Long Covid und ME/CFS - Teil 2
Substack-Artikel vom 16.03.2023:
Was für Symptome hat man mit Long Covid :: Wie häufig ist Long Covid (ungefähr) ::
Eine Vorbemerkung zu dieser Artikelserie: In den letzten 3 Jahren habe ich in meiner klinischen Tätigkeit im Spital viel mit COVID-19 zu tun gehabt. Bei Long Covid und dem teilweise damit überlappenden Krankheitsbild Myalgische Enzephalomyelitis / Chronic Fatigue Syndrom, kurz ME/CFS, fehlt mir diese praktische Erfahrung. Ich bin kein Experte für diese Erkrankungen. Weil mich COVID-19 nicht nur beruflich betrifft, sondern auch von Anfang an brennend interessiert hat, habe ich mich aber auch viel mit Long Covid beschäftigt. Dazu kommt eine persönliche Betroffenheit, weil meine 17jährige Tochter ziemlich stark davon erwischt wurde. Somit erlebe ich also doch auch aus erster Hand mit, wie sich Long Covid auswirken kann. Und das ist auch einer der Gründe, warum ich diese Artikelserie schreibe.
Im ersten Teil geht es um die Erfindung des Begriffs “Long Covid”, um die Definition und um schwere Folgen von COVID-19, die nicht Long Covid im eigentlichen Sinn sind.
Im zweiten Teil geht es um das breite Spektrum der Symptome von Long Covid und darum, wie häufig Long Covid überhaupt ist.
Im dritten Teil geht es darum, was im Körper vor sich geht, damit Long Covid entsteht.
Im vierten Teil folgt der Schwenk zu ME/CFS, jener Krankheit, an der ein Teil der besonders schwer von Long Covid betroffenen Personen erkrankt sind.
Im fünften Teil geht es um die Symptome von ME/CFS, um das was die Betroffenen verspüren.
Im sechsten Teil versuche ich, einen kurzen Überblick über die Behandlung von Long Covid und ME/CFS zu bieten und darüber, wie man es das Risiko, es zu bekommen, senken kann.
Im siebten Teil folgen zum Abschluss einige persönliche Betrachtungen von Long Covid.
Die Symptome von Long Covid
Im ersten Teil habe ich über darüber berichtet, dass Long Covid ein von Betroffenen selbst geschaffener Begriff für ihre anhaltenden und/oder wiederkehrenden Symptome nach an sich überstandener Akuterkrankung an COVID-19 ist. Damit ist es auch kein Begriff für eine klar definierte Gruppe an Symptomen sind mehr ein Überbegriff - ein Umbrella Term, wie es im Englischen bildlich heißt - der ein weites Spektrum an Symptomen umfasst.
Das Center For Disease Control (CDC) in den USA berichtete bereits im Juni 2020 über anhaltende Symptome nach COVID-19 bei Personen, die nicht stationär behandelt werden mussten. In dieser frühen Studien ging es nicht um eine Quantifizierung der Zahl der Betroffenen, sondern mehr darum ein Gefühl für die Art der Symptome. Diese Befragung war online mit Personen, die ein Interesse an der Teilnahme hatten, war also alles andere als repräsentativ.
Eine andere frühe Studie aus Italien führte zu vergleichbaren Ergebnissen:
Andere - spätere - Studien unterschieden sich je nach Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen usw. der Betroffenen im Detail, aber im Großen und Ganzen zeigen alle Studien Ähnliches: Long Covid umfasst ein breites Spektrum von Symptomen unterschiedlicher Organe und Organsysteme. Und: Fatigue, die Erschöpfung, ist eines der Kardinalsymptome, das bei einem großen Teil der Betroffenen auftritt.
In ihrem Nature-Review versuchen Hannah Davis et al. die Symptome zusammenzufassen. Vom Nervensystem über die Blutgefäße bis zu den Fortpflanzungsorganen kann fast jedes Organsystem betroffen sein.
Die Häufigkeit von Long Covid
Die kurze Antwort vorweg: Wir wissen nicht, wie viele Menschen an Long Covid erkrankt sind. Offizielle Erhebungen gibt es kaum und die wenigen, die es gibt unterschätzen die wahre Zahl wahrscheinlich deutlich. Die komplexe Diagnostik führt vermutlich zu einer beträchtlichen Dunkelziffer. In den deutschsprachigen Ländern und ganz besonders in Österreich verzichtet man ganz einfach darauf, auch nur den Versuch zu unternehmen, die Zahl der Betroffenen zu erfassen.
