Herz und Nieren bei Kindern nach COVID-19

In zwei neue Studien wurde aus dem riesigen Datenpool der RECOVER-Studien das Risiko für Herz- bzw. für Nierenerkrankungen bei Kindern nach COVID-19 erhoben.

Herz und Nieren bei Kindern nach COVID-19
  • Gesunde Kinder und Jugendliche haben ein geringes absolutes Risiko für Herz- und Nierenerkrankungen nach einer COVID-Erkrankung.
  • Das relative Risiko ist aber doch signifikant erhöht, was in Anbetracht der großen Zahl an Infektionen eine beträchtliche Zahl an Betroffenen bedeutet.
  • Kinder mit Vorerkrankungen haben ein deutlich höheres individuelles Risiko.

Ein beträchtlicher Teil der großen Studien zu den Folgeerkrankungen von COVID-19 stammen aus Gesundheitsdaten von US-Veteranen. Diese Studien haben uns anhand eines enormen Datenwusts gezeigt, wie sehr das Risiko für Herzerkrankungen, Schlaganfälle, Thrombosen, Niereninsuffizienz und und und nach COVID-19 zunimmt. Im Blog waren diese Studien wiederholt ein Thema. Zum Beispiel hier:

Mitten in der neuesten Welle: Ein Blick auf die Langzeitfolgen von COVID-19
Substack-Artikel vom 24.08.2023: :: Erste Daten zu gesundheitlichen Problemen und zur Sterblichkeit zwei Jahre nach einer Erkrankung an COVID-19 :: Das erhöhte Risiko für eine Autoimmunerkrankung :: Die Abwasserdaten zeigen es in Österreich schon länger, seit einigen Tagen merken wir es auch im Spital: Wir befinden uns in einer echten COVID-Welle.

Und hier:

Klinische Folgen drei Jahre nach einer Erkrankung an COVID-19
Neue, große Studie: Auch 3 Jahre nach einer COVID-19-Erkrankung treten neue Folgeerkrankungen auf. Das Sterberisiko ist nach schweren Verläufen anhaltend erhöht.

In den Veteranenstudien werden zu einem überwiegenden Teil Daten bei Männern über 65 Jahren erhoben, also bei Personen die alters- und auch geschlechtsbedingt zum einen per se ein erhöhtes Risiko für viele chronischen Erkrankungen haben und zum anderen ein erhöhtes Risiko für schwerere Infektionsverläufe haben, die wiederum eher zu Folgekrankheiten führen. Bei jüngeren und gesunden Menschen sind Folgekrankheiten von COVID-19 seltener. So selten, dass sie in der öffentlichen Wahrnehmung kaum wahrgenommen werden.

Nun sind zwei Studien erschienen, die bei den Jüngsten – den Kindern und Jugendlichen – anhand von riesigen Datenmengen die Auswirkungen von COVID-19 auf das Herz und auf die Nierenfunktion untersuchten.


Herzerkrankungen

Die RECOVER-Studien sind Teil eines umfassenden Forschungsprojekts der National Institutes of Health (NIH) in den USA zur Untersuchung der langfristigen Auswirkungen von COVID-19. Dieses Projekt wird manchmal – nicht ganz zu Unrecht – kritisiert, weil es mehr Augenmerk auf die Erforschung der Risikofaktoren als der Therapien legt. Aber die inkludierten Datenmengen sind riesig und helfen, den Impact von Long Covid besser zu verstehen. Da kommt es sich nicht überraschend, dass das Programm unter großem Druck steht, da die Trump-Regierung den Geldhahn dafür abdrehen will.

RECOVER Studies | Researching COVID to Enhance Recovery
Funded by the NIH, RECOVER is a research project that aims to learn about the long-term health effects of COVID, called Long COVID. We need adults and kids who have and have not had COVID to join RECOVER and help us find answers to Long COVID.

Quelle https://studies.recovercovid.org/

Eines der vielen Projekte des RECOVER-Programms wurde nun prominent im Nature-Verlag publiziert. Anhand der Gesundheitsdaten von 297.920 Kindern und Jugendlichen bis 20 Jahren mit einer SARS-CoV-2-Infektion wurde das relative Risiko für eine ganze Reihe von neu aufgetretenen Herzerkrankungen im Vergleich zu 915.402 Kindern und Jugendlichen ohne Infektion erhoben. Konkret waren dies Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, Myokarditis (= Entzündung des Herzmuskels), Herzinsuffizienz, Kardiomyopathie, kardiogener Schock, Thromboembolie, Brustschmerzen und Herzklopfen. Eine besondere Gruppe von Kindern und Jugendlichen schauten sich die Forschenden genauer an: jene mit einem angeborenen Herzfehler - eine bisher ziemlich unter dem Radar gebliebene Risikogruppe für COVID-Folgeerkrankungen.

