Die Impfung reduziert das Risiko an LongCovid zu erkranken. Auch bei Kindern.
Substack-Artikel vom 13.10.2023:
Verschiedene Kategorien von Long Covid, wie gut die Impfungen vor Long Covid schützen und warum eine neue Studie zum Risiko bei Kindern auch für Erwachsene wichtig ist.
Eine vor kurzem als Preprint erschienene Studie zu den SARS-CoV-2-Impfungen bei Kindern zeigt eine deutlich Reduktion des Risikos, an Long Covid zu erkranken. Für mich lässt sich dieses positive Resultat in einem etwas größeren Kontext betrachten.
Ein kleiner Exkurs, bevor ich zu der Studie selbst komme:
Long Covid ist nicht gleich Long Covid
“Long Covid” ist ein Begriff der schon sehr früh in der Pandemie von Personen geprägt wurde, die unter anhaltenden gesundheitlichen Folgen ihrer eigenen COVID-19-Erkrankung litten, schlechte Erfahrungen im medizinischen Regelbetrieb machten und sich - großteils über Social Media - zu einer aktiven Community zusammenschlossen.
Long Covid ist kein klar umschriebenes Krankheitsbild, sondern vielmehr ein Überbegriff für ein breites Spektrum von anhaltenden Symptomen nach der Akutinfektion. In diesem Blog versuchte ich das schon einmal etwas genauer zu beschreiben:
Das Bestreben nach dem großen Überbegriff ist aus Sicht der Betroffenen nachvollziehbar. Aus medizinischer Sicht gibt es aber auch Nachteile, wenn unterschiedliche Krankheitsbilder in einen Topf geschmissen werden. Denn Diagnostik, Therapie und Prävention können sich beträchtlich unterscheiden.
Zwei oder drei Grundtypen von Long Covid
Es gibt verschiedene Versuche einer Klassifizierung von Long Covid. Eine in ihrer Einfachheit besonders partikable Einteilung sieht folgende zwei Grundtypen, wobei es auf individueller Ebene natürlich auch Mischformen geben kann:
- Die nach einem oft recht milden Verlauf von COVID-19 auftretenden Symptome, die mehr in die Richtung des Chronic Fatigue Syndroms gehen oder dem Vollbild von ME/CFS entsprechen.
- Anhaltende Symptome durch die Gewebsschädigung nach einem meist schwereren Verlauf von COVID-19. Zum Beispiel durch eine Lungenfibrose oder Vernarbungen bei der Post-Covid-Lunge.Manchmal wird dem noch eine dritte Untergruppe hinzugefügt:
- Die Verschlechterung einer schon vorbestehende Krankheit durch COVID-19. Herzkranke, deren Herzfunktion sich anhaltend verschlechtert; Nierenkranke, deren Nierenfunktion einen Sprung zum Schlechteren macht; Demente, die einen Demenzschub erleiden.
Und was hat das mit den Impfungen zu tun?
Zum einem schützen sie in einem gewissen Maß und für eine gewisse Zeit vor einer Erkrankung an COVID-19. Das tun sie, auch wenn noch so oft behauptet wird, die Impfungen würden nur den Krankheitsverlauf mildern, aber die Krankheit nicht verhindern. Und wer nicht an COVID-19 erkrankt, kriegt auch kein Long Covid.
Aber auch im Fall einer Erkrankung an COVID-19 steigen geimpfte besser aus, wie inzwischen mehrere große Studien unabhängig von einander gezeigt haben. Laut einer Metaanalyse (einer Zusammenfassung mehrerer Einzelstudien) vom März 2023 entwickeln die geimpften Personen im Falle einer Infektion rund 40% seltener Long Covid als die ungeimpften (“Risk Factors Associated With Post−COVID-19 Condition”):
Aber bei einem genaueren Blick auf die Daten wird es etwas komplizierter. Viele der Studien zu dem Thema schauen sich an, wie es Personen nach einem Spitalsaufenthalt geht. Oder es werden Daten aus großen Datenbanken von Versicherungen oder der US-Veteranen herangezogen.
Dabei werden überproportional Menschen mit einem schweren (= hospitalisierungspflichtigen) COVID-Verlauf angeschaut und die Älteren mit Vorerkrankungen. Also genau jene Personen, die zu einem großen Teil in die zweite und/oder die dritte der oben angeführten Typen von Long Covid fallen. Dass durch die Impfungen weniger schwere Verläufe auftreten, bestreiten nur die radikalsten Impfgegner. Und weniger schwere Verläufe bedeutet weniger Folgen schwerer Verläufe. Klar.
