#YesWeCare - Erinnerung an einige COVID-Patient:innen der letzten 3 Jahre

#YesWeCare - Erinnerung an einige COVID-Patient:innen der letzten 3 Jahre

Substack-Artikel vom 13.03.2023:

Ein emotionaler Rückblick


Am 13.März 2020 wurde die erste Patientin mit COVID-19 auf meiner Station aufgenommen, als zweite Abteilung in Wien nach der Infektiologie der Klinik Favoriten. Ein paar Tage später war auch unsere Intensivstation mit im Spiel.

Meine Station war über den Winter die Grippestation meines Spitals gewesen. In erster Linie weil wir im selben Gebäude wie die Notfallaufnahme zuhause sind (ja, mein Spital ist ein altes Spital und hat noch das Pavillonsystem). Wir waren also schon ein wenig geübt im Umgang mit gefährlichen Viren. Nun wechselten wir praktisch volley von einem heftigen Virus, gegen das wir alle aber geimpft waren, zu einem noch weit heftigeren Virus, das für unsere Immunsysteme zudem noch völlig unbekannt war, und über das wir bisher kaum mehr wussten als die Horrormeldungen aus Bergamo, später auch aus Madrid und NYC.

Die Pandemie ist noch nicht vorbei, aber den 3. Jahrestag möchte ich zum Anlass nehmen, mich an einige Menschen zu erinnern, die COVID-19 auf meine Abteilung geführt hat.


Der 55jährige Arbeiter, der im März 2020 als einer der ersten auf unsere Intensivstation kam. Direkt von der Baustelle mit Fieber und Atemnot. Typ serbischer Bär, ein Leben am Bau. Musste rasch intubiert werden, eine Woche später war der Bär tot. #YesWeCare


Die 65Jährige, die zwei Wochen intubiert auf der Intensiv lag. Als sich die Lunge wieder besserte, die Beatmung und damit auch die Medikamente reduziert werden konnten, wachte sie nicht auf. Die Computertomografie des Kopfes zeigte, dass ihr Gehirn mit zahlreichen kleinen Insultarealen durchsetzt war. Sie wachte nie mehr auf. #YesWeCare


Der 35jährige Pfleger meiner Station, der sich im Dienst ansteckte, auf unserer internistischen Intensiv von einem Anästhesisten intubiert, weil es aus emotionalen Gründen keiner von uns selber tun wollte. Nie vorher oder nachher erlebte ich die ICU so leise wie an jenem Abend, das Personal hörte zu reden auf. Am nächsten Morgen rief die Oberärztin der Intensiv im AKH an. “Wir haben einen unserer Pfleger mit COVID intubiert bei uns.” Bevor sie einen weiteren Satz sagen konnte, kam die Antwort: “Schickt ihn uns.” Er verbrachte 3 Wochen auf der ICU, danach hatte er Rehab. Einige Monate kam er zurück zu uns, als ob nie etwas gewesen wäre. #YesWeCare


Der 72jährige Pensionist und begeisterte Bergwanderer, der als "Genesener" nach einem Monate auf der Intensiv wochenlang bei uns blieb, weil kein Rehab-Platz mehr zu kriegen war. Einer der ältesten, der in der Zeit vor den Impfungen unsere Intensiv lebend verlassen hatte. Er lernte auf der Normalstation wieder atmen, schlucken, gehen. "Die Coronademonstranten sollen mich anschauen, wie ich beinander bin. Dann verstehen sie es vielleicht, was COVID ist." #YesWeCare


COVID-Lunge, wie sie uns vor allem in den ersten eineinhalb Jahren der Pandemie vor den Impfungen begleitete.

Die 106Jährige, die ihr Kind (81) weiterhin wöchentlich treffen wollte. Bissl Husten, sonst nichts. Sie überlebte die spanische Grippe ("Aber da war ich ja fast noch ein Baby") und COVID - mit geringen Symptomen. #YesWeCare


Der 65Jährige, der mit einer Sauerstoffsättigung von 50% immer noch stand. Extremes Beispiel der sogenannten “happy hypoxemia”. Vor allem aber die Verzweiflung des Sanitäters, der in der dritten COVID-Welle versuchte, für ihn ein Bett mitten in der zusammenbrechenden Versorgung zu bekommen.

#YesWeCare


Mitte 70, angesteckt auf der Chirurgie kurz vor der Entlassung nach einem Routineeingriff. Als sie sich verschlechterte, warf ihre Tochter uns vor, wir würden die Mutter absichtlich sterben lassen, um die "COVID-Statistiken schlechter zu machen". #YesWeCare


Der 80Jährige mit Myasthenia gravis und COVID-Pneumonie. Die diensthabende Oberärztin der Notfall holte mich, um eine Übernahme auf die ICU zu besprechen. Der 80Jährige schaute mich lächelnd und schnaufend an, ich lehnte die Übernahme ab, die Kollegin weinte. Ich: "Du weißt doch, er hat keine Chance." Sie: "Ja, natürlich, aber ich packs trotzdem nicht." #YesWeCare


87Jährige aus dem Pensionistenheim. Ließ es sich nicht nehmen, weiterhin jeden Mittwoch mit ihren 3 Freundinnen Karten zu spielen. Dann hing am Zimmer einer Freundin: "Betreten verboten". 2 Tage später durfte sie selbst ihr Zimmer nicht verlassen. Sie verstand nicht warum. Kurz danach kam sie ins Spital, verschlechterte sich rasch. Sie starb 2 Wochen nach der Ansteckung. #YesWeCare


Die 45Jährige Freundin und Unilektorin. Sie steckte sich schon im Jänner 2020 mit einem eigenartigen Virus an, als sie mit einer verkühlten italienischen Studentin ein langes Gespräch auf der Uni hatte. ICU, ECMO, Lungentransplant stand im Raum. COVID war was in China, PCR gabs noch nicht. Ihr Sohn war gerade in der ersten Klasse Volksschule. Er meinte, seine Mama dürfe erst sterben, wenn er 18 sei, denn dann sei er groß. Inzwischen schläft er in der Nacht wieder. #YesWeCare


Und die vielen anderen, die sich vor der Intubation von den Angehörigen via Videotelefonat auf dem iPad, das ein Kollege der Abteilung dafür geschenkt hat, von den Angehörigen verabschiedeten. Viele für immer.


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Das #YesWeCare-Lichtermeer rund um die Wiener Ringstraße am 19.12.2021

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