Cardiovascular post-acute sequelae of SARS-CoV-2 in children and adolescents: cohort study using electronic health records - Nature Communications
Post-acute sequelae of SARS-CoV-2 infection affecting the cardiovascular system have been reported, but evidence in young people is limited. Here, the authors quantify the incidence of a range of outcomes in children and adolescents using electronic health records from the United States.

Quelle https://www.nature.com/articles/s41467-025-56284-0

Bevor ich zu den Studienergebnissen komme: Ein kleiner Einschub zum relativem und zum absoluten Risiko

Das relative Risiko beschreibt, wie hoch das Risiko in einer Gruppe relativ zum Risiko einer anderen vergleichbaren Gruppe ist. Angenommen man vergleicht zwei Gruppen zu je 1000 Personen. Gruppe A hatte eine Infektion, Gruppe B nicht. Von den 1000 Personen der Gruppe A tritt bei 120 eine bestimmte Folgekrankheit auf, in der Gruppe B nur bei 70 von den 1000. Dann ist das relative Risiko in der Gruppe A im Verglich zur Gruppe B 120/70=1,71, also 1,71mal höher oder anders gesagt um 71%.
Das relative Risiko ist eine reine Vergleichszahl. Ob es sich um 120 und 70 von jeweils 1000 Personen handelt oder um 12 und 7, führt zum selben relativen Ergebnis, bei zweiteren sind aber viel weniger Leute betroffen. Das relative Risiko ist kein Maß für die Anzahl der Betroffenen. Das absolute Risiko dagegen bildet genau das ab. Im obigen Beispiel liegt dieses bei 12% (120/1000) bzw. 7% (70/1000) und wäre somit in der Gruppe A um 12-5=5% höher.

Zurück zur Studie: Das absolute Risiko einer neu aufgetretenen Herzerkrankung nach COVID lag bei 2,32%, während es bei den COVID-19-negativen bei 1,38% lag. Insgesamt war das Risiko also nicht sehr hoch; bei fast 98% wurde nach COVID-19 keine Erkrankung des Herzens diagnostiziert. Kein Wunder, es handelt sich ja um großteils gesunde Kinder und Jugendliche. Entsprechend höher war das absolute Risiko bei den Kindern und Jugendlichen mit angeborenen Herzfehlern: 5,6% nach COVID-19 versus 4,0%.

Wie so oft, wenn es um Folgeerkrankungen von COVID-19 geht, ist das absolute Risiko ziemlich niedrig. Aufgrund der große Zahl an Infektionen kommt aber doch eine beträchtliche Zahl an Betroffenen zusammen. 2% von einer Million sind ganz schön viele Kinder. Da ergibt es Sinn, das relative Risiko anzuschauen, auch wenn das absolute Risiko nicht sehr hoch ist.

In der folgenden Grafik sind die einzelnen Folgekrankheiten aufgeschlüsselt:

Das relative Risiko einer Folgeerkrankung nach COVID-19 im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne COVID-19. Links: Kinder und Jugendliche mit einem angeborenen Herzfehler (CHD), rechts ohne Vorerkrankung des Herzens (non-CHD).

Herzklopfen (Palpitations) und Brustschmerzen (Chest pain) zeigten in dieser Studie ein recht hohes relatives Risiko. Beide traten nach COVID-19 doppelt so häufig auf. Das ist nicht überraschend - beide gehören zu den häufigen Symptomen von Long Covid. Aber auch mehrere Erkrankungen, die gemeinhin nicht als COVID-Folgen erkannt werden wie z.B. Herzrhythmusstörungen oder Herzmuskelschwäche, traten rund eineinhalb Mal häufiger nach COVID-19 auf.

Zur Myokarditis (Herzmuskelentzündung): Diese war nach COVID-19 fast viermal so häufig, wobei das absolute Risiko mit 0,035% nach COVID-19 bzw. 0,01% ohne Infektion gering war. Viele werden sich an die Berichte über Myokarditis nach Impfungen erinnern, die nachvollziehbarerweise viele Eltern daran zweifeln ließen, ob eine Impfung für die Kinder gut wäre. Impfgegnerkreise kosteten das damals aus. Nicht erwähnt wurde, dass die Myokarditis nach COVID-19 deutlich häufiger als nach der Impfung auftritt und in der Regel auch schwerer verläuft (Review-Artikel von 2024: "Myocarditis associated with COVID-19 vaccination").

