Verschmelzende Zellen und andere Dinge, die COVID-19 im Gehirn anstellen kann.

Verschmelzende Zellen und andere Dinge, die COVID-19 im Gehirn anstellen kann.

Substack-Artikel vom 08.06.2023:

Kurzer Überblick über drei neue Studien


Dass COVID-19 weit mehr als eine Atemwegsinfektion ist, lernten wir recht rasch in der Pandemie. Die COVID-Lungenentzündungen waren es zwar, die die Spitäler und insbesondere die Intensivstationen in den ersten Monaten am meisten belasteten und am meisten Todesopfer forderten, aber später zeigte sich immer mehr, dass COVID-19 eine über die Luft übertragene Krankheit der kleinen Blutgefäße und der Nerven ist. Das falsche Framing als Schnupfen ist eben genau das: falsch.

Dass COVID-19 mit dem Gehirn einiges anstellen kann, wurde bald klar. Neben einem deutlich erhöhten Risiko von Schlaganfällen treten auch eine Reihe anderer neurologischer und neuropsychiatrischer Folgen wie Demenz, Epilepsie, aber auch Angststörungen oder Psychosen gehäuft auf. Dies wurde zum Beispiel in dieser im Lancet Psychiatry veröffentlichten Studie mit Daten aus gleich mehreren Ländern gezeigt, bei der über eine Million Personen nach COVID-19 mit vergleichbaren Personen nach anderen “Atemwegsinfekten” verglichen wurden. Hier z.B. das relative Risiko 6 Monate nach der Infektion.

Und insbesondere sind neurologische Erkrankungen auch ein wichtiger Teil des Symptomenspektrums von Long Covid. Ein bisschen darüber habe ich im zweiten Teil von Long Covid und ME/CFS geschrieben. Der Brain Fog ist geradezu sprichwörtlich für das, was im Gehirn passieren kann.


Nun erschienen eben drei Studien, die aus jeweils völlig unterschiedlichen Blickwinkeln auf das schauen, was nach COVID-19 im Gehirn passieren kann. Zwei dieser Studien hat Eric Topol in seinem Blogartikel The Brain and Long Covid vor wenigen Tagen eingehender besprochen (eine Empfehlung).

1. Spike-Protein akkumuliert im Schädelknochen, in der Hirnhaut und im Gehirn

Diese Studie aus München ist noch ein Preprint, wurde also noch nicht offiziell reviewt, aber aufgrund seiner Bedeutung doch schon von zahlreichen Experten begutachtet. Bei 12 der 20 untersuchten Personen, die zuvor an COVID-19 erkrankt waren und an einer nicht mit der Infektion assoziierten Ursache verstorben waren, wurde das Spike-Protein des SARS-CoV-2-Virus im Schädelknochen, in der Hirnhaut und auch im Gehirn nachgewiesen, in einigen Fällen Monate nach der Genesung von der Infektion. Die Akkumulation von Spike-Protein (auch ohne andere Virusbestandteile) war mit einer Entzündungsreaktion im Gehirn assoziiert, die bei den Präparaten ohne Spike-Protein nicht gefunden wurde. Spike-Protein, dass im Tierversuch in das Gehirn von Mäusen eingebracht wird, führt dort zu chronischen Entzündungen bis zum Zelluntergung. Die Autoren sehen das als Hinweis für einen Mechanismus sowohl für die kurzfristigen, als auch für langfristige neurologische Folgen.

