigener Erfahrung -, dass sie weit davon entfernt sind, sie komplett zu verhindern. Aber sie verringern das Risiko einer Ansteckung. Laut im Rahmen des ACIP-Meetings erstmals vorgestellter Daten reduziert eine Impfung innerhalb der letzten 6 Monate dieses Risiko um 45% im Vergleich zu ungeimpften Personen.


Die Daten im Kontext

Die vom CDC-Experten MacNeil vorgestellten Daten zeigen also zusammengefasst, dass ganz abgesehen von der Grundimmunisierung die Herbstbooster auch in einer Bevölkerung sinnvoll sind, in der schon fast alle zumindest eine COVID-19-Infektion hinter sich haben. Je höher das individuelle Risiko, desto höher ist auch der relative Schutz. Das gilt insbesondere auch für Schwangere und für Kinder. Anzumerken ist, dass es in all den präsentierten Daten um die Akuterkrankung und ihre unmittelbaren Folgen geht. Der Schutz der Impfung vor Long Covid in all seinen Ausprägungen war (leider) kein Thema der Vorträge beim ACIP-Meeting.

Was war die Reaktion der - siehe oben - von RFK jr. neu eingesetzten ACIP-Mitglieder auf die Vorträge und die anschließenden Diskussionen, in der - so hört man - die Evidenz von den CDC-Experten überzeugend vertieft wurden? Sie entschieden sich kurzfristig, keine Empfehlungen für oder gegen die Impfung auszusprechen. Sie verschoben eine Entscheidung.

Das müssen sie wohl, denn RFK jr. entschied im Mai in einem für die USA beispiellosen Akt ohne Expertenanhörung, dass die USA Kindern und Schwangeren keine COVID-Impfungen mehr empfehlen werden. Paul Offit, Professor für Kinderheilkunde, schrieb darüber in einem kurzen Blogartikel mit einem Titel, der keine Fragen offen lässt:

RFK Jr.’s War on Children
Ignoring CDC data, RFK Jr. tweeted that the government will no longer recommend Covid vaccines for healthy children and pregnant women.

In einer Stellungnahme auf X bezeichnete die American Academy of Pediatrics (AAP), in der ein Großteil der Kinderärztinnen und Kinderärzte der USA Mitglied ist, das ACIP-Meeting als „eine orchestrierte Kampagne, um Misstrauen gegenüber Impfungen und dem Zulassungsverfahren für Impfstoffe zu schüren”.

Auf X gepostete Stellungnahme der AAP.

Als Konsequenz entschied sich die AAP, eigene Impfempfehlungen auszusprechen, so wie sie es vor der Gründung des ACIP jahrzehntelang getan hatten:

Die AAP erklärte, dass sie weiterhin ihre eigenen evidenzbasierten Empfehlungen und Zeitpläne veröffentlichen werde. Die AAP hat in ihrer gesamten 95-jährigen Geschichte Impfempfehlungen ausgesprochen. „Was wir in dieser Sitzung gehört haben, war wirklich eine falsche Darstellung, dass die aktuellen Impfstoffrichtlinien fehlerhaft wären und korrigiert werden müssten“, sagte Dr. Sean T. O’Leary, M.P.H., FAAP, Vorsitzender des AAP-Ausschusses für Infektionskrankheiten, in einer Pressekonferenz. „Das ist völlig falsch. Diese Richtlinien haben Millionen von Menschenleben und Billionen von Dollar gerettet.“ (Quelle)

Ein wichtiger Schritt gegen die Saat der Impfgegner, die weit über die USA hinausgeht.