Wenn man Berichte über Long Covid liest, stößt man bei der Angabe zur Häufigkeit auf Zahlen von 5% bis zu 30% aller an COVID-19 Erkrankten - Zahlen, die sich auf Studienergebnisse gründen. Das weite Spektrum liegt zum Teil an der unterschiedlichen Definition von Long Covid, vor allem aber beziehen sich viele der Angaben aus dem höheren Prozentbereich auf Studien ohne Kontrollgruppen, die gar nie dafür gedacht waren, die Häufigkeit von von Long Covid zu quantifizieren. Da wurde zum Beispiel ein häufiges Symptome wie Kopfschmerzen als Long Covid genommen, obwohl es sicherlich bei vielen Personen auch schon vor der Erkrankung bzw. auch schon vor der Pandemie auftrat.
Eine der Ausnahmen ist diese dänische Studie, in der prospektiv an COVID-19 erkrankte Personen mit vergleichbaren Menschen ohne COVID-19 verglichen wurden:
Neben der Dysosmie und Dysgeusie (Geruchs- und Geschmacksstörungen) ist auch die Fatigue bei den Personen nach COVID-19 um knapp 10% häufiger als bei den vergleichbaren Personen ohne COVID-19. Diese und ähnliche Studien sind der Grund, warum die häufigste Angabe der Häufigkeit ist, dass ca. 10% der Personen mit COVID-19 später an Long Covid erkranken. (Zumindest war das in den ersten Monaten der Pandemie so. Aber dazu später mehr.)
Und: Egal ob 5%, 10% oder 20% Long Covid entwickeln, der Punkt ist, dass es in Anbetracht der zig Millionen Infektionen eine enorme Anzahl an Betroffenen gibt, auch wenn wir nicht genau wissen, wie viele.
Und falls man die erste Infektion ohne Long Covid überstanden hat, heißt das nicht, dass man das Risiko hinter sich hat. In einer Erhebung in UK zu Reinfektionen und Long Covid, war das Risiko nach der Reinfektion immer noch mehr als halb so groß wie nach der ersten Infektion.
Und die enorme Anzahl von Betroffenen wird auch nicht rasch wieder beschwerdefrei. In dieser französischen Studie gaben nicht einmal 20% der an Long Covid nach einem Jahr an, dass ihre Symptome komplett verschwunden seien:
In der selben Studie wurden die einzelnen Symptome im Zeitverlauf angeschaut. Während manche wie z.B. Husten oder Geruchsstörungen im Verlauf doch deutlich seltener wurden, änderte sich die Häufigkeit anderer Symptome nur wenig. Insbesondere die Fatigue sticht hier wieder heraus, die innerhalb eines Jahres von knapp 95% nur auf 80% fiel (linke Seite auf der folgenden Grafik). Ein meiner Meinung nach mindestens so bemerkenswertes Ergebnis der Studie ist auf der rechten Seite der Grafik zu sehen. Neben der reinen Erhebung der Symptome wurde auch untersucht, wie die Betroffenen die Auswirkungen der Krankheit auf ihr Leben einschätzten. Hier gaben sie im Durchschnitt innerhalb der ersten 6 Monate eine Besserung an, danach wieder eine Verschlechterung. Der als inakzeptabel empfundener Krankheitszustand fiel z.B. zunächst von fast 80% auf knapp 50% und stieg dann wieder auf 70% an. Die Autoren interpretieren dies so, dass sich in den ersten Monaten mit einer gewissen Besserung der Symptome auch das Befinden bessert; nach rund einem halben Jahr reift die Erkenntnis, dass man an einer chronischen Krankheit leidet, die einen möglicherweise für den Rest des Lebens begleitet. Die Grafik lässt so erahnen, was Long Covid für die Betroffenen wirklich bedeutet.
Nach diesem Überblick über die vielen verschiedenen Symptome von Long Covid und über die schwierige Antwort auf die Frage, wie viele Menschen überhaupt erkrankt sind, geht es im dritten Teil kurz um die Frage, wie diese Symptome überhaupt zustande kommen. Und dann folgt der Schwenk zu ME/CFS, dem mit Long Covid teilweise überlappenden Syndrom.