Wer soll im Falle von COVID-19 eine Behandlung mit Paxlovid bekommen?

Wer soll im Falle von COVID-19 eine Behandlung mit Paxlovid bekommen?

Substack-Artikel von 02.07.2023:

Und was ist mit Long Covid?


Nirmatrelvir/Ritonavir (= Paxlovid) war ein Durchbruch in der Behandlung von COVID-19. In der im NEJM publizierten Zulassungsstudie senkte es bei ungeimpften Hochrisikopatienten das Risiko eines schweren Verlaufes um fast 90%. Später zeigte sich in einer israelische Studie auch bei geimpften Personen über 65 Jahren eine Risikoreduktion einer schweren Verlaufes von immer noch über 70% , aber keine statistisch signifikante Risikoreduktion bei den unter 65Jährigen. Und schließlich erschien im April 2023 eine Studie mit Daten der US-Veterans, in der eine signifikante Risikoreduktion bei geimpften wie ungeimpften Personen mit mindestens einem Risikofaktor für einen schweren Verlauf zeigte.

Aber wie schaut es für jene aus, die zu keiner Risikogruppe gehören, weil sie keine Vorerkrankungen und unter 50 sind?


Nirmatrelvir/Ritonavir für Covid-19 bei geimpften, nicht hospitalisierten Erwachsenen im Alter von 18-50 Jahren

Vor wenigen Tagen erschien im Journal Clinical Infectious Diseases eine neue Studie zu Paxlovid. Erstautor ist der auf Substack sehr aktive Jeremy Faust, MD der in seinem Blog auch selber über die Studie berichtet.

Anhand einer großen Datenbank mit Gesundheitsdaten wurden 2547 geimpfte Personen von 18 bis 50 Jahren, die an COVID-19 erkrankten und eine Therapie mit Paxlovid erhielten, mit ebenso vielen vergleichbaren Personen ohne Paxlovid verglichen. Der Untersuchungszeitraum war Dezember 2021 bis Juni 2022, also großteils in der Zeit der früheren Omikron-Varianten.

Geschaut wurde, wie viele aus den beiden Gruppen innerhalb von 30 Tagen nach der Infektion aus irgendeinem Grund eine Notfallaufnahme aufsuchten, hospitalisiert wurden oder verstarben. (Wichtige Anmerkung: Es handelte sich also um eine retrospektive Untersuchung, bei der im Nachhinein geschaut wurde, wie der Verlauf der Erkrankung war. Der Goldstandard einer Medikamentenstudie wurde also nicht erfüllt.)

Das Ergebnis der Studie war eine Reduktion des relativen Risikos für den oben beschriebenen Endpunkt (Notfallaufnahme, Hospitalisierung oder Tod) um rund 30%. Bei Einzelbetrachtung der drei Punkte war das Risiko einer Hospitalisierung bei den Personen mit Paxlovid sogar um 65% reduziert; von den mit Paxlovid behandelten Personen starb kein einziger, bei den unbehandelten gab es 10 Todesfälle innerhalb von 30 Tagen nach der Infektion.

Schließlich betrachteten die Autoren die einzelne Untergruppen. Hier zeigte sich, dass Personen mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf - so wie in den früheren Studien - von einer Behandlung mit Paxlovid profitierten. Krebskranke und Personen mit einer Herzkreislauferkrankung hatten ein jeweils um etwa ein Drittel reduziertes Risiko eines schweren Verlaufes, Personen mit beiden Erkrankungen ein um fast 60% verringertes relatives Risiko. Etwas überraschend war, dass Personen mit einer chronischen Lungenkrankheit zwar ein tendenziell geringeres Risiko hatten, dies aber nicht statistisch signifikant war (bei doch immerhin jeweils fast 800 Personen in der Paxlovid- und der Vergleichsgruppe).

Und es zeigte sich, dass Personen ohne Risikofaktoren von der Behandlung mit Paxlovid nicht profitierten.

Zusammenfassung des Studienergebnisses

  • Nicht nur die älteren Personen (ja, wir reden hier von einer Altergrenze von 50 Jahren…) profitieren bei einer Erkrankung an COVID-19 von einer Behandlung mit Paxlovid, auch geimpfte Personen unter 50 mit Risikofaktoren haben eines Benefit. In dieser Studie zumindest, wenn es sich um Krebs- oder Herzkreislauferkrankungen handelt.
  • Bei Personen mit einer chronischen Lungenerkrankung gab es in dieser Studie nur eine Tendenz für eine Risikoreduktion. Eine mögliche Erklärung wäre, dass Asthmatiker, bei denen sich schon früh zeigte, dass ihr Risiko für einen schweren Verlauf kaum erhöht ist, hier das Ergebnis “verbesserten”, während Personen mit anderen Lungenerkrankungen möglicherweise mehr profitieren. Ob es wirklich so ist, ist allerdings vorerst eine reine Spekulation.
  • Geimpfte Personen unter 50, die keine Risikofaktoren für einen schweren Verlauf aufwiesen, profitierten nicht von einer Therapie mit Paxlovid.

Mit anderen Worten: Die derzeitigen Anwendungsempfehlungen wurden durch die Studie bestärkt. Erwachsene mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf aufgrund von Vorerkrankungen und/oder Alter (ab 50…) wird eine Therapie mit Paxlovid empfohlen, sofern es keine Kontraindikation gibt. Diese sind im Wesentlichen schwere Nieren- oder Lebererkrankungen sowie auch eine ganze Reihe an Medikamenteninteraktionen, die im Einzelfall überprüft werden müssen.


Und was ist mit Long Covid?

Wie so oft ist Long Covid the elephant in the room. Bereits vor einigen Monaten habe ich hier kurz darüber geschrieben, dass Paxlovid das Risiko einer Erkrankung an Long Covid verringern kann. Leider ist seither meines Wissens nach die Evidenz bei diesem Thema nicht wirklich erhärtet wurden.

Was wir wissen, kommt aus Beobachtungsstudien, und in diesen erhielten Risikopersonen Paxlovid. Mir ist nicht bekannt, ob die Reduktion von Long Covid in den bisherigen Beobachtungen einfach dadurch zu erklären ist, dass weniger schwere Verläufe auftreten und somit auch weniger Leute nach 3 Monaten - der WHO-Definition von Long Covid entsprechend - noch an den direkten Folgen der Erkrankung leiden oder ob durch Paxlovid auch der mehr in Richtung ME/CFS gehende Teil der Long Covid-Erkrankungen seltener wird.

Ich würde wirklich gerne wissen, ob ich z.B. meiner Tochter, die aufgrund von Long Covid ein ganzes Schuljahr verloren hat und im Falle einer neuerlichen COVID-19-Erkrankung eine hohes Risiko einer Verschlechterung hat, Paxlovid geben sollte.

Irgendwelche Gedanken dazu?