Neues zu COVID-19 und Zucker

Neues zu COVID-19 und Zucker

Substack-Artikel vom 23.05.2023:

COVID-19 und das erhöhte Risiko von Diabetes mellitus Typ 1 bei Kindern :: Neuer Mechanismus für die manchmal sehr hohen Zuckerwerte bei Personen mit COVID-19


In den letzten Tagen sind zwei neue Studien publiziert worden, die mit COVID-19 und Diabetes zu tun haben. Sie behandeln zwei völlig unterschiedliche Aspekte. In der einen Studie geht es um das erhöhte Risiko von Kindern und Jugendlichen, nach COVID-19 an Diabetes mellitus Typ 1 zu erkranken. In der anderen wird ein neuer Mechanismus dafür beschrieben, warum manche Menschen mit COVID-19 sehr hohe Blutzuckerwerte aufweisen.

Vorbemerkung: Diabetes ist nicht gleich Diabetes

Diabetes mellitus ist nicht eine Krankheit, eigentlich sind es mehrere Krankheiten, die kaum Gemeinsamkeiten haben außer, dass sie was mit erhöhtem Blutzucker zu tun haben.

Diabetes mellitus Typ 1 (DM1) ist eine Autoimmunerkrankung, bei dem die insulinproduzierenden Betazellen im Pankreas, der Bauchspeicheldrüse, zerstört werden. Die Folge ist ein Mangel an Insulin, was zur Folge hat, dass der für den Stoffwechsel der Zellen notwendige Blutzucker nicht mehr in den Zellen gebracht werden kann. Der Blutzucker steigt immer weiter, während den Zellen selbst der Zucker und damit die Energie fehlt. Andere - teils schwere - Stoffwechselstörungen folgen. Der DM1 manifestiert sich meist bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen. Bis zur Entwicklung der ersten Insulinpräparate vor fast genau 100 Jahren, war er immer tödlich, meist innerhalb weniger Wochen.

Die meisten Diabetiker (in Mitteleuropa ca. 90%) sind an Diabetes mellitus Typ 2 (DM2) erkrankt, der v.a. ab dem mittleren Lebensalter und häufig, aber nicht obligatorisch bei übergewichtigen Personen auftritt. Hier besteht üblicherweise anfangs kein Insulinmangel, sondern eine Insulinresistenz, durch die das Insulin seine Wirkung nicht ausreichend entfalten kann. Die Betazellen produzieren mehr und mehr Insulin. Manchmal erschöpfen sich die Betazellen mit der Zeit, erst dann kommt es zum absoluten Insulinmangel.

Darüber hinaus gibt es noch einige seltenere Sonderformen von Diabetes z.B. durch rare genetische Störungen, durch Verlust von Pankreasgewebe durch Operationen oder durch wiederholte Bauchspeicheldrüsenentzündungen.

Die Unterscheidung der verschiedenen Typen von Diabetes mellitus ist wichtig, weil es eben völlig unterschiedliche Krankheiten sind. (Tatsächlich werden sie in manchen Studien einfach vermischt.)

COVID-19 und das erhöhte Risiko, an Diabetes mellitus Typ 1 zu erkranken

In den Monaten nach einer COVID-19-Erkrankung ist das relative Risiko des Auftretens einer Autoimmunerkrankung um das 2-3fache erhöht, wie Chang et al. Anfang dieses Jahres im Lancet publizierten. Darauf bin ich schon in der Reihe Long Covid und ME/CFS kurz eingegangen.

Bei DM1 gab es schon 2020 erste Berichte über eine Zunahme von Neudiagnosen bei Kindern und Jugendlichen, z.B. hier in UK. Diese Berichte wurden in der Folge durch statistischen Erhebungen aus verschiedenen Ländern bestätigt, z.B. hier in den USA oder hier in Deutschland. Meist wurde ein knapp verdoppeltes relatives Risiko einer Neuerkrankung erhoben.

Gemein war all diesen Studien allerdings, dass das die Zahl der Neuerkrankungen mit der Zeit vor der Pandemie verglichen wurde, womit natürlich nicht klar war, ob es sich nicht nur um eine Korrelation statt um einen kausalen Zusammenhang handelte. Prompt ritt die Fraktion “COVID ist für Kinder harmlos” aus und behauptete, die Zunahme wäre auf den Bewegungsmangel im Lockdown zurückzuführen. Das obwohl - wie oben kurz ausgeführt - DM1 eine Autoimmunerkrankung ist, die nichts mit Übergewicht und Bewegungsmangel zu tun hat (im Gegensatz zu DM2).

Nun wurde also im JAMA, einer der bedeutendsten medizinischen Fachzeitschriften, eine kleine, aber feine Studie aus Deutschland publiziert, in der bei Kindern in Bayern mit den Geburtsjahren 2010-2018 die Inzidenz von DM1 angeschaut wurde. Und zwar einerseits im Vergleich von 2018-2019 mit 2020-2021, vor allem aber wurde bei letzteren die Gruppe ohne Diagnose von COVID-19 mit jener mit einer durch PCR nachgewiesenen Infektion verglichen. Während die Inzidenz bei den Kindern ohne COVID-19 bei 28,5 pro 100.000 lag, war sie im Quartal nach einer COVID-19-Infektion mit 55,2 pro 100.000 fast doppelt so hoch und blieb auch im 2.-4.Quartal deutlich erhöht.

