Kinder können Long Covid haben, manchmal mit anderen Symptomen als Erwachsene

Eine neue Studie erfasst die Symptome von Long Covid bei Kindern und Jugendlichen. Sie können sich von jenen bei Erwachsenen unterscheiden.

Kinder können Long Covid haben, manchmal mit anderen Symptomen als Erwachsene
  • Long Covid bei Jugendlichen und vor allem bei Kindern ist noch weniger im Blickpunkt der Medizin als bei Erwachsenen. Entsprechend mager ist die wissenschaftliche Literatur dazu.
  • Eine großen Studie aus den USA arbeitete spezifische Symptome heraus, die bei Kindern und bei Jugendlichen nach COVID-19 gehäuft auftreten.
  • Sie gruppierten die Symptome in Cluster, die sich teilweise von jenen bei Erwachsenen unterscheiden. Bei Kindern im Volksschulalter besteht ein Cluster beispielsweise vor allem aus Beschwerden des Verdauungstrakts.

Die COVID-19-Sommerwelle endet, indem sie fast nahtlos in eine Herbstwelle über geht.

Quelle: https://abwassermonitoring.at/dashboard/

Die Herbstwelle beginnt also gerade rechtzeitig zu Schulbeginn. Schülerinnen und Schüler, Kinder und Jugendliche waren von Anfang der Pandemie an ein Spielball der COVID-Politik. Schulen wurden geschlossen, um Erwachsene zu schützen; Schulen wurden geöffnet, um eine "Herdenimmunität" zu erreichen (was bei SARS-CoV-2 gar nicht möglich ist); Schutzmaßnahmen wie saubere Luft in den Klassenzimmern unterblieben, weil COVID-19 bei Kindern ungefährlich wäre; als die Erwachsenen (großteils) geimpft waren, Omikron durch die Klassen rauschte und ein Kind nach dem anderen erkrankte, wurde das lediglich zur Kenntnis genommen. Mehr über die Rolle der Kinder in der Pandemie habe ich hier geschrieben:

Über die Rolle von Kindern in der COVID-19-Pandemie
Substack-Artikel vom 04.06.2023: Aus Anlass einer neuen Studie zur Rolle der Kinder bei der Übertragung von SARS-CoV-2 ein paar Betrachtungen darüber, wie Kinder zum Spielball von Interessen in der Pandemie wurden. Vor wenigen Tagen wurde im medizinischen Top-Journal JAMA eine neue Studie publiziert, in der mit einem gänzlich

Quelle: https://allcoronavirusesarebastards.digitalpress.blog/uber-die-rolle-von-kindern-in-der-covid-19-pandemie/

Ein ähnliches Bild gibt es bei den mittel- bis langfristigen Folgen der Infektion. Sie sind bei Kindern und Jugendlichen in der öffentlichen Wahrnehmung noch unsichtbarer als bei Erwachsenen. Folglich gibt es auch bei Kindern und Jugendlichen noch weniger Forschung zu diesem Thema als bei Erwachsenen. Mehr dazu hier:

Long Covid bei Kindern und Jugendlichen
Zwei neue Fachartikel zeigen, wie wenig wir 4 Jahre nach Beginn der Pandemie über Long Covid bei Kindern und Jugendlichen wissen. Ein Versuch, etwas Struktur ins Chaos zu bringen.

Quelle https://allcoronavirusesarebastards.digitalpress.blog/long-covid-und-kinder/

Vor wenigen Tagen erschien endlich eine große Studie, in der versucht wurde, spezifische Symptome bei Kindern und bei Jugendlichen mit Long Covid zu identifizieren.


Versuch der Charakterisierung von Long Covid bei Kindern und Jugendlichen

Wie hier schon öfters beschrieben, ist Long Covid ein recht diffuser Überbegriff für alle möglichen Folgen einer COVID-19-Erkrankung. Er umfasst ein breites Spektrum an Symptomen und pathologischen Veränderungen. Das ist schon bei Erwachsenen verwirrend und schwer verständlich. Bei Kindern und Jugendlichen gab es bisher nicht einmal eine systematische Erfassung dieser Symptome. Ein Zeichen, wie stiefmütterlich Long Covid insbesondere bei Kindern behandelt wird. Und Spoiler Alert: Kinder sind nicht einfach kleine Erwachsene. Auch nicht wenn es um Medizin geht. Ihre Krankheiten äußern sich häufig anders als bei größeren Menschen.

