Der Beginn der neuesten COVID-19-Welle und andere Neuigkeiten
Substack-Artikel vom 15.08.2023:
Die Varianten EG.5.1 und FLip :: Warten auf die Booster-Impfung :: Ende der Long Covid-Ambulanz im Wiener AKH :: Was aus Fuellmichs Sammelklage gegen Drosten wurde
Ich war auf Urlaub, der Blog ruhte. Umso mehr brenne ich darauf, die meiner Meinung nach wichtigsten COVID-19-Neuigkeiten der letzten zwei Wochen nachzuliefern. Ein Überblick
Der Beginn einer neuen Welle
Wie in vielen anderen Ländern auch, sind wir in Österreich auf die Daten des nationalen Abwassermonitorings angewiesen, das repräsentativ für das ganze Bundesgebiet Daten aus Kläranlagen veröffentlicht. Andere haben nicht einmal das auf einem nationalen Level (Hallo Deutschland!).
Bereits Mitte Juli war ein erster Anstieg der nachgewiesenen Genkopien von SARS-CoV-2 festzustellen, ausgehend von einem sehr niedrigen Level (Blogartikel "It's not over till it's over"). Vier Wochen später hat sich die Zahl mehr als verdoppelt. Die Screenshots zeigen zwei Sachen:
- Die Zahlen sind immer noch sehr niedrig.
UND
- Sie sind deutlich am Steigen.
Anmerkung vom 16.08.23: Die neuesten offiziellen Daten des Abwassermonitorings wurden wenige Stunden nach Erscheinen dieses Artikels veröffentlicht. Ich habe die Screenshots upgedatet.
Wie schwer erkranken die Betroffenen? Wirkt sich das auch auf Hospitalisierungen aus? Wir wissen es nicht. COVID-19 ist in Österreich keine meldepflichtige Erkrankung mehr, im Unterschied zu z.B. Röteln, Chikungunya, Hantaviren, Lepra, Mpox (= “Affenpocken”) und vielen anderen. Die Zahl der Hospitalisierungen und Todesfälle durch COVID-19 wird einfach nicht mehr erhoben.
Also muss man gezwungenermaßen woanders hinschauen. Zum Beispiel in die USA, wo ebenfalls ein Anstieg der Virusgenome im Abwasser festzustellen ist.
Dort werden auch nach wie vor die Hospitalisierungen und die Besuche von Notfallambulanzen erhoben und vom CDC veröffentlicht. Auch dabei zeigt sich ein eindeutiger Trend.
EG.5.1 und FLip - das Virus findet noch immer neue Tricks
Ein guter der Teil des Anstiegs der Infektionen wird derzeit durch die Variante EG.5 hervorgerufen, innerhalb der die Subvariante EG.5.1 weitaus am häufigsten vorkommt. EG.5.1 gehört wie alle anderen kursierenden Varianten zur riesigen Omikron-Familie. Wie laut der Open-Source-Plattform für genomische Daten von Krankheitserregern Nextstrain auf Mastodon vermeldet wird, macht EG.5.1 aktuell rund 20% aller sequenzierten SARS-CoV-2-Viren aus - in China bereits 30% - und der Anteil steigt weltweit.
In dieser Grafik des CDC sieht man den raschen proportionalen Anstieg von EG.5 (gelborange) in den USA:
Weil die Sequenzierungen in den meisten europäischen Ländern - entgegen den ausdrücklichen Empfehlungen der WHO - so weit heruntergefahren wurden, dass es kaum mehr repräsentative Ergebnisse gibt, befinden wir uns hier in einem relativen Blindflug. In Österreich - noch vor wenigen Monaten vorbildhaft bei den Sequenzierungen - verzichtet die AGES in Ermangelung von ausreichenden Proben seit Anfang Juli gezwungenermaßen auf eine Aufschlüsselung der Varianten.
EG.5.1 setzt der schon beträchtlichen Fähigkeit des Immunescapes der anderen Omikron-Varienten noch was drauf. Durch die Mutation F456L am Spikeprotein des Virus entschlüpft es der körpereigenen Abwehr also noch besser als frühere Varianten. In Labortests entkommt EG.5.1 den neutralisierenden Antikörpern, also den vom Körper nach einer Infektion und/oder einer Impfung gebildeten Antikörpern, besonders gut - selbst den Antikörpern nach einer Infektion mit den XBB-Varianten, die noch im Frühling die meisten Infektionen hervorriefen. Am 9.August stufte die WHO EG.5.1 deshalb zur Variant of Interest hoch (hier der Bericht der WHO als pdf-Datei). Es gibt aber derzeit immerhin keinen Hinweis für schwerere Verläufe, weshalb EG.5.1 von der WHO nicht als Variant of Concern klassifiziert wird.
