Langzeitfolgen von wiederholten Ansteckungen mit SARS-CoV-2

Wiederholte Erkrankungen an COVID-19 führen zu einem höheren Risiko für Long Covid.

Langzeitfolgen von wiederholten Ansteckungen mit SARS-CoV-2
  • Laut einer neuen Studie haben Menschen mit zwei oder mehr COVID-19-Erkrankungen ein signifikant höheren Risiko für Long Covid als Personen, die ein einziges Mal infiziert waren.
  • Impfungen senken das Risiko für COVID-19 um das mehr als dreifache.

COVID-19-Reinfektionen führen seltener zu schweren Verläufen

Ja, klar. COVID-19 hat jetzt, da fast jeder schon mindestens einmal infiziert gewesen ist - viele zwei-, dreimal oder noch häufiger -, viel von seinem Schrecken verloren. Zumindest, was die Akuterkrankungen betrifft. Schwere, auch tödliche Verläufe gibt es noch immer, sie sind aber viel seltener geworden und betreffen nun wirklich vor allem sehr alte und/oder multimorbide Personen, vor allem wenn sie schon länger keine Impfung mehr bekommen haben. Wir sehen es im privaten Umfeld und im Spital, wo kaum mehr COVID-Kranke auf die Intensivstationen kommen. Ganz anders als in den ersten zwei Jahren, als die Intensivversorgung regelmäßig am Kollabieren war, auch wenn manche anderes behaupten:

Die Überlastung der Intensivstationen in der Hochphase der Pandemie
Warum Streecks Behauptung, die Intensivstationen wären in der Pandemie nie unter Druck gestanden, falsch ist.

Und das liegt nicht etwa daran, dass die Omikron-Varianten, die uns seit dem Jahreswechsel 2021/22 in zahlreichen größeren und kleineren Wellen heimgesucht haben, harmloser als die ursprünglichen Varianten wären. Als China sich 2022 von der absoluten Abschottung verabschiedete, traf Omikron auf eine Bevölkerung, die zuvor kaum Kontakt mit dem Virus gehabt hatte und in der insbesondere viele Ältere ungeimpft geblieben waren. Bei diesen war die Sterblichkeitsrate z.B. in Hongkong vergleichbar mit der in UK in der ersten COVID-Welle, als es noch keine Impfstoffe gegeben hatte (Bericht der British Medical Journals). Impfungen wirken eben. Das zeigt sich wieder und wieder.

Doch auch bei den Ungeimpften werden die Akutinfektionen im Durchschnitt milder. Das liegt wohl vor allem daran, dass Reinfektionen in aller Regel milder verlaufen als die Erstinfektionen, die ja fast alle von uns längst hinter uns haben. Es gibt inzwischen auch einige Studien, die dies belegen. Eine der größten erschien bereits 2022 ("Disease severity during SARS-COV-2 reinfection: a nationwide study"). Beim Vergleich von 3,8 Millionen Erst- und 14.000 Reinfektionen traten bei letzteren um 61% weniger Todesfälle auf, die relative Wahrscheinlichkeit einer Aufnahme auf einer Intensivstation war um 76% geringer. Selbst Ungeimpfte mussten bei einer Reinfektion signifikant seltener im Spital aufgenommen werden als bei der Erstinfektion. Andere Studien brachten ähnliche Ergebnisse.

Das Immunsystem tut, was es tun soll. Es lernt den Erreger kennen - durch Impfungen, Infektionen oder beides - und ist besser gewappnet als beim ersten Mal.

Aber wie schaut es mit den Langzeitfolgen aus? Dazu erschien eben erst im Lancet -Verlag eine interessante Studie aus New York.


Reinfektion und COVID-Langzeitfolgen - die Studie

In der Studie wurde bei 2511 Personen nach einer COVID-19-Erkrankung das Auftreten und die Schwere von Long Covid erhoben. Es handelte sich um Schlüsselarbeitskräfte in NYC, großteils Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungssanitäter, zu über 90% Männer, das Durchschnittsalter lag bei knapp 55 Jahren.

Link zur Studie

Bei den Teilnehmern wurde erhoben, ob sie an Langzeitfolgen leiden und wenn ja an welchen. Dies erfolgte anhand von persönlichen Fragebögen sowie anhand von Telefoninterviews und ärztlichen Befunden. Es wurde also nicht nur eine Erhebungsmethode gewählt, sondern mehrere, was ich schon einmal positiv finde. Als COVID-Folge gezählt wurden der WHO-Definition folgend Symptome, die mehr als drei Monate nach der Infektion bestanden und mindestens zwei Monate anhielten, ohne dass es eine andere Erklärung für ihr Auftreten gab.

Abgefragt wurden neurologische Symptome von Brain Fog über Schwindel und Kopfschmerzen bis zu Angststörungen, Symptome der Atemwege wie Atemnot, Husten, Hals- und Brustschmerzen, Probleme des Verdauungstraktes sowie auch Symptome wie Muskelschmerzen, Herzrhythmusstörungen und natürlich auch Fatigue. Die vollständige Liste findet sich in dieser Tabelle:

Die erhobenen Langzeitsymptome.

