Long Covid und ME/CFS - Teil 6

Long Covid und ME/CFS - Teil 6

Substack-Artikel vom 11.04.2023:

Eine kurze Übersicht über Behandlungsoptionen :: Wie kann man Long Covid vorbeugen? ::


Eine Vorbemerkung zu dieser Artikelserie: In den letzten 3 Jahren habe ich in meiner klinischen Tätigkeit im Spital viel mit COVID-19 zu tun gehabt. Bei Long Covid und dem teilweise damit überlappenden Krankheitsbild Myalgische Enzephalomyelitis / Chronic Fatigue Syndrom, kurz ME/CFS, fehlt mir diese praktische Erfahrung. Ich bin kein Experte für diese Erkrankungen. Weil mich COVID-19 nicht nur beruflich betrifft, sondern auch von Anfang an brennend interessiert hat, habe ich mich aber auch viel mit Long Covid beschäftigt. Dazu kommt eine persönliche Betroffenheit, weil meine 17jährige Tochter ziemlich stark davon erwischt wurde. Somit erlebe ich also doch auch aus erster Hand mit, wie sich Long Covid auswirken kann. Und das ist auch einer der Gründe, warum ich diese Artikelserie schreibe.

Im ersten Teil geht es um die Erfindung des Begriffs “Long Covid”, um die Definition und um schwere Folgen von COVID-19, die nicht Long Covid im eigentlichen Sinn sind.

Im zweiten Teil geht es um das breite Spektrum der Symptome von Long Covid und darum, wie häufig Long Covid überhaupt ist.

Im dritten Teil geht es darum, was im Körper vor sich geht, damit Long Covid entsteht.

Im vierten Teil folgt der Schwenk zu ME/CFS, jener Krankheit, an der ein Teil der besonders schwer von Long Covid betroffenen Personen erkrankt sind.

Im fünften Teil geht es um die Symptome von ME/CFS, um das was die Betroffenen verspüren.

Im sechsten Teil versuche ich, einen kurzen Überblick über die Behandlung von Long Covid und ME/CFS zu bieten und darüber, wie man es das Risiko, es zu bekommen, senken kann.

Im siebten Teil folgen zum Abschluss einige persönliche Betrachtungen von Long Covid.


Therapeutische Überlegungen zu Long Covid und ME/CFS

Es würde den Rahmen dieses Blogs bei weitem sprengen, im Detail auf die Therapieansätze einzugehen. Es gibt bisher keine kausale Therapie, und die Behandlung gehört in die Hände von Ärzt:innen, die sich mit dem Thema auskennen und praktische Erfahrung damit haben. Problem: Davon gibt es viel zu wenige. 

Immerhin stehen als Folge der COVID-19-Pandemie erstmals seit der Erstbeschreibung von ME/CFS in den 1950ern stehen nennenswerte Geldbeträge für klinische Studien zur Verfügung, wenn auch wahrscheinlich noch immer bei weitem nicht ausreichende. Bis eine kausale Therapie gefunden wird - falls überhaupt - , sind wir auf die Therapie der Symptome und auf individuelle Therapieversuche angewiesen, die in Einzelfällen bis zu aufwendigen Verfahren wie der Plasmapherese gehen können, bei der aus dem Blutplasma Antikörper und Mikrothromben entfernt werden sollen. Ein weiterer Ansatz bei einem Teil der Long Covid-Kranken mit Persistenz von SARS-CoV-2 ist das bei COVID-19 breit eingesetzte Paxlovid. Hier laufen seit kurzem bereits klinische Studien.

Bis solche zielgerichteten Therapien entwickelt und ausreichend getestet sind, müssen wir uns mit der Symptomkontrolle begnügen. Hier gibt es medikamentöse, v.a. aber auch nicht-medikamentöse Ansätze.

Pacing

Wie im vorigen Teil erklärt, ist bei ME/CFS und auch bei vielen an Long Covid erkrankten Personen, die die Kriterien für ME/CFS nicht erfüllen, die PEM, die Verschlechterung der Symptome nach Belastungen jeglicher Art, ein Kardinalsymptom.

Das Pacing bedeutet das Kennenlernen der eigenen, individuell sehr unterschiedlichen Belastungsgrenzen. Körperliche und kognitive Aktivitäten sollen nur so weit gesteigert werden, dass sie zu keiner PEM oder gar einem Crash führen. Auch ausreichende Ruhephasen und Schlaf gehören dazu. So wird versucht, die negativen Folgen der Inaktivität und der daraus folgenden Dekonditionierung möglichst gering zu halten, ohne die Symptomatik selbst zu verschlechtern.