Incidence Rates for Type 1 Diabetes in Children With and Without a COVID-19 Diagnosis
A, Incidence rate of type 1 diabetes before the pandemic (2018-2019) and during the pandemic (2020-2021) for 1 181 096 children with medical insurance claims data. B, For children in the pandemic period, the incidence rate of type 1 diabetes is shown from January 2020 to December 2021 in the absence of a preceding or concurrent COVID-19 diagnosis (light blue bar), during the quarter with the COVID-19 diagnosis (dark blue bar), and for the 2 quarters (6 calendar months) and subsequent quarters (6 to 15 calendar months) after the COVID-19 diagnosis quarter (blue bars). The number of cases of type 1 diabetes and the person-years of follow-up per group are indicated. Error bars indicate 95% binomial CIs of the respective incidence rate estimate.

Die schon früher beobachtete Erhöhung des relativen Risikos erhielt hier also zusätzliche Evidenz. Freilich kann noch nicht mit 100%iger Sicherheit bewiesen sein, ob es sich um tatsächlich zusätzliche Erkrankungen handelt oder ob bei suszeptiblen Kindern die Erkrankung durch die Infektion einfach früher ausgebrochen ist. Dies wird von den Diabetologen allerdings als unwahrscheinlich angenommen.

Warum haben manche COVID-Kranke so wahnsinnig hohe Blutzuckerwerte?

Meine Abteilung im Spital hat unter anderem das Fachgebiet der Diabetologie. Als meine Station im März 2020 zur COVID-Station wurde, fiel uns bald auf, dass recht viele der bei uns betreuten Infizierten ungewöhnliche hohe Blutzuckerspiegel entwickelten. Als später mehrere Abteilungen die COVID-Behandlung übernehmen mussten, verstärkte sich der Eindruck anhand der von uns konsiliarisch durchgeführten Blutzuckertherapie. Das ist von großer Bedeutung, weil durch eine schlechte Zuckereinstellung das Outcome der Erkrankung weiter verschlechtert wird.

Einerseits ist Diabetes jeglicher Art ein Risikofaktor für schwerere Verläufe von COVID, sodass überproportional viele Diabetiker:innen mit COVID im Spital landeten. Andererseits war der hohe Insulinbedarf unserer Patient:innen einfach auffallend. Dieser ist bei Infektionen oft erhöht, außerdem erhalten die Kranken mit einer COVID-Lungenentzündung eine Cortison-Therapie, was den Blutzucker als Nebenwirkung meist weiter erhöht. Aber die Höhe des Insulinbedarfs war aleine damit nicht zu erklären - schon gar nicht bei jenen ohne vorher diagnostiziertem Diabetes.

Inzwischen wurde gezeigt, dass DM2 zu den vielen Erkrankungen gehört, die nach COVID-19 gehäuft auftritt, in dieser Studie bei US-Veterans war das relative Risiko einer Diagnose innerhalb von 6 Monaten nach der Infektion um 70% erhöht. Als eine Ursache wurde schon vor längerem gezeigt, dass SarsCoV2 die insulinproduzierenden Betazellen im Pankreas direkt infizieren und die Insulinausschüttung (zer)stören kann.

Nun erschien eine Studie im PNAS, in der gezeigt wird, dass SarsCoV2 auch die Hepatozyten in der Leber infizieren kann. Erst wurde geschaut, wieviele Patient:innen mit COVID-19 im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne COVID-19 eine Hyperglykämie (= erhöhte Blutzuckerwerte) aufwiesen und wie eine Reihe von Diabetes-assoziierten Laborparametern ausschauen. Es bestätigte sich: Sowohl bei Personen mit als auch bei jenen ohne vorbekannten Diabetes war der Blutzucker im Durchschnitt deutlich höher als bei der Vergleichsgruppe ohne COVID.

Risk of hyperglycemia and glycometabolic alterations in COVID-19 cases. Kaplan–Meyer curve for the cumulative probability of COVID-19 patients developing hyperglycemia above or equal to 300 mg/dL in all patients (A) or categorized by the absence (B) and presence of diabetes (C). Evaluation of glycemia at admission (D), serum levels of C-peptide (E), glucagon (F) and glycated proteins (G) in serum collected at admission.

Als mögliche Ursache wiesen die Forscher:innen nach, dass SarsCoV2 die Leberzellen infizieren und sich dort replizieren kann. V.a. allem aber zeigten sie, dass diese Infektion die Leberzellen dazu bringt, die Gluconeogenese hochzufahren. Die Gluconeogenese ist die Zuckerproduktion des Körpers. Dies ist an sich ein lebenswichtiger Vorgang, durch den der Körper den Blutzucker und damit die Energieversorgung auch in Fastenperioden, zum Beispiel im Schlaf, hoch genug hält. COVID-19 führt nun eben zu einer überschießenden Gluconeogenese mit den oft deutlich erhöhten Blutzuckerwerten als Folge.

Ob das neben dem erhöhten Risiko für einen schlechten Verlauf der Infektion auch zu bleibenden Beeinträchtigungen der Hepatozyten führt, wurde in dieser Studie nicht untersucht.