Nun erschien in JAMA, einem der medizinischen Topjournals, endlich eine große Studie, in der versucht wurde, spezifische Symptome bei Kindern und bei Jugendlichen mit Long Covid bzw. PASC (= post-akute Folgen von COVID-19) zu identifizieren:

Characterizing Long COVID in Children and Adolescents
This observational cohort study examines the symptoms experienced by children after SARS-CoV-2 infection and how these symptoms differ by age (6-11 years vs 12-17 years).

751 Kinder im Alter von 6-11 Jahren und 3109 Jugendliche von 12-17 Jahren, die bereits an COVID-19 erkrankt gewesen waren, sowie als Kontrollgruppen 147 Kinder und 1369 Jugendliche ohne vorige COVID-19-Erkrankung wurden in der Studie begleitet. Ihre Daten wurden in Gesundheitszentren der ganzen USA zwischen März 2022 und Dezember 2023 mittels detaillierter Fragebögen erhoben. Im Durchschnitt waren rund eineinhalb Jahre seit der Infektion vergangen. Insgesamt gaben 45% der infizierten und 33% der nicht infizierten Kinder sowie 39% der infizierten und 27% der nicht infizierten Jugendlichen zumindest ein anhaltendes Symptom an.

Mittels statistischer Analysen wurden bei den Kindern von 6 bis 11 Jahren 10 der abgefragten Symptome identifiziert, die nach COVID-19 soviel häufiger auftraten als in der Kontrollgruppe, dass sie für die Erstellung eines PASC-Scores geeignet waren, mit dem Kinder mit Long Covid identifiziert werden können. Das waren vor allem Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Rücken-, Magen- und Kopfschmerzen.

Symptome, die bei den Kindern nach COVID-19 häufiger auftraten, je höher die Log odds ratio, umso klarer ist die Korrelation mit der Infektion.

Das Ziel des anhand dieser Symptome entwickelten Scores war es, möglichst viele der Kinder mit Long Covid korrekt zu identifizieren, aber möglichst wenige uninfizierte Kinder, die ja auch Symptome wie Kopfschmerzen haben können. (Also möglichst hohe Spezifität bei gleichzeitig hoher Sensitivität.) Denn laut der statistischen Berechnungen sind diese Symptome offenbar tatsächlich eine direkte Folge der Infektion an sich und nicht etwa eine Folge anderer Auslöser wie z.B. Schutzmaßnahmen oder einfach Zufall.

Wenig überraschend empfanden Kinder, die laut diesem Score die Kriterien für Long Covid erfüllten, ihre Gesundheit, die Lebensqualität und die körperliche Leistungsfähigkeit deutlich schlechter als die Kinder ohne Long Covid.

Einschätzung der Gesundheit, der Lebensqualität und der körperlichen Leistungsfähigkeit je nach Score. Ab einem Score von 5,5 (jeweils rechts des dicken Striches) sind die Kriterien für Long Covid erfüllt.

Bei den Jugendlichen von 12 bis 17 Jahren erbrachte die selbe statistische Methode doch einen im Vergleich zu den Kindern etwas anderen Mix an Symptomen, die besonders klar als Folge der Infektion identifiziert wurden. Hier war es mit großem Abstand Geruchs- oder Geschmacksstörungen, weiters Muskel- und Gelenksschmerzen sowie Müdigkeit und Energielosigkeit.

Symptome, die bei den Jugendlichen nach COVID-19 häufiger auftraten, je höher die Log odds ratio, umso klarer ist die Korrelation mit der Infektion.

Auch hier wurde anhand dieser Symptome ein PASC-Score erstellt. Dass auch hier die Jugendlichen, die laut dem Score die Kriterien für Long Covid erfüllten, ihre Gesundheit und Lebensqualität deutlich schlechter einstuften, überrascht nicht.

