Der größte Einbruch der Lebenserwartung seit dem 2.Weltkrieg
Zwei große neue Studien belegen den globalen Einbruch der durchschnittlichen Lebenserwartung durch die Pandemie. Am größten war der Einbruch in Afrika südlich der Sahara und in den Andenstaaten Südamerikas.
In Deutschland spüren die Coronaleugner wieder Aufwind, nachdem die RKI-Protokolle veröffentlicht und von Verschwörungsblogs prompt durch bewusst missverständlich herausgegriffene Zitate instrumentalisiert worden sind (Berichte darüber von der ARD-Tagesschau und vom Volksverpetzer). Da ließ natürlich die österreichische FPÖ nicht lange auf sich warten und fordert Ähnliches in Österreich. Der Tenor der Querdenker ist bekannt: Die COVID-Pandemie wäre harmlos gewesen, die Maßnahmen übertrieben.
Exemplarisch von einem einschlägigen Portal:
Die bringen zwischen Jahrhundertverbrechen und ALLES GELOGEN wirklich fast alles unter, was die Corona-Verschwörungstheorien zu bieten haben. Vom unsäglichen Vergleich mit der Influenza, der in einem Aufwasch die beiden gefährlichsten Viruserkrankungen, was die Zahl der Todesopfer betrifft, verharmlost, über die Behauptung, SARS-CoV-2 hätte keine Lücken in die Bevölkerung geschlagen, bis zur Bezeichnung der Impfung als Gentherapie.
Da trifft es sich gut, dass in den letzten Wochen zwei riesige Studien erschienen, die den weltweiten Einbruch der Lebenserwartung durch die Pandemie beschreiben. Dazu gleich etwas mehr, vorher aber noch ein ganz kurzer Verweis zur Wirkung der "Gentherapie", also der Impfung.
Die Wirkung der Impfungen
Wer möchte, findet ein paar sehr große Studien über die positive Wirkung der Impfung gegen COVID-19 im Allgemeinen und des upgedateten Boosters im Speziellen in folgendem Blogartikel:
Eine viel breitere Zusammenstellung von Evidenz zur Wirkung der Impfungen hat der Infektionsepidemiologe Robert Zangerle hier für die Seuchenkolumne zusammengestellt:
Der Einbruch der Lebenserwartung durch die Pandemie
Dass es in der Pandemie zu einem weltweiten Abfall der Lebenserwartung gekommen ist, sollte kein großes Geheimnis sein. Jeder kann sich die Daten beispielsweise auf der Plattform Our World in Data anschauen, selber Länder, Regionen und Zeiträume auswählen. Einen weltweiten Einbruch der Lebenserwartung wie ab 2020 gab es nicht, seit regelmäßig verlässliche Zahlen erhoben werden.
Wissenschaftliche Erhebungen zur Auswirkung der COVID-19-Pandemie auf die Lebenserwartung erschienen bereits 2022. Folgende große, im Nature-Verlag publizierte Studie zeigte beispielsweise, dass die Lebenserwartung in den 29 untersuchten Ländern (Großteil Europas, USA und Chile) abgefallen war und dass dies zum überwiegenden Teil direkt durch COVID-Todesfälle erklärt werden konnte.
Viel umfassender konnte das Bild anhand der Daten der Global Burden of Disease Studie (GBD) erhoben werden, einem seit drei Jahrzehnten laufenden Studienprojekt, in dem die weltweiten Todesfälle und Krankheiten epidemiologisch aufgearbeitet werden.
Im März erschien im Lancet eine Arbeit, die die Auswirkungen der Pandemie anhand der GBD-Daten analysierte ("Global age-sex-specific mortality, life expectancy, and population estimates in 204 countries and territories and 811 subnational locations, 1950–2021, and the impact of the COVID-19 pandemic: a comprehensive demographic analysis for the Global Burden of Disease Study 2021"). Hier wurden für über 200 Ländern aller Kontinente anhand von über 20.000 Datensätzen die Übersterblichkeit, die Lebenserwartung und weitere demografische Trends berechnet. Aufgrund der riesigen Datenmenge konnte dies viel präziser erfolgen als mit den rohen Daten wie sie z.B. Our World in Data verwendet.
Das Bild blieb dasselbe: Die Lebenserwartung ging signifikant zurück - egal auf welchem Kontinent man sich befindet und was für eine soziodemografischen Index (gebildet aus Parametern wie Pro-Kopf-Einkommen, Schulbildung etc.). Allerdings ging die Lebenserwartung in Ländern des globalen Südens bzw. in jenen mit einem niedrigeren Soziodemografischen Index stärker zurück. (Der enorme Einbruch in Asien um 1960 ist die Folge der katastrophalen Hungersnot in China als Folge von Maos Großem Sprung nach vorn.)
Die folgende Darstellung der Übersterblichkeit zeigt die globalen Unterschiede noch deutlicher. Je ärmer das Land, umso größer war die Übersterblichkeit. Ausnahme: Die Länder Südostasiens wie Vietnam oder Kambodscha, die erst besonders strenge COVID-Maßnahmen ergriffen und es anschließend schafften, fast 90% der Bevölkerung zu impfen - deutlich mehr als Deutschland oder Österreich.
Ein Blick auf die dramatische Übersterblichkeit in fast ganz Afrika und in den südamerikanischen Andenstaaten konterkariert die oft gehörte Behauptung, dort hätte es trotz fehlender COVID-Maßnahmen und sehr spät bis gar nicht erfolgter Impfkampagne kaum Todesopfer gegeben.
"Aber die Leute starben wegen der Maßnahmen, nicht wegen COVID!" schreien schon die ersten Querdenker. Und man fragt sich, wie die Maßnahmen in Westeuropa angeblich die Todeszahlen in den afrikanischen Ländern steigen ließen.
Aber solche Gedanken muss man sich eh nicht machen. Besser ist ein Blick auf eine weitere Studie auf Basis der GBD-Daten, die Anfang April ebenfalls im Lancet erschienen ist ("Global burden of 288 causes of death and life expectancy decomposition in 204 countries and territories and 811 subnational locations, 1990–2021: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2021").
Hier wurden neben den in der obigen Studie verwendeten Datensätze zahlreiche weitere analysiert - von nationalen Sterberegistern, über standardisierte Umfragen bis zu Autopsieberichten. Insgesamt waren das fast 57.000 Datensätze, womit es sich um die bei weitem umfassendste epidemiologische Studie handelt.
Während die ischämische Herzerkrankung (also Herzinfarkte und die direkten Folgen) über die 30 Jahre die häufigste Todesursache weltweit blieb, war COVID-19 im Jahr 2021 die zweithäufigste Todesursache weltweit.
Nicht überraschend schaute die Mortalitätsrate durch COVID-19 ähnlich aus wie die Übersterblichkeit. Auch hier wurden die afrikanischen Länder südlich der Sahara und die Andenstaaten besonders hart getroffen, gefolgt von Russland und den meisten anderen ehemaligen Sowjetstaaten. Doch nicht nur die Mortalitätsrate durch COVID-19 direkt wurde erhoben, sondern auch die indirekten Todesfälle (other pandemic-related mortality - OPRM) - also die Mortalität durch die schlechtere Versorgung anderer Krankheiten, hinausgeschobener medizinischer Versorgung wegen der Angst vor einer Infektion oder wegen dem Zusammenbruch des Gesundheitssystems. Auch hier starben im südlichen Afrika besonders viele Menschen - dies wird neben der schon vor der Pandemie meist prekären Gesundheitsversorgung vor allem auf den weitgehenden Zusammenbruch der Versorgung von AIDS-Kranken zurückgeführt.
Auch die Entwicklung der durchschnittlichen Lebenserwartung wurde erhoben - und zwar aufgeschlüsselt nach Krankheitsgruppen. In der folgenden Grafik sieht man die Veränderung von 1990 bis 2021. Während hier für die infektiösen und nicht-infektiösen Erkrankungen große Fortschritte erreicht werden konnten, machte die Pandemie je nach Weltgegend ein Viertel bis zur Hälfte des Fortschrittes von 30 Jahren zunichte.
Beim isolierten Blick der Auswirkungen von COVID-19 auf die Lebenserwartung ist ein deutlicher Einbruch überall außer in Ostasien zu sehen (wohlgemerkt kam die große Todeswelle in China erst nach 2021 mit dem abrupten Ende der Maßnahmen).
Fazit
Im Gegensatz zu den Behauptungen von Querdenkern führte die Pandemie in den Jahren 2020 und vor allem 2021 weltweit zu einer hohen Mortalität und zu einem signifikanten Einbruch der durchschnittlichen Lebenserwartung. Am stärksten war der Einbruch in den sozioökonomischen am meisten benachteiligten Ländern Südamerikas und Afrikas, wo die Gesundheitsversorgung schon vor der Pandemie prekär war und die Impfkampagnen - wenn überhaupt - erst gegen Ende 2021 oder noch später ausgerollt werden konnten. Aber auch in den reicheren Ländern Westeuropas sank die Lebenserwartung signifikant. Am besten, was die Lebenserwartung betrifft, stiegen die Länder (Süd-)Ostasiens aus, die konsequente Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie setzten und großteils schon früh im Jahr 2021 mit den Impfungen beginnen konnten.
Die Mortalität war zum überwiegenden Teil eine direkte Folge der COVID-19-Infektionen, zu einem geringeren Teil eine indirekte Folge der Pandemie. Nicht als Folge der Pandemie berücksichtigt werden konnten in diesen Studien jene Todesfälle, bei denen die Infektion zu tödlichen Folgekrankheiten führte, wie es in diesem Blogartikel am Fall von Herzinfarkten angesprochen wird.