Wird die Pandemie zu einer Zunahme von Parkinson-Erkrankungen führen?

COVID-19 kann das Hirngewebe schädigen, was zu Demenz und anderen neurologischen Erkrankungen führt. Eine neue Studie legt die Vermutung nahe, dass das auch auf das Parkinson-Syndrom zutrifft.

Wird die Pandemie zu einer Zunahme von Parkinson-Erkrankungen führen?

Nach der Pandemie stellten Mediziner auf der ganzen Welt eine auffällige Zunahme der Parkinson-Krankheit fest. Dabei kommt es zu einer Degeneration von bestimmten Nervenzellen, die den Botenstoff Dopamin produzieren. Dies führt zu den klassischen neurologischen Symptomen, dem Parkinson-Syndrom. Schon während der Pandemie selbst traten vermehrt Hirnhautentzündungen auf, und bei Obduktionen fielen den Pathologen eine ungewöhnliche Häufung von sichtbaren Veränderungen der Gehirnsubstanz auf. Später zeigten epidemiologische Studien, dass Menschen, die während der Pandemie Kinder oder Jugendliche waren, ein 2-3fach erhöhtes Risiko hatten, an Morbus Parkinson zu erkranken, als Menschen, die später geboren wurden.

Die Pandemie, von der hier die Rede ist, ist die Spanische Grippe von 1918 bis 1920. Inzwischen wurde nachgewiesen, dass manche Influenzaviren neurotrop sind, d. h. sie können nach einer systemischen Infektion in das Nervensystem gelangen. Bei einer Reihe von Virusinfektionen wird schon seit Jahren ein Zusammenhang mit einem später auftretenden Parkinson-Syndrom angenommen. Auch wenn ein direkter kausaler Zusammenhang schwierig nachzuweisen ist, ist die Korrelation bei manchen Influenza-Viren schon sehr klar, wie zum Beispiel eine große, 2021 erschienene dänische Studie 2021 zeigte.

Dabei ist das Parkinson-Syndrom eine schwere, die Lebensqualität massiv einschränkende Krankheit. Die Betroffenen sind in ihrer Bewegung stark eingeschränkt, gleichzeitig ist der Muskeltonus angespannt mit Muskelsteifigkeit und es tritt ein Muskelzittern auf, vor allem in den Händen, wenn man etwas Greifen möchte ("Intentionstremor"). Im fortgeschrittenen Stadium sind die meisten Erkrankten bettlägerig, aufgrund des Zitterns ist das Essen mit Besteck oder das selbständige Trinken aus einem Becher nur mit großen Schwierigkeiten oder gar nicht mehr möglich. Eine ursächliche Therapie gibt es nicht. Ein rechtzeitiges Erkennen der Krankheit mit frühzeitiger Therapie kann die Symptome zumindest lindern und das Voranschreiten in vielen Fällen verlangsamen.

Parkinson-Patientin versucht, ein Glas Wasser zu trinken.

COVID-19 kann zu langfristigen Veränderungen des Gehirns führen

Eine Pandemie mit einem Virus, von dem inzwischen gezeigt worden ist, dass es Nervenzellen des Gehirn befallen kann? Kennen wir doch.

Dass SARS-CoV-2 direkt zu Veränderungen im Gehirn führen kann, wurde inzwischen in zahlreichen Studien gezeigt. Ebenso wie der klinische Zusammenhang mit neurologischen Erkrankungen wie Demenz, Epilepsien oder Schlaganfällen. Ein bisschen dazu habe ich z.B. hier geschrieben:

Verschmelzende Zellen und andere Dinge, die COVID-19 im Gehirn anstellen kann.
Substack-Artikel vom 08.06.2023: Kurzer Überblick über drei neue Studien Dass COVID-19 weit mehr als eine Atemwegsinfektion ist, lernten wir recht rasch in der Pandemie. Die COVID-Lungenentzündungen waren es zwar, die die Spitäler und insbesondere die Intensivstationen in den ersten Monaten am meisten belasteten und am meisten Todesopfer forderten,

