Über das Risiko einer Erkrankung an Long Covid

Über das Risiko einer Erkrankung an Long Covid

Substack-Artikel vom 07.11.2023:

:: Das individuelle Risiko ist gesunken, aber die Zahl der Infektionen ist gestiegen :: Der Verlauf von Long Covid ist bei Omikron nicht glimpflicher als bei den früheren Varianten ::


Die Immunitätswand aus Impfungen und früheren Infektionen führt dazu, dass COVID-19 in den meisten Fällen zwar unangenehm ist, aber nicht mehr akut gefährlich verläuft. Da schwere Verläufe dank der Impfungen seltener sind, treten auch die schweren Langzeitfolgen seltener auf. Dafür gibt es schon zahlreiche Studien. Wie sehr die Impfungen vor Long Covid nach mildem Verlauf von COVID-19 schützen, ist weniger gut erforscht, aber auch hier gibt es zumindest indirekte Hinweise auf einer Impfwirksamkeit. Mehr dazu zum Beispiel hier:

Die Impfung reduziert das Risiko an LongCovid zu erkranken. Auch bei Kindern.
Substack-Artikel vom 13.10.2023: Verschiedene Kategorien von Long Covid, wie gut die Impfungen vor Long Covid schützen und warum eine neue Studie zum Risiko bei Kindern auch für Erwachsene wichtig ist. Eine vor kurzem als Preprint erschienene Studie zu den SARS-CoV-2-Impfungen bei Kindern zeigt eine deutlich Reduktion des Risikos,

Zwei neue Studien beschäftigen sich mit der Häufigkeit des Auftretens von Long Covid sowie ob und wie sehr sich die Symptome im Verlauf bessern.


Die Häufigkeit von Long Covid vom Beginn der Pandemie bis zur Omikron-Ära

Eine der bisher größten Studien zu den anhaltenden gesundheitlichen Folgen von COVID-19 erschien vor kurzem im Nature-Verlag (“Long-term health impacts of COVID-19 among 242,712 adults in England”). 800.000 Teilnehmer des REACT-Programms zum COVID-19-Monitoring wurden eingeladen, an einer Online-Erhebung teilzunehmen, in der anhaltende Symptome erhoben werden sollten. 276,840 von ihnen nahmen an der Befragung teil. Von diesen war die Hälfte zumindest einmal an COVID-19 erkrankt - und zwar von Beginn der Pandemie bis März 2022, sodass als die relevanten Virusvarianten bis inklusive Omikron erfasst wurden.

Über den gesamten Zeitraum hatten 10,2% mehr als 4 Wochen, 7,5% mehr als 12 Wochen (= definitionsgemäß “Long Covid”) und 5,2% mehr als 52 Wochen anhaltende Symptome. Auffallend ist dabei, dass mit Fortschreiten der Pandemie der Anteil der Personen mit anhaltenden Symptomen geringer wurde. Während von den mit dem Wildtyp angesteckten Personen nach 12 Wochen noch mehr als 20% symptomatisch waren und somit die Kriterien von Long Covid erfüllten, waren es bei Alpha rund 15%, bei Delta knapp 10% und bei Omikron etwas mehr als 5%.

Die Kurve zeigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Teilnehmer über den Zeitpunkt t hinaus Symptome hat. Teilnehmer, die zu einem Zeitpunkt infiziert wurden, als der Wildtyp (blau) vorherrschte, hatten eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass die Symptome über den Zeitpunkt t hinaus fortbestehen, verglichen mit Alpha (rot), Delta (grau) und Omicron (orange).

Das spiegelt sich auch beim Risikoverhältnis von anhaltenden Symptomen wider. Im Vergleich zu den am Wildtyp erkrankten Personen war das Risiko von Long Covid bei den mit Delta Infizierten um 62% geringer, bei Omikron um 88%. Weiters war - wenig überraschend - das Risiko nach einem schweren COVID-Verlauf erhöht, nach 2 oder mehr Impfungen war das Risiko von anhaltenden Symptomen nach 12 Monaten nicht einmal halb so groß wie bei ungeimpften.

Faktoren assoziiert mit anhaltenden Symptomen nach COVID-19, die i) ≥12 Wochen und ii) ≥52 Wochen andauerten, im Vergleich zu denjenigen, die angaben, symptomlos zu sein oder deren Symptome innerhalb von 4 Wochen abklangen. Bereinigte Odds Ratios vergleichen Teilnehmer mit anhaltenden Symptomen, die i) ≥12 Wochen (schwarz) oder ii) ≥52 Wochen (blau) andauerten, mit denen, die angaben, symptomlos zu sein oder deren Symptome innerhalb von 4 Wochen abklangen (n = 126.016 Teilnehmer für die Analyse ≥12 Wochen / n = 121.142 Teilnehmer für die Analyse ≥52 Wochen).

Zusammenfassend nahm der Anteil der an Long Covid leidenden Personen nach einer Infektion also mit der Zeit ab. Delta, die bisher brutalste Variante, was die Verläufe bei nicht vorimmunisierten Menschen betrifft, führte seltener zu Long Covid als der Wildtyp und Alpha, am seltensten tritt Long Covid bei Omikron auf.

