Die Übertragung von COVID-19 über die Luft - von Menschen und Hamstern

Ein Studiendesign der 1950er Jahre liefert den letzten Beweis für die Übertragung von COVID-19 über die Luft.

Die Übertragung von COVID-19 über die Luft - von Menschen und Hamstern
  • Trotz überwältigender Hinweise zweifelten manche noch immer daran, dass COVID-19 über die Luft übertragen werden kann.
  • Eine neue Studie erbrachte nun den experimentellen Beweis für die Ansteckung durch die Luft, und zwar über eine recht weite Strecke.
  • Verwendet wurde ein Versuchsaufbau, der schon in den 1950er Jahren verwendet wurde, um die Übertragung der Tuberkulose nachzuweisen.

1956 machten sich zwei Forscher an der Johns Hopkins Unversität in Baltimore daran, mit einem bahnbrechenden Versuchsaufbau eine seit Jahrzehnten heiß debattierte Frage experimentell zu klären: Kann die Tuberkulose wirklich über die Luft übertragen werden?

Für den großen Teil der Menschheitsgeschichte bestanden keine Zweifel daran, dass Krankheiten buchstäblich in der Luft liegen. Allerdings ging es damals - vor der Identifizierung von Bakterien oder gar Viren als Erreger von Infektionen - noch um das alte Konzept der Miasmen, laut der schlechte Luft per se uns krank machen würde. Das änderte sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Insbesondere durch die Forschungen von Louis Pasteur und Robert Koch wurde die Keimtheorie entwickelt. Man verstand nun, dass man sich ansteckt, dass also krankmachende Keime übertragen werden.

Damit setzte sich aber auch der Glaube durch, dass Keime über verseuchtes Wasser, über die Hände oder über ausgehustete und ausgespuckte Schleimtröpfchen übertragen werden, jedoch nicht über die Luft selbst. Denn der Nachweis von in der Luft schwebenden Erregern gelang noch nicht. Also wurde die Übertragung über die Luft als unwissenschaftlich gebrandmarkt. Mehr dazu gibt es in einem früheren Artikel zu lesen:

Luft - vom Miasma bis zum Aerosol
Substack-Artikel vom 05.10.2023: :: Ein kurzer historischer Abriss über saubere Luft und Krankheiten :: Aus der Pandemie lernen oder besser weiter machen wie 2019? :: Plakette für Saubere Luft der IGÖ Im Jahr 2020, als wir noch mit FFP3-Masken, Schutzbrillen und doppelt übereinander gezogenen Handschuhen die COVID-19-Kranken im Spital versorgten, dachte

Das passte allerdings nicht zu den recht klaren epidemiologischen Hinweisen, dass sich Leute ohne direkten Kontakt mit den Kranken, ohne von ihnen angehustet zu werden, ansteckten. Einen Beweis dafür zu finden, war allerdings schwierig.

1956 hatte der Lungenphysiologe Richard L. Riley unterstützt von seinem wissenschaftlichen Mentor William F. Wells die Idee eines besonderen Versuchsaufbaus. Sie bauten auf dem Dach der Klinik der Johns Hopkins Universität einen eigenen Forschungstrakt, in dem sie eine luftdicht abgeschlossene TBC-Station mit sechs Betten unterbrachten, die Abluft wurde zu zwei Gruppen von Käfigen mit Meerschweinchen geleitet. Zu den einen strömte die Luft direkt, bei den anderen wurde die Luft erst einer keimtötenden UV-Bestrahlung zugeführt. Bei den Meerschweinchen, die der unbehandelten Luft ausgesetzt wurden, kam es zu TBC-Infektionen, bei den anderen nicht. 1959 wurden die Ergebnisse veröffentlicht, die die Ansteckung über die Luft bewiesen ("Aerial dissemination of pulmonary tuberculosis. A two-year study of contagion in a tuberculosis ward").


Die WHO und die Ansteckung über die Luft

Mehr als 60 Jahre später gibt es bei COVID-19 ähnliche Diskussionen. Zu Beginn der Pandemie verkündete die WHO in einem offiziellen Tweet, dass COVID-19 nicht über die Luft übertragen würde. Der Tweet wurde nie gelöscht.