Wo die Grenzen liegen ist von Person zu Person sehr unterschiedlich und kann sich auch mit der Zeit ändern. Für manche eher leichter Betroffene kann das ein individualisiertes Sportprogramm bedeuten, bei anderen geht es mehr um Alltagstätigkeiten. Kann man sich selbst ein Frühstück machen oder ist das schon zu viel?

Eine Schwierigkeit dabei - und das kann nicht oft genug betont werden - ist, dass der Antrieb in der Regel nicht vermindert ist. Die meisten Betroffenen wollen trainieren und damit besser werden, riskieren damit aber eine Verschlechterung durch einen Crash. Meine Tochter hat mit erzählt, wie fast alle ihrer Mitpatientinnen auf der Rehab anfangs bei der Physiotherapie gebremst werden mussten. Und auch Therapeut:innen und Ärzt:innen mussten das erst lernen.

Coping

Eng verbunden mit dem Pacing ist das Coping. Hier geht es um die Stresskontrolle, um Entspannungstechniken und um Vermeidung von Stress. Und alles kann Stress sein. Damit kann das Coping so weit gehen, dass jeglicher sensorische Stress vermieden werden muss. Für schwer an ME/CFS erkrankte Menschen können selbst Geräusche und milde Lichtreize zu viel Stress bedeuten. Für sie gehören Dinge wie Augenmasken und Gehörschutz zum Coping. Auch das Essen kann zu viel Stress bedeuten (zudem kann die Verdauung durch die schon früher besprochene Dysautonomie schwer gestört sein). Deshalb brauchen manche Betroffene eine Sondenernährung. Auch das kann im Grunde zum Coping gezählt werden.

Wichtig ist hier auch eine psychosoziale Unterstützung, wobei es gerade bei diesem Punkt nach wie vor viel zu wenige Behandlungsangebote gibt. Umso wichtiger sind Selbsthilfegruppen und Peer Groups, wobei hier aufgrund des oft stark eingeschränkten Bewegungsradius den Social Media eine große Bedeutung zukommt.

Ernährung

Fehl- und Mangelernährung tritt nicht selten auf. Nahrungsergänzungsmittel sind hier hilfreich, wobei der Markt hier riesig ist und oft Mittel ohne jegliche Evidenz angeboten werden. Professionelle Unterstützung ist auch hier wichtig.

Besonders jene Personen, die im Rahmen von Long Covid ein Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS, siehe Teil 5) entwickelt haben, können von einer zielgerichteten Ernährung - in diesem Fall einer histaminarmen Kost - sehr profitieren. Wenn der Verdacht auf ein MCAS besteht, sollte zumindest eine zeitlich begrenzte Ernährungsumstellung probiert werden. Diese kann wahre Wunder bewirken.

Medikamentöse Therapie

Das Feld der bereits eingesetzten Medikamente ist riesig. Für wenige gibt es mehr als eine anekdotische Evidenz (= man setzt ein Mittel ein, weil es anderen geholfen hat oder weil man das zumindest glaubt). Andere Medikamente werden verwendet, weil sie bei ähnlichen Symptomen anderer Erkrankungen wirken. Konkrete Studien bei ME/CFS und/oder Long Covid sind wie oben schon erwähnt Mangelware.

Es würde den Rahmen dieses Blogs bei weitem sprengen, auf die einzelnen Therapien konkret einzugehen. Einen groben Überblick bietet diese lange Liste aus dem Review von Hannah Davis et al.:

Vorbeugung von Long Covid

Sich nicht anstecken

Die beste Vorbeugung von Long Covid klingt banal: nicht an COVID-19 zu erkranken. Und wenn man es schon einmal gehabt hat, kein zweites Mal daran zu erkranken. Und kein drittes, viertes, fünftes Mal etc.

Nach dem Ende der Public Health-Maßnahmen bedeutet das, dass man individuelle Schutzmaßnahmen ergreift, wie das persönliche Verhalten ist. In Innenräumen eine Maske zu tragen, ist nicht die blödeste aller Ideen. Den Impfschutz aktuell zu halten ebenfalls nicht. Nach dem jeweils letzten Booster ist zumindest für mehrere Wochen das Risiko einer neuerlichen Ansteckung deutlich vermindert.