Auch wenn das Design dieser Studie keine direkte Kausalität belegen kann, deutet doch sehr viel darauf hin, dass der Anteil der nach COVID-19 an Long Covid erkrankten Personen geringer wird, weil mehr Leute eine (Teil-)Immunität durch Impfung und/oder vorherige Infektion haben.

Auf individueller Ebene ist das Risiko, an Long Covid zu erkranken also inzwischen deutlich niedriger als in der Anfangsphase der Pandemie. Das ist ein Eindruck, den man auch im Umfeld hat. Es häufen sich die Studien, laut denen die lange kolportierten “10-15% Long Covid” nicht mehr der Realität entsprechen.

In absoluten Zahlen schaut das allerdings anders aus, wie ein Blick auf folgende Grafik zeigt:

Kumulative Zahl der nachgewiesenen Fälle von COVID-19 in Österreich, Schweiz und Deutschland. Die rote Linie markiert den Beginn der Omikron-Ära. (Anmerkung: Die Zahl der tatsächlichen Infektionen ist ab 2022 sicherlich deutlich unterschätzt, da immer weniger PCR-Tests durchgeführt wurden. Spätestens ab 2023 geschah das auch im damaligen PCR-Paradies Wien.)

Mit dem Aufkommen von Omikron Ende 2021 (markiert durch die rote Linie) nahm die Gesamtzahl der Infektionen enorm zu. Das bedeutet folglich, dass trotz gesunkendem individuellem Risiko mit einer großen Gesamtzahl von Long Covid-Fällen zu rechnen ist. Entwarnung sieht anders aus. (Anmerkung: Die Zahl der tatsächlichen Infektionen ist in der Grafik spätestens ab 2022 deutlich unterschätzt, da immer weniger PCR-Tests durchgeführt wurden. Spätestens ab 2023 geschah das auch im damaligen PCR-Paradies Wien kaum mehr.)


Der Verlauf von Long Covid bei schwerer Betroffenen

Ebenfalls vor kurzem erschien eine dänische Studie, in der untersucht wurde, wie es Personen mit offiziell diagnostiziertem Long Covid 1½ nach der Infektion geht (“Long-term Prognosis at 1.5 years after Infection with Wild-type strain of SARS-CoV-2 and Alpha, Delta, as well as Omicron Variants”).

In diese Studie wurden Personen mit Long Covid inkludiert, die vom praktischen Arzt an eine spezialisierte Post-Covid-Ambulanz verwiesen wurde. Es handelt sich also folglich um eher schwerer von Long Covid betroffene Personen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass insgesamt nur 10% während ihrer akuten COVID-19-Phase stationär aufgenommen worden waren, bei den in der Omikron-Phase infizierten waren es nur 4%. Der überwiegende Teil der Betroffenen hatte also offenbar einen “milden COVID-Verlauf” und gehören wohl großteils zur ersten Kategorie der in einem früheren Blogartikel vorgestellten Long Covid-Untergruppen.

Insgesamt 806 Betroffene wurden in wiederholten Ambulanzvisiten untersucht und ihre Symptomlast wurde mit verschiedenen Fragebögen erhoben. Der Score des standardisierten Post-Covid-Questionaire (PSQ) besserte sich bei der Gesamtgruppe der Probanden zwischen den Erhebungen nach 7 und nach 10 Monaten. Allerdings war die Verbesserung des Scores recht gering, sodass sie klinisch in den wenigsten Fällen relevant war. In weiterer Folge (Monate 10 bis 18) war auch statistisch keine weitere Verbesserung mehr festzustellen.

Medianwert des Post-COVID-Symptomscores (PCQ) bei Long COVID-Patienten, die mit der Wildtyp-, Alpha-, Delta- und Omicron-Variante infiziert waren, während der Nachbeobachtungszeit von 7, 8, 10, 12 und 18 Monaten nach der SARS-CoV-2-Infektion.

Auf individueller Ebene erreichten 57% der Personen keine Verbesserung des PCQ-Scores. Bemerkenswert war dabei, dass es dabei keinen Unterschied je nach Virusvariante gab, mit der man sich infiziert hatte. Long Covid nach Omikron verlief nicht glimpflicher und besserte sich nicht eher als Long Covid nach den früheren Varianten.


Schlussfolgerung

Die beiden Studien bestärken die Ergebnisse zu früheren Studien und fügen insbesondere zu Omikron neue Erkenntnisse hinzu.

  • Dank Impfungen und Vorinfektionen ist das Risiko, nach einer COVID-19-Erkrankung an anhaltenden Folgen zu leiden deutlich geringer als in der Anfangszeit der Pandemie.
  • Aufgrund der großen Zahl an Infektionen heißt das aber nicht, dass die Zahl der Fälle von Long Covid insgesamt zurückgeht.
  • Wer mehrere Monate nach COVID-19 noch anhaltende Symptome hat, verspürt in vielen Fällen nur mehr wenig Besserung. Zumindest solange es keine etablierten und zielgerichteten Therapiemöglichkeiten gibt.