Aber wie schaut es bei den Jüngeren, bei den Gesunden aus? Also bei denen, die überproportional von der Richtung Chonic Fatigue Syndrom gehenden Form von Long Covid betroffen sind?
Weil die meisten Studien die gültige WHO-Definition von Long Covid verwenden, werden sie einfach mit den Risikopersonen zusammengefasst, machen aber eben nur einen kleinen Teil der dabei untersuchten Patienten aus.
Studien, die gezielt Personen untersuchen, die keinen schweren Verlauf und kein Risikoprofil aufweisen, gibt es so gut wie gar nicht. Muss man ehrlich sagen. Diese recht kleine italienische Studie bei Gesundheitspersonal ohne Hospitalisierung (“Association Between BNT162b2 Vaccination and Long COVID After Infections Not Requiring Hospitalization in Health Care Workers”) ist so ziemlich die einzige Ausnahme. Bei jüngeren (= berufstätigen) Personen ohne schweren Verlauf war Long Covid bei den Geimpften deutlich selten als bei den Ungeimpften. Viel mehr Evidenz dazu gab es bis vor kurzem nicht.
Die Studie zu Long Covid bei Kindern
Jetzt also endlich zur eingangs erwähnten Studie, die im Rahmen der RECOVER Covid Initiative des National Intitute of Health (NIH) in den USA durchgeführt wurde. Sie wurde Ende September auf den Preprint-Server medRxiv hochgeladen (“Vaccine Effectiveness Against Long COVID in Children: A Report from the RECOVER EHR Cohort”), wurde also noch keinem unabhängigen Review unterzogen. Die Ergebnisse erscheinen mir aber als wichtig genug, sie hier zu präsentieren.
Elektronische Gesundheitsdaten von mehr als einer Million Kindern und Jugendlichen von 5-17 Jahren wurden retrospektiv ab dem Zeitpunkt der Verfügbarkeit der Impfungen 2021 erhoben. Etwas mehr als die Hälfte der 5-11Jährigen und knapp drei Viertel der 12-17Jährigen hatten vor ihrer SARS-CoV-2-Infektion zumindest eine Impfdosis erhalten, von diesen wiederum 85% 2 oder mehr Impfdosen. Dann wurde erhoben, wie viele dieser Kinder und Jugendlichen in Folgeuntersuchungen bis April 2023 eine sichere (mindestens 2x Long Covid kodiert) oder eine wahrscheinliche Diagnose von Long Covid (mindestens 2x LC-typische Symptome kodiert) erhalten hatten.
Über einen Zeitraum von 12 Monaten nach der Impfung hatten die geimpften Kinder bis 11 Jahre im Vergleich zu den ungeimpften Kindern ein um ein 24% reduziertes Risiko für Long Covid, die Jugendlichen von 12-17 hatten sogar ein um 50% reduziertes Risiko.
Wie der generelle Impfschutz nimmt auch der Schutz vor Long Covid mit der Zeit ab. Nach 6 Monaten lag er in den meisten Kategorien bei über 50%, nahm aber bis Monaten und vor allem 18 Monate nach der Impfung deutlich ab.
Warum ich diese Studie für wichtig halte
Diese Studie ist möglicherweise eine Entscheidungshilfe für Eltern, die durch die Propaganda der Impfgegner und auch durch die fehlende Impfempfehlung der deutschen STIKO für Kinder verunsichert sind.
Darüber hinaus lassen sich die Ergebnisse der Studie aber auch auf Erwachsene extrapolieren. Die Kinder in dieser Studie gehören nur zu einem verschwindend kleinen Teil zur Risikogruppe für einen schweren COVID-Verlauf. Man kann also davon ausgehen, dass fast alle der bei ihnen aufgetretenen Long Covid-Erkrankungen in die erste der weiter oben aufgeführten Kategorien fallen: in die Gruppe, die Richtung Chronic Fatigue Syndrom geht.
Und damit haben wir jetzt die erste große Studie, die zeigt, dass die Impfungen das Risiko für Long Covid eben nicht nur senken, weil sie zu weniger schweren Verläufen und damit zu weniger direkten Organschäden führen, sondern eben auch, weil Geimpfte ein geringeres Risiko für das Auftreten eines SARS-CoV-2-assoziierten Fatigue Syndroms und vermutlich sogar von ME/CFS haben.