Anmerkung: Sich alleine auf die offiziellen Infektionszahlen zu verlassen, ist keine gute Idee. Die PCR-Tests werden und wurden überall deutlich heruntergefahren, selbst im Test-Paradies Wien. Besser ist es, dort wo sie verfügbar sind, Abwasserdaten anzuschauen. Im Falle von Österreich sind die hier zu finden. Gerade in der letzten Welle hatten die offiziellen Zahlen (“Humansignal”) und das Abwassersignal kaum mehr etwas miteinander zu tun.

Im Moment geht auch das Abwassersignal steil nach unter. Aber die XBB-Varianten verdrängen die vorigen Varianten, in einigen Ländern steigen die Zahlen schon wieder.

Impfung

Wer geimpft ist, hat nicht nur für eine gewisse Zeit ein geringeres Risiko einer Ansteckung. Geimpfte haben selbst im Falle einer Ansteckung ein geringere Wahrscheinlichkeit, an Long Covid zu erkranken, wie in diesem Review von insgesamt 41 Studien und insgesamt über 800.000 Patienten gezeigt wurde. Hier hatten 2x Geimpfte im Vergleich zu Ungeimpften ein um 40% geringeres Risiko einer Erkrankung an Long Covid (hier: PCC - “post COVID-19 condition”).

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Individuals who were vaccinated against COVID-19 with 2 doses had a significantly lower risk of developing PCC than individuals who had not been vaccinated. The dotted line represents the point of no difference between the 2 groups, and the dashed line represents the average effect of all studies when pooled together. OR indicates odds ratio.

Ein Teil davon wird daran liegen, dass Geimpfte im Durchschnitt weniger schwere Verläufe von Covid-19 haben und entsprechend weniger schwere Schäden durch die Infektion an sich erleiden. Aber auch bei Personen mit leichterem Verlauf wurde eine Risikoreduktion durch die Impfungen gesehen. In dieser Studie mit Gesundheitspersonal, das nicht im Spital behandelt werden musste, zeigte sich dies zB sehr deutlich (allerdings recht kleine Zahl an Probanden).

Multivariable Logistic Regression Analysis of the Association of Long COVID (N = 229) With Patient Characteristicsa

Paxlovid ®

Dass der Einsatz von Nirmatrelvir (= Paxlovid®) in der Akutphase der Infektion neben der sehr guten Wirkung gegen schwere Verläufe von COVID-19 auch das Risiko der Entwicklung von Long Covid reduziert wurde u.a. in dieser großen Studie anhand des Datenregisters von US-Veterans (also überwiegend männlich, großteils älter) gezeigt. Das Auftreten von Long Covid (bzw. “PCC”) war um 26% verringert. In der Grafik ist zudem unter (B) das Auftreten von einzelnen Symptomen abgebildet. Fatigue war z.B. um 21% reduziert.

Relative and Absolute Risk Reduction of Nirmatrelvir Compared With the No-Treatment Control Group
A, Post–COVID-19 condition (PCC), death, hospitalization, and composite outcome of death or hospitalization. B, Individual post–acute sequelae (components of PCC). Outcomes were ascertained 30 days after the SARS-CoV-2 positive test result until the end of follow-up. The nirmatrelvir group consisted of 35 717 patients, and the control group consisted of 246 076 patients. Adjusted hazard ratios and 95% CIs are presented. Absolute risk reduction of nirmatrelvir compared with the control group per 100 persons at 180 days and associated 95% CIs were estimated based on the difference of survival probability in the nirmatrelvir group compared with the control group. Statistically significant results are presented in light blue, and results that lacked statistical significance are presented in orange.

Natürlich erhielten nur Personen mit erhöhtem Risiko eines schweren Verlaufs Paxlovid. Zumindest bei denen gibt die Studie einen weiteren Grund zur Einnahme bei COVID-19 (möglichst früh nach Diagnose; Kontraindikation Medikamenteninteraktion abklären). Interessant wäre zu wissen, wie viel Paxlovid bei Personen ohne Risikokonstellation brächte. Diese Daten gibt es nicht.

Und was ist mit Omikron?

Weil die Frage immer wieder auftaucht, ob die Omikron-Varianten von SARS-CoV-2 weniger häufig zu Long Covid führen als die früheren Varianten: Ja, das ist definitiv so. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob das an Omikron selbst liegt. Da sind sie die Virologen und Epidemiologen nicht einig. Zumindest ein Teil dieses Effektes wird auf Impfungen und Paxlovid sowie auch auf den höheren Anteil an Vorinfektionen zurückzuführen sein.


Damit sind wir fast am Ende der Reihe angekommen. Im siebten und letzten Teil folgt eine kurze Zusammenfassung und eine persönliche Betrachtung als Arzt und Vater einer Betroffenen.