ME/CFS Symposium
Substack-Artikel vom 04.09.2023:
:: Kurzer Bericht über das ME/CFS-Symposium in Wien am 1.September 2023 ::
Letzte Woche hatte ich Gelegenheit an einem Symposium teilzunehmen, dass die Österreichische Gesellschaft für ME/CFS, ein Verein, der im Wesentlichen von direkt oder indirekt als Angehörige von der Krankheit Betroffenen getragen wird, gemeinsam mit den Abteilungen für Primary Care sowie für Pathophysiologie und Allergieforschung der MedUni Wien veranstaltete. Ein gemeinsames Projekt von Betroffenen, Behandelnden und Forschenden - so soll es sein.
Das Symposium ging vom Überblick über die Krankheit und neue Therapieoptionen, über gendermedizinische, biochemische und immunologische Forschung bis zur katastrophalen Versorgungslage.
Die Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom - kurz ME/CFS - ist eine schwere Krankheit, die erst in der Folge der COVID-19-Pandemie bei einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden ist. Auch in der Medizin wurde sie völlig vernachlässig, obwohl sie gar nicht selten ist. Weder im Studium noch später in meiner Facharztausbildung hörte ich mehr als ein paar magere Sätze darüber.
Erst mit der COVID-19-Pandemie und Long Covid, das mit ME/CFS teilweise überlappend ist, lernte ich das Krankheitsbild kennen. Erst recht natürlich, als ich selber ein indirekt Betroffener wurde. In einer Serie von Artikeln dieses Blogs, insbesondere ab dem vierten von sieben Teilen, versuchte ich das dabei gelernte zusammenzufassen.
Einführung in ME/CFS in 15 Minuten
Der niedergelassene Neurologe Michael Stingl, einer von einer Handvoll Mediziner:innen, die sich schon vor der Pandemie mit ME/CFS eingehend beschäftigten und von dem ich bei meiner betroffenen Tochter wertvolle fachliche Unterstützung und unschätzbare praktische Tipps bekommen habe, hatte die herausfordernde Aufgabe, in einer Viertelstunde die Grundlagen von ME/CFS zusammenzufassen. Er erledigte diese fast unmögliche Aufgabe mit Bravour.
Für mich interessant, dass er zur Diagnose nicht die Kanadischen Konsensus Kriterien (CCC), sondern die einfacheren und somit wohl praktikableren IOM 2015 Kriterien verwendet.
- Erhebliche Reduktion/ Beeinträchtigung bei der Ausübung von Beruf, Bildung, sozialen oder persönlichen Aktivitäten, mit ausgeprägter Fatigue seit mindestens 6 Monaten, oft schwerwiegend, neu auftretend, nicht das Ergebnis einer andauernden oder ungewöhnlichen übermäßigen Anstrengung, nicht wesentlich durch Ruhe gemildert
- Post-Exertional Malaise (PEM) (Zustandsverschlechterung nach Belastung)
- Nicht erholsamer Schlaf
Des Weiteren muss mindestens eine der folgenden Beschwerden vorliegen:
- Kognitive Beeinträchtigung
- Orthostatische Intoleranz
Besonders betont wird dabei die PEM, die das Leitsymptom von ME/CFS ist:
Ein Überblick über neue Therapiestudien
Als nächstes wurde Carmen Scheibenbogen von der Berliner Charité zugeschaltet, die einen Überblick über derzeit in Deutschland laufende Studien brachte, von der Grundlagenforschung bis zu klinischen Studien mit Patient:innen.
Unter anderem stellte sie auch die erfolgversprechenden Ergebnisse einer Pilotstudie vor, die am selben Tag als Preprint veröffentlicht wurde. Dabei erhielten zehn Betroffenen mit ME/CFS nach COVID-19 eine Behandlung durch Immunadsorption, einem aufwendigen technischen Verfahren zur Entfernung von Autoantikörpern. 7 dieser 10 Patienten spürten eine deutliche Besserung ihrer Symptome.
Basiswissenschaft: Sex and Gender // Stoffwechselveränderungen // Immunologische Veränderungen
Die nächsten Vorträge eröffneten einen Blick in die Basiswissenschaft. Ich möchte nur kurz darüber streifen.
Maria Teresa Ferretti, die in einem Projekt der Unis Zürich und Bern zu Gender-Medizin arbeitet, berichtete über Unterschiede durch biologisches Geschlecht und Gender bei neurologischen Erkrankungen und über einige pathophysiologische Grundlagen. Besonders eindrücklich fand ich dieses Slide zum Stigma bei neurologischen Erkrankungen, die Frauen meist häufiger betreffen (ADHD und Parkinson sind allerdings bei Männern häufiger):
Francisco Westermaier, Biochemiker am Joanneum in Graz, berichtet über seine Forschung zu Stickoxid (NO), das eine wichtige Rolle für die Funktion der Blutgefäße und damit für den ganzen Kreislauf spielt. Bei Menschen mit ME/CFS ist das Enzym eNOS gestört, das das NO steuert.
Eva Untersmayr-Elsenhuber von der MedUni Wien stellte Ergebnisse der Erforschung von Immundefekten bei Menschen mit ME/CFS vor, die deutlich häufiger vorkommen als bei Menschen ohne ME/CFS.
Die katastrophale Versorgungslage von Long Covid und ME/CFS
Der bewegendste Vortrag kam von Kathryn Hoffmann vom Zentrum für Public Health der MedUni Wien.
Sie war im August in der ZiB2 bei Armin Wolf zu Gast gewesen, als bekannt wurde, dass die Long Covid-Ambulanz der Uniklinik schließen wird, weil sie von der Stadt Wien nicht mehr weiter finanziert wird. Anschließend habe sie hunderte E-Mails bekommen. Die waren aber nicht wie sonst, wenn man öffentlich über COVID-19 spricht, Beleidigungen und Beschimpfungen, sondern kamen großteils von Betroffenen, die sie - völlig alleine gelassen vom Gesundheitssystem - verzweifelt um Hilfe baten.
Es sind nicht “ein paar hundert Kranke” (wie man aus der Krankenkasse vernahm). Und ein beträchtlicher Teil der Menschen mit Long Covid hat ME/CFS, es sind also schwer kranke Personen.
Aus versorgungswissenschaftlicher Sicht ist die Betreuung von Menschen mit ME/CFS komplex und aufwendig. Nichts mit “kann im niedergelassenen Bereich problemlos übernommen werden” (Wiener Gesundheitsverbund).
Aber so schaut die Versorgung aus:
So sollte sie ausschauen: