Long Covid und ME/CFS - Teil 7

Substack-Artikel vom 18.04.2023:

Der siebte und letzte Teil :: Überblick über einige wesentliche Aspekte von Long Covid und persönliche Anmerkungen :: Und ein paar Lesetipps ::


Eine Vorbemerkung zu dieser Artikelserie: In den letzten 3 Jahren habe ich in meiner klinischen Tätigkeit im Spital viel mit COVID-19 zu tun gehabt. Bei Long Covid und dem teilweise damit überlappenden Krankheitsbild Myalgische Enzephalomyelitis / Chronic Fatigue Syndrom, kurz ME/CFS, fehlt mir diese praktische Erfahrung. Ich bin kein Experte für diese Erkrankungen. Weil mich COVID-19 nicht nur beruflich betrifft, sondern auch von Anfang an brennend interessiert hat, habe ich mich aber auch viel mit Long Covid beschäftigt. Dazu kommt eine persönliche Betroffenheit, weil meine 17jährige Tochter ziemlich stark davon erwischt wurde. Somit erlebe ich also doch auch aus erster Hand mit, wie sich Long Covid auswirken kann. Und das ist auch einer der Gründe, warum ich diese Artikelserie schreibe.

Im ersten Teil geht es um die Erfindung des Begriffs “Long Covid”, um die Definition und um schwere Folgen von COVID-19, die nicht Long Covid im eigentlichen Sinn sind.

Im zweiten Teil geht es um das breite Spektrum der Symptome von Long Covid und darum, wie häufig Long Covid überhaupt ist.

Im dritten Teil geht es darum, was im Körper vor sich geht, damit Long Covid entsteht.

Im vierten Teil folgt der Schwenk zu ME/CFS, jener Krankheit, an der ein Teil der besonders schwer von Long Covid betroffenen Personen erkrankt sind.

Im fünften Teil geht es um die Symptome von ME/CFS, um das was die Betroffenen verspüren.

Im sechsten Teil versuche ich, einen kurzen Überblick über die Behandlung von Long Covid und ME/CFS zu bieten und darüber, wie man es das Risiko, es zu bekommen, senken kann.

Im siebten Teil folgen zum Abschluss einige persönliche Betrachtungen von Long Covid.


Auch wenn die Pandemie enden sollte, wird Long Covid bleiben

Meine Artikelserie ist länger geworden, als ich es vorgehabt hatte, und trotzdem habe ich das Gefühl, Long Covid nur oberflächlich angestreift zu haben. Das Thema ist überbordend und wird viele von uns und damit auch die Gesellschaft noch lang betreffen. Wir wissen nicht genau, wie viele Menschen wirklich betroffen sind. Wir wissen nur: Es sind viele.

Es ist meiner Meinung nach bezeichnend, dass bereits ganz zu Beginn von Long Covid steht, dass Betroffene selbst der Krankheit ihren Namen gegeben haben - aus einer gewissen Notsituation heraus, weil sie sich mit ihren Symptomen und ihrem Leid nicht ernst genommen fühlten. Nicht ernst genommen von einer Gesellschaft, die zunächst in einer Schockstarre angesichts von Berichten der zusammenbrechenden Spitäler und insbesondere Intensivstationen durch ein noch unbekanntes, angsteinflößendes Virus war, und später genug von Lockdowns, Schulschließungen und Masken hatte.

Berichte von Menschen, die die Pandemie in sich selbst nicht beenden konnten, weil sie das Virus und die Folgen der Krankheit in sich selbst trugen, störten dieses Narrativ. Im Wunsch, dass alles wieder normal werde, will man diejenigen lieber übersehen, die einen daran erinnern, dass es für manche nicht mehr normal geworden ist - für einige wohl nie mehr.

Die Medizin tut sich schwer mit Long Covid

Die sozialen Medien sind voll mit Berichten von Betroffenen über schlechte Erfahrungen mit dem medizinischen Betrieb. Als ich meine Tochter auf der Rehab besuchte, plauderte ich mit anderen betroffenen Jugendlichen. Alle (bis auf meine Tochter) erzählten von Ärzten, die sie nicht ernst nahmen, und auch von Lehrer:innen, die meinten sie sollten sich “nicht so anstellen”. Wohlgemerkt waren das Jugendliche, deren Erkrankung schwer genug ist, dass sie auf eine mindestens einmonatige, stationäre Rehab kamen. Wie geht es erst jenen, die nur z.B. unter Fatigue und Schwindelattacken leiden?

Warum der medizinische Betrieb sich so schwer mit durch objektive Befunde kaum fassbare Erkrankungen wie Long Covid tut, versuchte ich am Beispiel von ME/CFS im vierten Teil der Artikelserie anzudeuten. Obwohl ME/CFS bereits seit Jahrzehnten bekannt ist, lernten wir recht wenig darüber - von ein paar löblichen Ausnahmen abgesehen. ME/CFS und damit auch die daran erkrankten Menschen wurden vom medizinischen Betrieb weitgehend ignoriert. Long Covid bietet zumindest eine Gelegenheit, dass sich daran etwas ändert.

Von Long Covid lernen?

Ich selber war in da keine Ausnahme. Ich kannte das chronische Fatigue Syndrom ebenfalls nur als Schlagwort. So wie ich ab 2020 durch COVID-19 enorm viel über virale Erkrankungen im Allgemeinen lernte, öffnete sich in der Folge durch Long Covid ein neues Feld, zu dem ich in der Folge durch die Erkrankung meiner Tochter einen noch viel direkteren Zugang bekam.

Als ich einen Vortrag im Spital zu Long Covid hielt, gestanden mehrere Kolleg:innen - alles offene Menschen ohne Ignoranz gegenüber COVID-19, das über zwei Jahre lang einen großen Teil unserer Abteilung bestimmt hatte, dass ihnen das Ausmaß nicht bewusst gewesen sei. (Das überraschte mich nicht und war ein Hauptgrund für den Vortrag.)

Wie hilflos viele Betroffene sein müssen, konnte ich erahnen, als immer klarer wurde, dass es auch meine Tochter erwischt hatte. Obwohl ich schon ein gewisses theoretisches Wissen zu Long Covid hatte, immerhin Internist mit einer gewissen Berufserfahrung (Facharzt mit zwei Zusatzfächern, seit Jahren stationsführender Oberarzt) bin und den Medizinbetrieb (zumindest in Wien) halbwegs kenne und verstehe, fand ich zunächst keine Anlaufstelle. Es waren meine Kontakte durch meine damaligen Aktivitäten auf Twitter, die mir und vor allem meiner Tochter halfen, zu den richtigen Stellen zu finden. Wie es Leuten geht, die diese Privilegien nicht haben, oder gar Jugendlichen aus bildungsfernen Familien möchte ich mir gar nicht ausmalen. Es war wohl kein Zufall, dass auf der Rehab kein einziges Kind aus einer klassischen Migrantenfamilie war.

Steter Tropfen und so. Weil ich grundsätzlich ein positiv denkender Mensch bin, gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass sich durch die häufigere Präsenz in den Medien und die unglaubliche Arbeit der Betroffenenverbände langsam etwas ändern. Dass Ärzt:innen und v.a. auch die Medizinstudierenden besser auf die Krankheit geschult werden und dass derzeit aufgestockten Forschungsgelder mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein sind.


Lesetipps

Wie schon oft erwähnt, bin ich kein Experte für Long Covid. Das, was ich darüber weiß, ist kaum praktisch erarbeitet, sondern angelesen.

Ein paar Artikel, die mir besonders viel geholfen haben:

  • Post-COVID-Syndrom mit Fatigue und Belastungsintoleranz: Myalgische Enzephalomyelitis bzw. Chronisches Fatigue-Syndrom von Herbert Renz-Polster und Carmen Scheibenbogen.C.Scheibenbogen arbeitet seit vielen Jahren an der Charité mit ME/CFS und erhält jetzt die Aufmerksamkeit, die sie verdient.
  • Long COVID: major findings, mechanisms and recommendations von Hannah E. Davis, Lisa McCorkell, Julia Moore Vogel und Eric J. Topol.Drei selbst von Long Covid betroffene Wissenschaftlerinnen schrieben gemeinsam mit Eric Topol, einer der weltweit durch seine zahlreichen Publikationen bekanntesten Mediziner, ein exzellentes Review zu Long Covid. Topol meinte, dass er erst durch die Arbeit mit den dreien und ihrer Veränderung vor vs. nach COVID-19 erfasste, was Long Covid wirklich ist.
  • Long covid—an update for primary care von Trish Greenhalgh et al.Trish Greenhalgh ist die Doyenne der britischen Allgemeinmedizin. Klinikerin, immer nah am Menschen. Dieser Artikel ist ein exzellenter Überblick für alle Ärzt:innen, die keine Expert:innen für Long Covid sind. Worauf sollte ich schauen? Was sollte ich nicht übersehen? Wie kann ich die wichtigsten Fragen von Patient:innen beantworten?
  • How and why patients made Long Covid von Felicity Callard und Elisa Perego.Eine Geografin und eine Archäologin (ja, die als erste den Begriff Long Covid verwendete) erzählen, wie Patient:innen Long Covid beschrieben und den Begriff prägten, und warum es wichtig ist es, dass es eben Betroffene selbst taten.
  • Und dann möchte ich noch auf die Betroffeneninitiative Long Covid Austria hinweisen.

Im Sinne der Ausgewogenheit möchte ich diesen Artikel nicht vorenthalten:

Zum Abschluss möchte ich die Gelegenheit nutzen, all den tollen Menschen zu danken, die - teilweise seit 2020 alles ihnen mögliche versuchen, um die an Long Covid leidenden Personen in das Bewusstsein der Allgemeinheit und er Politik zu bringen.

Ganz speziell möchte ich Michael Stingl danken, der mich und meine Tochter sehr unterstützte, obwohl wir uns nur oberflächlich von der COVID-Community auf Twitter kannten. Er legte die Schienen für alles weitere.

Und ich möchte Beate Biesenbach von der Reha für Junge Menschen KOKON Rohrbach-Berg danken sowie allen mir namentlich nicht bekannten Ergo- und Physiotherapeut:innen, Sozialpädagog:innen, Pfleger:innen, Diätolog:innen. Ihr macht einen ganz tollen Job und seid der Grund, warum meine Tochter jetzt überlegt, eine Ausbildung für einen Job in einer Einrichtung wie eurer zu machen.