2. Auch mildes COVID-19 führt zu strukturellen entzündlichen Veränderungen im Gehirn

Diese Studie aus Hamburg wurde vor zwei Wochen im Topjournal PNAS publiziert. Hier wurde bei 223 ungeimpften Personen rund 10 Monate nach einer milden bis moderaten COVID-19-Erkrankung eine Magnetresonanzuntersuchungen des Gehirns durchgeführt und den Untersuchungen bei ebenso vielen vergleichbaren Personen ohne Infektion gegenüber gestellt. Wichtig ist, dass es sich ausschließlich um komplett genesene Menschen ohne Long Covid Symptome handelte. Trotzdem wurde ein signifikanter Anstieg von strukturellen Markern für eine Entzündungen im Gehirn gefunden. Die Unterschiede waren subtil, aber doch so groß, dass ein Maschinenlernprogramm mit hoher Genauigkeit die Bilder der Personen nach COVID-19 identifizieren konnte.

Vorhersage einer zurückliegenden SARS-CoV-2-Infektion anhand von Bildgebungsmarkern. Um die diagnostische Relevanz der bewerteten bildgebenden Marker des Gehirns zu beurteilen, wurde eine überwachte maschinelle Lernanalyse durchgeführt. Die dargestellten Boxplots zeigen die Genauigkeit von logistischen Regressionsmodellen, die auf regionalen Bildgebungsmetriken trainiert wurden, um eine frühere SARS-CoV-2-Infektion vorherzusagen. Vorhersagemodelle auf der Grundlage von freiem Wasser und MD erreichten eine beachtliche Genauigkeit von etwa 80 % bei der Vorhersage einer früheren SARS-CoV-2-Infektion. Damit übertrafen sie die anderen untersuchten bildgebenden Marker. Alle Modelle mit Ausnahme der Modelle, die auf der kortikalen Dicke basieren, erreichten eine deutlich bessere Leistung als die Nullmodelle.

3. COVID-19 führt zur Verschmelzung von Nervenzellen im Gehirn

Gestern (07.06.2023) erschien in Science Advances ein Artikel einer Forschergruppe aus Australien. Sie zeigten, dass SARS-CoV-2 dazu führen kann, dass Nervenzellen miteinander verschmelzen und dass dadurch ihre Funktion beeinträchtigt wird. Dies wurde vorerst zwar lediglich in Zell- und Organoidkulturen gezeigt, aber in einem Science Newsartikel gehen Neurowissenschaftler, die an der Studie nicht beteiligt waren, davon aus, dass ähnliche Prozesse - so wie übrigens bereits im Lungengewebe nachgewiesen - in vivo in einem infizierten Gehirn auftreten können und dass dies eine Erklärung für neurologische Folgeerscheinungen bis zum Brain Fog sein könnte.

(F) Repräsentative Neuronen, die im Laufe der Zeit fusionieren. Hippocampus-Neuronen, die bei 7 bis 10 DIV mit p15 und GFP (oben) oder mit leerem Vektor und GFP in der Kontrolle (unten) kotransfiziert und für 1, 4 oder 7 Tage kultiviert wurden. Immunzytochemie für Zellkerne (blau), MAP2 (magenta) und GFP (grün). (G) Quantifizierung der neuronalen Synzytien als prozentualer Anteil der fusionierten Neuronen an der Gesamtzahl der GFP-positiven Neuronen. (H) Quantifizierung der durchschnittlichen Anzahl von Neuronen pro Synzytium (mehr als fünf Neuronen).

Spike-Proteine samt begleitender Entzündungsreaktion im Gehirn nach einer COVID-19-Erkrankung; im MRT sichtbare Entzündungsreaktionen des Gehirn 10 Monate nach der scheinbar kompletten Genesung von COVID-19; pathologische Fusionierung von infizierten Nervenzellen. Dazu epidemiologische Studien zu den mittel- bis langfristigen neurologischen Folgen von COVID-19 bei Menschen ohne Long Covid, wobei wir noch gar nicht wirklich abschätzen können, was für Spätfolgen 5, 10 oder 20 Jahre später auftreten können. Ganz zu schweigen von den schweren Symptomen bei jenen, die tatsächlich an Long Covid oder gar ME/CFS erkrankt sind.

Soll jeder für sich selber überlegen, ob das einem harmlosen Schnupfen entspricht.