Was passiert, wenn man wiederholt an COVID-19 erkrankt?

Was passiert, wenn man wiederholt an COVID-19 erkrankt?

Substack-Artikel vom 27.04.2023:

Sind Reinfektionen mit SARS-CoV-2 nur mehr wie leichte Verkühlungen? Oder muss man sich vor jeder Infektion fürchten? Eine Artikel im Nature fasst zusammen, was wir darüber wissen.


Nach drei Jahren Pandemie und im Wissen, dass SARS-CoV-2 bleiben wird und dass sich die meisten von uns mehrfach anstecken werden, hat sich der Glaube durchgesetzt, dass Reinfektionen harmlos seien. Vereinzelte Stimmen warnen weiterhin vor den Folgen von COVID-19. Ein aktueller Artikel im Nature versucht die Fakten hinter diesen Annahmen zu ergründen. Reinfektionen führen im Vergleich zur Erstinfektion im Schnitt zu weniger schweren Erkrankungen und zu weniger LongCovid. Das heißt aber keineswegs, dass Reinfektionen grundsätzlich harmlos sind.

Die Hauptpunkte des Artikels:

  1. Mit jeder Reinfektion steigt das kumulative Risiko für Hospitalisierungen. Wer primär einen leichten Verlauf hatte, kommt auch bei weiteren Infektionen meist glimpflich davon. Für Menschen mit primär schwerem Verlauf sind auch die weiteren Infektionen oft schwerer.
  2. Das Risiko für LongCovid und andere Folgeerkrankungen steigt mit jeder Reinfektion. Es ist um ca. 1/3 geringer als beim ersten Mal und damit immer noch beträchtlich.
  3. Wer schon an LongCovid erkrankt ist, hat im Falle einer Reinfektion ein beträchtliches Risiko einer Verschlechterung der Symptome.
  4. COVID-19 macht was mit dem Immunsystem. Aber was?

Die ersten beiden Punkte wurden vor allem in einer sehr großen Studie mit Daten von US-Veterans untersucht. Inkludiert wurden Personen, die zwischen März 2020 und April 2022 infiziert wurden, also zu einer Zeit, als im Gesundheitsbereich COVID-Tests großteils verpflichtend waren. Es wurden also vermutlich nicht nur die besonders kranken Personen rausgefischt. Andererseits wurden die Omikron-Subvarianten kaum mehr erfasst, und wenn dann nur mehr BA.1.

Wie schwer sind Reinfektionen?

Die folgende Grafik fasst die wichtigsten Ergebnisse der Studie grafisch eindrücklich zusammen. Bei allen Endpunkten steigt das kumulative Risiko mit jeder Reinfektion. Sowohl bei den Hospitalisierungen als Parameter für schwere akute Verläufe als auch bei den Folgeerscheinungen innerhalb von 6 Monaten nach der (Re-)Infektion inklusive Long Covid.

Wie schaut es mit Omikron aus? Ja, die Erkrankungen sind milder. Das liegt in erster Linie an der Immunität durch die Impfungen bzw. an der Hybridimmunität von Zustand nach Infektion plus Impfung. (Und zur Sicherheit zum hundertsten Mal: Nein, es ist keine gute Idee sich zu infizieren, um vor einer Infektion geschützt zu sein.) Aber die Omikron-Varianten dürften auch per se weniger schwere Verläufe hervorrufen als zuvor Delta, das Ende 2021 noch einmal unsere Intensivstationen mit ihrem von damals bereits fast 2 Jahren Pandemie ausgezehrten Personal heftig betraf. In dieser Studie von 2022 wird das mit aufwendig erhobenen Daten belegt - zumindest für die frühen Omikron-Subvarianten. To put things into perspective: Omikron ist milder als der wilde Kerl Delta, dürfte damit ungefähr im Bereich des SARS-CoV-2-Wildtyps sein. Und der war - bei einer damals immunnaiven Bevölkerung - alles andere als mild.

Reinfektionen und Long Covid

In der oben zitierten Studie bei den US-Veterans ist bereits zu sehen, dass Long Covid auch nach Reinfektionen ein Thema ist. Wer die erste Infektion ohne Long Covid überstanden hat, ist nicht davor gefeit, nach einer Reinfektion daran zu erkranken.

In dieser Erhebung durch die UK-Gesundheitsbehörden war Long Covid nach Reinfektionen bei Erwachsenen etwa um ein Drittel seltener und auch weniger stark ausgeprägt, bei Kindern und Jugendlichen gleich häufig und schwer wie nach der Erstinfektion (bei allerdings einem riesigen Konfidenzintervall, also großer statistischer Unschärfe):

Andere Studien brachten ähnliche Ergebnisse: 1/3 weniger Long Covid. Bleiben immer noch 2/3.

Und wie schaut es mit dem Immunsystem aus?

Ein großes und vor allem in den sozialen Medien heftig diskutiertes Thema, das meine immunlogischen Kenntnisse als Kliniker übersteigt, weshalb ich auch nicht viel weiter darauf eingehen möchte. Gerade der klinische Eindruck ist aber, dass die Warnungen vor “airborne AIDS” doch weit übertrieben sind.

Wie auch nach anderen schweren Virusinfektionen ist das Immunsystem nach COVID-19 für einige Wochen gestört, es gibt aber kaum handfeste Hinweise für eine langfristige Schädigung. (Ausnahme: Bei LongCovid ist eine Immunschwäche häufig, aber keine direkte Folge der Infektion, sondern eine Teil der Autimmunphänomene der Erkrankung.)

Die klarste Aussage dazu wird für uns Nicht-Immunolog:innen im Nature-Artikel zitiert. Margarita Dominguez-Villar, Ko-Autorin eines Artikels über den Effekt von COVID-19 auf Monozyten sagt:

Suddenly I see my paper being retweeted like 1,000 times. I think it generated a lot of panic when there shouldn’t be any.

Also:

Nach drei Jahren haben wir zwar das Gröbste hinter uns, aber für eine völlige Entwarnung ist es zu früh. Die Immunität durch Impfungen bzw. die Hybridimmunität mildern den ursprünglichen Schrecken deutlich, aber SARS-CoV-2 bleibt als ein Virus, das schwere Erkrankungen und heftige Langzeitprobleme hervorrufen kann. Das Risiko ist geringer, aber immer noch beträchtlich.

Meine Tochter steckte sich nach drei Impfungen mit einer Omikron-Variante an und leidet seit einem Jahr an Long Covid inkl. Rehab und einem verlorenen Schuljahr (das geringste Problem). Davon, dass ihr Risiko, an Long Covid zu erkranken, statistisch geringer war, kann sie sich nichts kaufen.