Wie schon öfters in diesem Blog angesprochen, gibt kaum zwei Studien, die dieselben Definitionen und von Long Covid / Post-Covid / PASC verwenden. Etwas mehr dazu habe ich im letzten Blogpost versucht auszuführen:

Das “eigentliche” Long Covid und seine Häufigkeit
Eine große Studie untersuchte die Häufigkeit von ME/CFS und ME/CFS-ähnlichem Long Covid.

(Etwas ausführlicher werde ich das Thema wahrscheinlich in Bälde angehen.)

Schaut man sich die Symptome der obigen Tabelle an, dann erkennt man, dass es sich im Wesentlichen um Langzeitfolgen der Gruppen 1 und 2 der folgenden Kategorisierung handelt:

Eine mögliche Kategorisierung der COVID-Langzeitfolgen:

  1. Die nach einem oft milden Verlauf von COVID-19 auftretenden Symptome, die in die Richtung des Chronic Fatigue Syndroms gehen oder sogar dem Vollbild von ME/CFS entsprechen.
  2. Anhaltende Symptome durch die Gewebsschädigung nach einem meist schwereren Verlauf von COVID-19, z.B. Lungenschäden nach einer schweren COVID-Lungenentzündung.
  3. Die durch COVID-19 ausgelöste Verschlechterung einer vorbestehenden Krankheit oder das neue Auftreten einer neuen Folgekrankheit, z.B. Herzinfarkte in den Wochen und Monaten nach der Infektion oder auch das gehäufte Auftreten von Autoimmunerkrankungen.

475 der 2511 Studienteilnehmer entwickelten Symptome, die der Studiendefinition von Long Covid entsprachen, 403 hatten zwei oder mehr Infektionen. Demografische Parameter wie Geschlecht, Alter und Ethnizität hatten nur einen geringen bis gar keinen Einfluss auf das Auftreten von Long Covid. Wie schon in früheren Studien gezeigt, war das Risiko abhängig von der Schwere der Akuterkrankung. Im Vergleich zu milden Infektionen war es bei einem moderaten Verlauf fast zweieinhalbmal so hoch wie bei einem leichten Verlauf, bei einem schweren Verlauf war es mehr als dreimal so hoch. Ebenso wenig überraschend: Auch bei der ersten Infektion ungeimpfte Personen hatten ein mehr als dreifaches Risiko für Long Covid. Beides wurde schon in mehreren früheren Studien gezeigt.

Jetzt aber zu den Reinfektionen. Bei Personen mit zwei oder mehr Infektionen mit SARS-CoV-2 war das relative Risiko für Long Covid um 41% höher als bei Personen mit einer Infektion. Das ist - auch nach statistischem Herausrechnen anderer Faktoren - ein signifikanter Unterschied, der lediglich im Vergleich zum massiven Unterschied zu geimpft versus ungeimpft etwas verblasst.


Die Studie im Kontext

Dass wiederholte COVID-Erkrankungen nicht gut für uns sind, ist weder überraschend noch eine vollkommen neue Erkenntnis. Selbst in diesem Blog gab es schon vor fast zwei Jahren einen Artikel dazu:

Was passiert, wenn man wiederholt an COVID-19 erkrankt?
Substack-Artikel vom 27.04.2023: Sind Reinfektionen mit SARS-CoV-2 nur mehr wie leichte Verkühlungen? Oder muss man sich vor jeder Infektion fürchten? Eine Artikel im Nature fasst zusammen, was wir darüber wissen. Nach drei Jahren Pandemie und im Wissen, dass SARS-CoV-2 bleiben wird und dass sich die meisten von uns

Die bisher größte Studie zu diesem Thema erschien bereits 2022 im Nature-Verlag ("Acute and postacute sequelae associated with SARS-CoV-2 reinfection"). Es handelte sich um eine von mehreren epidemiologischen Studien bei US-Veteranen. Wie alle dieser Studie hatte sie den Vorteil einer gewaltigen Datenmenge und den Nachteil, dass die Daten ausschließlich aus den Daten der Krankenversicherungen der Veteranen stammten. Es wurden also Diagnosen erhoben, aber die Veteranen selbst wurden nicht zu Symptomen und gesundheitlichen Problemen befragt. Das bedeutet, dass alle Langzeitfolgen von COVID-19 in die Statistik einflossen, also z.B. auch Herzinfarkte innerhalb eines Jahres nach der Infektion.

Die Ergebnisse waren so oder so eindeutig und wurden in einem Übersichtartikel im Nature-Magazine ("Are repeat COVID infections dangerous? What the science says", nicht frei zugänglich) mit folgender Grafik zusammengefasst:

Die nun neu erschienene Arbeit ergänzt und präzisiert die früheren Erkenntnisse, indem eben nicht nur Diagnosen, sondern Symptome erhoben wurden. Damit fokussierte sich die Studie auch auf die direkten Folgen der Infektion durch eine Organschädigung und/oder die in Richtung des chronischen Fatigue-Syndroms gehende Form von Long Covid.

Wiederholte Infektionen sind schlecht für uns. Es wäre keine schlechte Idee, ihre Zahl etwas verringern. Durch Impfungen, durch die verschiedenen Maßnahmen für saubere Luft in Innenräumen und durch Masken, zumindest in bestimmten Situationen wie in überfüllten Öffis, in Spitälern, beim Arzt.