Die oben angeführten Symptome sind jene, die bei Long Covid so viel häufiger auftreten, dass sie für die Erstellung des PASC-Scores geeignet waren. Tatsächlich ist die Zahl der bei Long Covid signifikant häufiger auftretenden Symptome weit größer. In der folgenden Tabelle ist angeführt, wie häufig (in Prozent) die einzelnen Symptome bei Kindern bzw. Jugendlichen, die laut dem Score wahrscheinlich Long Covid haben, im Vergleich zu Infizierten ohne Long Covid und zu Uninfizierten Auftreten.

Schließlich versuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, anhand der Symptome unterschiedliche Gruppen von Long Covid zu identifizieren. Bei den Kindern wurden vier solche Symptomcluster identifiziert. Cluster 1 waren Kinder mit besonders vielen unterschiedlichen Symptomen unterschiedlicher Organsysteme und einer besonders hohen Symptombelastung. Cluster 2 zeichnete sich durch hohe Raten von Kopfschmerzen Muskel- und Gelenkschmerzen sowie Tagesmüdigkeit und Energielosigkeit aus. Bei Cluster 3 standen Schlafstörungen, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen im Vordergrund. Cluster 4 war vor allem durch Magenschmerzen, Übelkeit und Erbrechen gekennzeichnet.

Bei den Jugendlichen wurde drei solche Cluster identifiziert. Cluster 1 glich dem ersten Cluster bei den Kindern. Cluster 2 war gekennzeichnet durch hohe Raten von Tagesmüdigkeit und Schläfrigkeit, Energieverlust und Schmerzen des Bewegungsapparats. Cluster 3 zeichnete sich durch Veränderungen des Geruchs oder Geschmacks aus, wobei alle anderen Symptome relativ selten auftraten.


Was bedeutet das für die Praxis?

Der erste und vielleicht wichtigste Punkt: Long Covid bzw. PASC gibt es nicht nur bei Erwachsenen. Auch Jugendliche und selbst Kinder im Volksschulalter können davon betroffen sein. Wie häufig wurde in dieser Studie nicht untersucht. Dafür wurden aber in einem recht aufwendigen statistischen Verfahren Symptome herausgearbeitet, die eindeutig mit einer stattgehabten COVID-19-Erkrankung assoziiert sind.

Besonders in der Clusteranalyse unterscheiden sich die Symptome dann doch teilweise von denen bei Erwachsenen mit Long COVID. Sowohl Kinder als auch Jugendliche können vom "klassischen" Long Covid mit Erschöpfungszuständen und pathologischer Müdigkeit betroffen sein. Während aber Übelkeit und Magenschmerzen zwar durchaus auch bei Jugendlichen und Erwachsenen mit Long Covid vorkommen, ist bei ihnen eine Konstellation wie der Cluster 4 bei den Kindern mit vordringlichen Beschwerden des Verdauungstrakts eine Rarität. Ich denke, dass man also bei Kindern, die immer wieder unter Problemen mit dem Magen-Darm-Trakt leiden, auch an Long Covid denken sollte.

Atemnot, chronischer Husten trat dagegen bei Kindern und Jugendlichen viel weniger häufig auf. Möglicherweise auch deshalb, weil sie meistens einen "milden" COVID-Verlauf ohne schwere Lungenbeteiligung haben.

Noch ist es zu früh, diesen PASC-Score als Diagnosetool zu verwenden. Die Arbeit ist vor allem ein erster Schritt zum besseren Verständnis von Long Covid bei Kindern. Denn wie die Autor:innen selbst schreiben:

"Die meisten Forschungsarbeiten zum Verständnis der PASC-Symptome haben sich auf Erwachsene konzentriert, was möglicherweise auf den Irrtum zurückzuführen ist, dass Kinder nicht schwer von COVID-19 betroffen wären, weshalb die Symptome bei Kindern weniger verstanden werden."

Und:

"Dies dürfte ein Grund dafür sein, dass jüngere Kinder mit PASC in Studien untererfasst und/oder klinisch nicht diagnostiziert werden, obwohl die Untererfassung auch darauf zurückzuführen sein könnte, dass jüngere Kinder weniger in der Lage sind, Symptome zu erkennen und zu melden."

Ein Grund mehr, gerade bei jüngeren Kindern besonders genau hinzuschauen.