Über die Rolle von Kindern in der COVID-19-Pandemie
Substack-Artikel vom 04.06.2023:
Aus Anlass einer neuen Studie zur Rolle der Kinder bei der Übertragung von SARS-CoV-2 ein paar Betrachtungen darüber, wie Kinder zum Spielball von Interessen in der Pandemie wurden.
Vor wenigen Tagen wurde im medizinischen Top-Journal JAMA eine neue Studie publiziert, in der mit einem gänzlich anderen Ansatz als bei den bisher zu diesem Thema erschienenen virologischen und epidemiologischen Studien geschaut wurde, wie sehr Kinder und Jugendliche zum Infektionsgeschehen der Pandemie in den USA (bis Oktober 2022) beitrugen. Ihr Ergebnis: Knapp 70% der Ansteckungen in den Haushalten gingen von den Kindern aus. Bevor ich kurz zu dieser Studie komme, möchte ich aber die Rolle der Kinder in der Pandemie etwas genereller betrachten bzw. die Rolle, die ihnen zugewiesen wurde.
Kinder als Spielball der Pandemiepolitik.
Der Umgang mit den Kindern ist für mich eines der dunklen Kapitel der Pandemie. Erst wurde ihre Rolle als Teil des Pandemiegeschehens heruntergespielt oder gar negiert. Das Kindeswohl, die soziale Entwicklung, psychische Folgen, der schulische Fortschritt wurden als Argumente gebracht. Vieles davon durchaus zurecht. Aber als die Forderung nach Maßnahmen für eine bessere Luft in den Schulen und Kindergärten auftauchten, wurden diese oft von denselben Leuten ignoriert, die zuvor ihre großen Sorgen um die Kinder in die Öffentlichkeit getragen hatten. Als die große Welle im Herbst 2020 die Spitäler, insbesondere die Intensivstationen, zum Zusammenbruch brachte, wurden zum Schutz der Erwachsenen erst recht wieder die Schulen mit ihren schlecht belüfteten Klassenräumen gesperrt. Das Kindeswohl musste warten.
Die Kinder waren ein Mittel, um die Erwachsenen zu schützen. Als jene Erwachsenen, die das wollten, ihren Impfschutz hatten und das Ende der Pandemie ausrufen wollten, rauschte die Omikron-Welle in nie dagewesenem Ausmaß durch die Schulen, die der Welle schutzlos ausgeliefert waren. Bei meinen beiden Töchtern waren teilweise nur mehr ein Drittel der Kinder anwesend, der Rest war krank. Obwohl man bereits bestens über die potentiellen Folgen für die Kinder Bescheid wusste, gab es weiterhin keinerlei Schutzmaßnahmen für die Kinder. Die Konsequenzen werden wir erst in Jahren wirklich erfassen.
Natürlich können sich Kinder anstecken. Natürlich können Kinder andere anstecken. Natürlich können Kinder erkranken.
Alle Eltern (und in Wirklichkeit alle Menschen, die Eltern kennen…) wissen aus eigener Erfahrung, dass Kinder eine Menge an Viren aus dem Kindergarten oder der Schule nachhause bringen. Vor allem in der Anfangszeit der COVID-19-Pandemie erfolgte dennoch ein Framing, dass Kinder ausgerechnet in bei COVID kein Teil des Infektionsgeschehens wären. Erst hieß es, Kinder würden sich kaum anstecken. Später hieß es, okay, sie stecken sich an, geben das Virus aber nicht weiter. Außerdem wurde behauptet, es träten keine schwereren Verläufe bei Kindern auf und schon gar keine Folgeerkrankungen.
Als Mitte März 2020 die Schule zugesperrt wurden, hatte das eine enorme symbolische Wirkung. Das Land war in einer Schockstarre. Spätestens jetzt war jedem klar, dass es sich bei diesem Virus um eine große Sache handeln musste. Aber es dauerte nur wenige Wochen, bis die ersten Vorboten der späteren Querdenkerbewegung auftauchten. Und leider wurden sie indirekt auch von Personen unterstützt, die - teilweise durchaus mit berechtigten Sorgen um die von ihrer sozialen Entwicklung weggesperrten Kinder - ähnliche Argumente brachten.