Quelle: WHO auf Twitter/X

Die Öffentlichkeit wurde zur Händedesinfektion und wegen der rasch zu Boden fallenden Tröpfchen zum Abstandhalten (wahlweise ein oder zwei Meter) angehalten. Die Möglichkeit einer Ansteckung über die Luft via Aerosole wurde negiert. Dabei häuften sich rasch klare Hinweise, dass genau das passieren kann. Auf technisch-physikalischer Ebene wurde gezeigt, dass beim Sprechen und sogar beim Atmen virusgeladene Aerosole entstehen, die recht weite Strecken zurücklegen können. Im Kontakt-Tracing wurden rasch Ansteckungen bei mehrere Meter weit entfernt von einer infizierten Person im Bus, im Flugzeug oder im Büro sitzenden Leuten nachgewiesen.

Bereits im Juli 2020 veröffentlichten 239 Wissenschaftlicher*innen aus 32 Ländern einen offenen Brief an die WHO und nationale Behörden ("It Is Time to Address Airborne Transmission of Coronavirus Disease 2019") und forderten die Anerkennung der Luft als Infektionsquelle:

"Wir sind besorgt darüber, dass die fehlende Anerkennung des Risikos der Übertragung von COVID-19 über die Luft und das Fehlen klarer Empfehlungen für Maßnahmen zur Bekämpfung des über die Luft übertragenen Virus erhebliche Folgen haben werden: Die Menschen könnten denken, dass sie durch die Befolgung der aktuellen Empfehlungen vollständig geschützt sind, aber in Wirklichkeit sind zusätzliche Maßnahmen zur weiteren Verringerung des Infektionsrisikos über die Luft erforderlich."

Das genügte leider nicht für eine Änderung der Politik. Die folgte erst viel später. Immerhin berief die WHO schließlich ein Expertengremium ein, das die Ansteckung über die Luft endlich allgemein anerkannte und auch gleich eine neue Terminologie schuf. Der Abschlussbericht wurde im April 2024 veröffentlicht:

Global technical consultation report on proposed terminology for pathogens that transmit through the air
This global technical consultation report brings together viewpoints from experts spanning a range of disciplines with the key objective of seeking consensus regarding the terminology used to describe the transmission of pathogens through the air that can potentially cause infection in humans.

Die eher willkürliche Unterscheidung zwischen Tröpfchen (>5µm) und Aerosol (<5µm) wurde fallen gelassen - es handelt sich schließlich mehr um ein Kontinuum. Man kann in der Luft schwebende Partikel einatmen, die dann auch bis tief in die Lunge gelangen können, oder die Partikel können direkt auf den Schleimhäuten landen. Beides ist möglich:

Grafik aus dem oben verlinkten WHO-Bericht

Damit sollte die Frage der Ansteckung über die Luft endgültig geklärt sein, sollte man meinen. War es aber nicht. Noch immer gab es (teilweise prominente) Virologen, die nicht bereit waren, die Ansteckung über die Luft zu akzeptieren, solange diese nicht experimentell bewiesen war.

Zum Glück erinnerten sich ein paar Wissenschaftler:innen an das Tuberkulose-Experiment aus den 1950er Jahren und dachten sich, man könnte das gleiche doch mit COVID-19 machen.


Der direkte Beweis für die Ansteckung über die Luft

Die Versuchsstation in Baltimore gab es schon längst nicht mehr. Aber in der Nähe von Pretoria, Südafrika, war damals eine ähnliche Anlage gebaut worden, die nun zum experimentellen Beweis der Ansteckung über die Luft reaktiviert wurde. Das Ergebnis der Studie publizierten sie vor wenigen Tagen ("Human source SARS-CoV-2 aerosol transmission to remote sentinel hamsters").

Dieses Mal wurden über einen Zeitraum von 17 Tagen insgesamt 7 frisch mit COVID-19 infizierte Personen einquartiert, bei vier von ihnen wurde eine Omikron-Variante nachgewiesen, bei einer Delta, bei den anderen beiden gelang keine Sequenzierung. Insgesamt 216 Goldhamster wurden über das Ventilationssystem der Atemluft der Testpersonen ausgesetzt. Obwohl der Anteil der ausgeatmeten Luft nur 5% der gesamten zugeführten Luft entsprach wurden 21 Tage nach der Exposition bei 58% der Goldhamster Antikörper gegen SARS-CoV-2 nachgewiesen. Sie hatten sich also über die Luft angesteckt.

Der große Infektionsepidemiologe Michael Osterholm wertet die Studie so:

„Das war ein klassisches Studiendesign, und das kann man in der Wissenschaft nicht oft sagen. Diese Studie ist ein weiterer Sargnagel für die Behauptung, dass SARS-CoV-2 nicht über die Luft übertragen würde.“

Und damit sollte sie auch ein weiterer Sargnagel für die Behauptung sein, es brauche keine Maßnahmen für eine bessere Luft.