Während also EG.5.1 neue Tricks gefunden hat, dem Immunsystem zu entkommen, lauern dahinter weitere Varianten, die dem noch was draufsetzen. In seinem Blog Ground Truths berichtet Eric Topol von der “FLip Combo Mutation”. Hier besteht neben der F456L Mutation zusätzlich eine L455F Mutation. Diese Kombi führt zu einem noch größeren Immunescape als bei EG.5.1. Vor allem aber führt es zu einer stärkeren Bindung des Virus an den ACE2-Rezeptor der menschlichen Zellen, über den das Virus in die Zellen eindringt. Klingt nicht gut.
Und was bedeutet das für die nahe Zukunft?
Es wird auf jeden Fall zu einer neuen COVID-Welle kommen. Wird sie vergleichbar mit der ersten Omikron-Welle sein? Zumindest bei EG.5.1 eher nicht, wie die meisten Experten vermuten. Auf die Hintergrundimmunität durch Impfungen und/oder Infektionen wird offenbar vertraut. Aber in Wirklichkeit kann das niemand mit Sicherheit sagen. Wir wissen, dass der Schutz vor schweren Verläufen bei den meisten Personen weiterhin recht gut ist. Aber auch bei leichteren Verläufen bleibt immer der riesige Elefant von Long Covid und anderen Folgen der Infektion im Raum.
Ein Problem könnte werden, dass die letzte Booster-Impfung bei den meisten schon über ein Jahr her ist. Noch immer wissen wir nicht, wann der dringend benötigte monovalente XBB-Booster endlich kommt. Laut den letzten Meldungen dürfte es eher Oktober werden. Und die Booster helfen nur, wenn man sie sich geben lässt. Da sind wir in Österreich ganz schlecht. Bereits im Frühling waren der Großteil der COVID-19-Kranken bei uns im Spital ältere Menschen, die sich 2021 brav ihre drei Stiche abgeholt haben, dann aber mit all den Meldungen über “Pandemie vorbei”, “nur mehr Verkühlung” auf den Booster verzichtet haben, wodurch sie kaum mehr Antikörper gegen SARS-CoV-2 hatten. Ein Public Health-Debakel.
Was FLip uns tatsächlich für Überraschungen bringen wird und wie sich die ersten virologischen Erkenntnisse aus dem Labor in der klinische Realität darstellen werden, ist sowieso noch völlig unklar. Sicher ist das, was Eric Topol geschrieben hat:
The Virus is Learning New Tricks and We Humans Keep Falling Behind
Das Virus lernt neue Tricks, und wir Menschen fallen immer weiter zurück.
Long Covid-Ambulanz im Wiener AKH geschlossen
Die Art und Weise, mit der die Gesundheitspolitik mit jenen umgeht, die als Folge der Pandemie an Long Covid leiden, zeigt sich angesichts der Meldung, dass Ende des Monats die Long Covid Ambulanz der MedUniWien wegen Ende der Finanzierung geschlossen wird. Pia Kruckenhauser berichtet im Standard darüber und was das für die Betroffenen bedeutet.
Offizielle Begründung des Wiener Gesundheitsverbundes: Es gäbe nicht mehr viel Nachfrage, außerdem könne Long Covid inzwischen gut im niedergelassenen Bereich behandelt werden. Ein Schlag ins Gesicht für alle, die nur ein bisschen Ahnung von den Wartezeiten auf einen Ersttermin in den schon bisher viel zu wenigen Spezialambulanzen haben, und die Erfahrungen von Betroffenen mit niedergelassenen Ärzt:innen kennen, die im besten Fall mit dem neuen, komplexen Krankheitsbild überfordert sind, es aber auch sehr oft noch immer nicht ernst nehmen.
Bei der Erkrankung meiner Tochter habe ich selber erfahren, wie schwierig es ist, Zugang zu einer kompetenten Stelle zu finden. Und ich bin Arzt in Wien mit reichlich praktischer Erfahrung mit COVID-19. Wie geht es denjenigen, die kein medizinisches Netzwerk haben?
Was passierte mit Querdenker Reiner Fuellmich und seiner Sammelklage gegen Christian Drosten?
Zum Abschluss gibt es noch was zu Reiner Fuellmich. Sein Name war für alle, die auf der Plattform, die früher Twitter hieß, über COVID-19 schrieben, ein ständiger Begleiter. Fuellmich kündigte großspurig eine weltweite Sammelklage gegen Christian Drosten an. Der hätte nämlich die “Fake-Pandemie” erfunden, oder so. Fuellmichs Anhänger - und das waren sehr viele unter den Querdenkern - drohten uns allen, die wir über das Virus und seine konkreten Folgen schrieben, dass Fuellmich auch uns noch erwischen würde.
Fuellmich erhielt reichlich Spendengelder zur Unterstützung seiner Klage. Inzwischen hat er sich ins Ausland abgesetzt, das Geld dürfte er aufgebraucht/verloren haben, enttäuschte Querdenker fordern ihr Geld zurück. Der Volksverpetzer berichtet ausführlich darüber. Und ich schwanke zwischen Schadenfreude und Mitleid mit den Opfern dieses Verschwörungstheoretikers.