Als im deutschsprachigen Raum Christian Drosten im Mai 2020 einer der ersten war, der mit seiner Arbeitsgruppe zeigte, dass Kinder - wenig überraschend - selbstverständlich ansteckend sein können, traten Kinderarztverbände, später auch Psycholog:innen und Pädagog:innen auf, die sich gegen ihn stellten. Danach waren es die geistigen Väter (kaum Mütter) der Querdenker und natürlich die Schmuddelpresse.
Später wurde die “grob falsche” Studie im Topjournal Science publiziert.
In der Folge wurde unter anderem publiziert:
- dass in Indien Übertragungen durch Kinder häufiger sind als durch Erwachsene (09/2020; indische Kinder wären anders, wurde dann behauptet)
- dass die Inzidenz bei Kindern in Bayern in der Frühphase der Pandemie bei weitem unterschätzt wurde, weil sie einfach kaum getestet wurden (10/2020)
- dass vor allem jüngere Kinder häufiger das Virus weitergeben (Kanada, 08/2021)
- dass Kinder sich ähnlich häufig selber anstecken wie Erwachsene (NYC & Utah, 10/2021)
- dass in Deutschland in der frühen Omikron-Welle trotz noch bestehender Hygienemaßnahmen 20% der Infektionen in Schulen auftraten und sich dabei ein Drittel der Kinder und des Lehrpersonals ansteckte (12/2022).
Weiters zeigen offizielle Statistiken, dass COVID-19 2020-2022 in absoluten Zahlen weltweit nach den Masern von allen Infektionskrankheiten am meisten durch Impfungen vermeidbare Todesfälle bei Kindern und Jugendlichen zur Folge gehabt hat. Laut einer Erhebung der UNESCO traten 0,4% aller COVID-19-Todesfälle bei Kindern und Jugendlichen auf.
Auch wenn COVID-19 für Kinder tatsächlich oft mild oder gar asymptomatisch verläuft, ist das nicht meine Definition einer für Kinder harmlosen Erkrankung.
Kinder als Mittel zur Durchseuchung
Ich habe keinen Zweifel, dass das Framing, Kinder wären kein wesentlicher Teil des Pandemiegeschehens, durchaus auch aus guten Intentionen entstand. Die Sorge um die negativen Folgen der Schulschließungen und anderer Maßnahmen gerade für Kinder und Jugendliche, die mitten in der wichtigsten Phase der sozialen Entwicklung sind, war und ist absolut berechtigt. Umso schlimmer, wie wenig dann getan wurde, um die Jugendlichen zu schützen und zu unterstützen. Als im Sommer erste Vorschläge für Maßnahmen von sicheren und offenen Schulen aufkamen, wurden diese - zumindest in Österreich - von Politik und Behörden nicht einmal ignoriert.
In der Folge entstanden Initiativen wie die Initiative Gesundes Österreich (IGÖ), die Expertise aus dem Bereich der Pädagogik, der Technik und der Medizin zusammentrug, konkrete Vorschläge machte, in den Ministerien sowie den Bildungs- und Gesundheitsbehörden der Bundesländer Gehör zu finden versuchte. Die mir teilweise bekannten Briefwechsel sind ein trauriges Beispiel des abgeschaßelt Werdens - um es auf Österreichisch zu sagen.
Vielleicht ist es Desinteresse, vielleicht wollte man sich das Geld für Luftfilter sparen, vielleicht sind Kinder einfach nicht so wichtig wie behauptet? Ich weiß es im Falle der heimischen Behörden nicht.
Aber anderswo ist die Sache klarer und düsterer. Die absichtliche Durchseuchung von Kindern wurden als Mittel zum Zweck des rascheren Erreichens einer Herdenimmunität gesehen. Dies ist u.a. ein wesentlicher Teil der libertären Great Barrington Declaration, die zwar vom überwiegenden Teil der Wissenschaft und von Gesundheitsorganisationen bis hinauf zur WHO als unethisch und auf wissenschaftlich nicht haltbaren Überlegungen basierend abgelehnt wird, aber dennoch bei Maßnahmengegnern großen Zuspruch gefunden hat.
Wenige waren in ihren Aussagen so explizit wie Trump-Berater Paul Alexander in einem von Politico veröffentlichten Schriftverkehr.