Das erhöhte Risiko für Folgekrankheiten wurde übrigens unabhängig von Alter, Geschlecht, Rasse/ethnischer Zugehörigkeit, Körpergewicht, Schweregrad von akutem COVID-19 oder auch der Virusvariante konsistent beobachtet. Weiters weisen die Autor:innen darauf hin, dass selbst Kinder und Jugendliche ohne jegliche Risikofaktoren für Herzerkrankungen ein signifikant erhöhtes Risiko nach COVID-19 aufwiesen.


Nierenerkrankungen

Am selben Tag wie die oben besprochene Studie erschien in der Verlagsgruppe der American Medical Association eine ähnlich gestrickte Studie zu den Auswirkungen von COVID-19 auf die Nierenfunktion von Kindern und Jugendlichen ("Kidney Function Following COVID-19 in Children and Adolescents"). Auch hier wurden Daten des RECOVER-Programms von 487.378 Kinder und Jugendlichen nach COVID-19 und 1.412.768 ohne Infektion ausgehoben.

Kindern und Jugendlichen ohne vorbestehende Nierenerkrankung und ohne akute Einschränkung der Nierenfunktion im Rahmen der Akutinfektion ("No CKD or AKI") hatten erwartungsgemäß ein niedriges absolutes Risiko für eine Einschränkung der Nierenfunktion als Folge von COVID-19. Ca. 0,3% aller Kinder und Jugendlichen entwickelten eine zumindest leichte Einschränkung der Nierenfunktion ("CKD stage 2 or higher"), Das relative Risiko war nach COVID-19 um 17% erhöht, jenes für eine zumindest mittelgradige Niereninsuffizienz ("CKD stage 3 or higher") war bei in absoluten Zahlen wenigen Betroffenen sogar um 35% erhöht.

CKD: chronische Nierenerkrankung, AKI: akute Niereninsuffizienz, eGFR die errechnete glomeruläre Filtrationsrate, das Maß für die Nierenfunktion - umso niedriger die eGFR ist, umso schlechter ist die Entgiftungsfunktion der Nieren.

Bei Kindern und Jugendlichen mit vorbestehenden Nierenerkrankungen (CKD) ist die Verschlechterung in absoluten Zahlen erwartungsgemäß viel häufiger als bei den Nierengesunden, das relative Risiko entspricht aber ungefähr dem bei den zuvor Nierengesunden. Dasselbe trifft auf jene mit einer akuten Verschlechterung (AKI) zu, wobei das eigentlich nur schwer vergleichbar ist, da in der Nicht-COVID-Gruppe zwangsläufig alle anderen Gründe für eine akute Verschlechterung einfach zusammengewürfelt wurden.


Zusammenfassung

Es soll hier nicht übertrieben werden: Zuvor gesunde Kinder und Jugendliche haben ein sehr niedriges Risiko, als Folge von COVID-19 herz- oder nierenkrank zu werden. Aber so niedrig das Risiko in absoluten Zahlen auch sein mag, ist das relative Risiko doch signifikant erhöht. In Anbetracht von Millionen Infektionen und auch von wiederholten Infektionen (was in den beiden Studien nicht angeschaut wurde) bleiben dann doch tausende Kinder, die infolge der Infektion eine chronische Krankheit entwickeln, die sie möglicherweise nicht mehr loswerden.

Da kommen wir wieder einmal zum Infektionsschutz. Bessere Luft in den Innenräumen von Kindergärten und Schulen verhindert Infektionen, und wer sich nicht infiziert, hat auch keine Langzeitfolgen der Infektion zu befürchten. Dasselbe gilt für die Impfungen. Dass diese das Risiko für Long Covid auch bei Kindern und Jugendlichen deutlich reduzieren, war in diesem Blog schon öfters ein Thema. Deshalb möchte ich zum Abschluss nur noch ganz kurz auf eine vor kurzem publizierte Arbeit zu diesem Thema verweisen, die - ihr habt es vielleicht erraten - ebenfalls auf Daten aus dem RECOVER-Programm zurückgreift ("Real-world effectiveness and causal mediation study of BNT162b2 on long COVID risks in children and adolescents").

Geimpfte Kinder und Jugendliche hatten bis zu den Delta-Varianten ein um 95% reduziertes Risiko für Long Covid. Mit dem Aufkommen von Omikron war die Wirksamkeit der Impfungen nicht mehr ganz so gut - auch was den Schutz vor Long Covid betrifft. Aber auch hier war das Risiko bei Kindern um 60% und bei Jugendlichen um 75% reduziert. Ein Großteil der Wirkung wurde erzielt, weil durch die Impfungen symptomatische Infektionen verhindert wurden.