“There is no other way, we need to establish herd, and it only comes about allowing the non-high risk groups expose themselves to the virus. PERIOD.
It may be that it will be best if we open up and flood the zone and let the kids and young folk get infected.”
"Es gibt keinen anderen Weg, wir müssen eine Herde[nimmunität] aufbauen, und das geht nur, wenn die Nicht-Hochrisikogruppen sich dem Virus aussetzen können. PUNKT.
Es kann sein, dass es das Beste ist, wenn wir öffnen und die Zone fluten und die Kinder und jungen Leute sich anstecken lassen."
Und wie immer, wenn es um absichtliche Durchseuchung geht, stößt man auch auf den Vater des Schwedischen Weges Anders Tegnell, der im März 2020 schrieb:
“Ein Punkt würde dafür sprechen, die Schulen offen zu lassen, um schneller die Herdimmunität zu erreichen.”
Von Kindeswohl steht hier kein Wort. Stattdessen wurden Kinder als Mittel zum Zweck gesehen, dass die Erwachsenen rascher ihrem gewohnten Leben nachgehen können.
Dass die Herdenimmunität bei COVID-19 aufgrund der Waning Immunity, der nachlassenden Immunität, übrigens gar nicht möglich ist, wissen wir inzwischen längst.
Kurzer Überblick über die JAMA-Studie
Zum Abschluss noch ein Blick auf die Studie, der für mich der Anlass für den Blogartikel war.
Interessant an dieser Studie ist vor allem, dass hier ein im Vergleich zu den üblichen Ansteckungsstudien völlig anderer, origineller Ansatz gewählt wurde. Und zwar wurden Daten von Smart Thermometer erhoben, mit denen 862.577 Personen aus 320.073 Haushalten auf freiwilliger Basis ihre Fiebermessungen via Smartphone-App hochluden. Die Beobachtung begann im Oktober 2019 - also noch vor der Pandemie - und wurde bis Oktober 2022 fortgeführt.
Diese Daten wurden nicht mit virologischen Befunden (Antigentests, PCR) verknüpft. Aber anhand der Virussurveillance gehen die Studienautoren davon aus, dass zumindest von März 2020 bis Sommer 2021 fast alle Fälle von Fieber auf COVID-19 zurückzuführen war und danach bis Herbst 2022, als RSV und Influenza deutlich zu steigen begannen, der überwiegende Teil.
Bei aller Bedachtnahme darauf, dass es sich im Fiebermessungen, nicht um Virusnachweis handelt, konnten die Forscher erheben, dass über den gesamten Bereich 70,4% der fieberhaften Erkrankungen in den Haushalten von Kindern und Jugendlichen (bis 18 Jahre) ausgingen. In Spitzenzeiten waren es bis 80%, deutlich weniger als 70% waren es zum einen während der Schulferien, zu den Zeiten der pandemisch bedingten Schulsperren sowie auch in den Inzidenzspitzen der Delta- und der frühen Omikron-Wellen. Die folgende Grafik zeigt den anhand der Daten erhobenen Anteil der Fälle von Ansteckungen innerhalb der Haushalte an der Gesamtzahl von fieberhaften Erkrankungen:
Die folgende Grafik zeigt den Anteil der von Kindern ausgehenden Ansteckungen an der Gesamtzahl der in den Haushalten aufgetretenen Ansteckungen. Die Spannbreite geht von 37% zu Zeiten der Schulsperren bis 84% in der ersten Omikron-Welle. Zwischenzeitliche niedrigere Anteile traten während der hohen Winterwellen bei gleichzeitigen Schulferien auf.
Zusammengefasst zeigt die Studie bei allen Limitationen (fehlender Virusnachweis) in einer viel größeren Personengruppe als bei den herkömmlichen epidemiologischen Studien, dass Kinder und Jugendliche auch bei COVID-19 eine maßgebliche Rolle im Infektionsgeschehen spielen.
P.S.: Als Botschafter für die oben bereits erwähnte Initiative Gesundes Österreich durfte ich im September 2022 auf einer Pressekonferenz über dieses Thema sprechen. Wobei es in den ersten Minuten mehr Stottern als Sprechen war. War ja auch meine erste Pressekonferenz…