Ganz aktuell erschien zu diesem Thema das Preprint einer britischen Studie, in der 351 wegen COVID-19 stationär behandelten Personen (also mit einem schwereren Verlauf der Infektion) nach einem Jahr neurologisch begutachtet wurden ("Post-COVID cognitive deficits at one year are global and associated with elevated brain injury markers and grey matter volume reduction: national prospective study"). Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne COVID-19 zeigten sich im Blut erhöhte Marker einer Schädigung von Hirngewebe, ein verringertes Volumen der grauen Substanz und ein kognitives Defizit, das laut den Autoren bei den im Durchschnitt etwas über 50-Jährigen Personen dem von 70-Jährigen entsprach. Eine Studie von vielen zu diesem Thema.

Wer detaillierte Fachinfos dazu haben will, was COVID-19 mit dem Gehirn anstellen kann, findet in diesem extensiven, vor einem halben Jahr im Nature-Verlag erschienenen Review eine Fülle davon: Long-term effects of SARS-CoV-2 infection on human brain and memory.


SARS-CoV-2 und die dopaminergen Nervenzellen

Die potentielle Hirnschädigung durch COVID-19 ist Fakt. Aber was ist jetzt mit der Parkinson-Krankheit? Haben wir mit ähnlichen Folgen wie in den Jahren nach der Spanischen Grippe zu rechnen?

Über das Parkinson-Syndrom als Folge von COVID-19 gibt es noch sehr wenig. In einer 2022 im Nature-Verlag publizierten Studie bei US-Veteranen hatten diese 12 Monate nach der Infektion ein eineinhalb Mal so großes Risiko einer Parkinson-Krankheit wie eine Vergleichsgruppe ohne COVID-19. In einer ebenfalls 2022 im Lancet-Verlag erschienen, internationalen Studie wurde zwei Jahre nach der Infektion dagegen kein erhöhtes Auftreten des Parkinson-Syndroms gefunden. Wirklich schlau wird man aus der Fachliteratur also noch nicht. Ob der Unterschied daran liegt, dass bei der Veteranenstudie vor allem ältere Männer und damit die Hauptrisikogruppe für Parkinson angeschaut wurde, während in der internationalen Studie mehr als die Hälfte der Personen Frauen mit einem Durchschnittsalter von 45 Jahren war, ist Spekulation.

Vor allem aber ist für eine neurodegenerative Krankheit mit langsamem Beginn wahrscheinlich einfach noch zu wenig Zeit seit Beginn der Pandemie vergangen, um wirklich zu erfassen, mit wie vielen zusätzlichen Parkinson-Erkrankungen wir rechnen müssen.

Eine nicht-klinische Studie, die erst vor zwei Wochen erschienen ist, sollte dafür sorgen, dass wir uns nicht einfach beruhigt zurücklehnen ("SARS-CoV-2 infection causes dopaminergic neuron senescence").

Ausschnitt einer Grafik im Artikel: (K) Die infizierten Zellen haben mehr Lysosomen, Zellorganellen, die zum Zelluntergang beitragen. (M) Bei den infizierten Zellen gibt es weniger Mitosen, die Zellen vermehren sich also weniger. (N) Die infizierten Zellen weisen viel mehr Zeichen einer Proteinoxidation auf.

Hier wurden zunächst im Labor dopaminerge Nervenzellen gezüchtet, also der Typ von Zellen, deren Schädigung dem Parkinson-Syndrom zugrunde liegt. Eine Infektion dieser Zellen führte zu Zeichen einer vorzeitigen Zellalterung ("Seneszenz"), die die Autor:innen anhand einer Reihe von Laboruntersuchungen nachwiesen. Weiters wurden bei Obduktionen von COVID-19-Kranken Biopsien aus deren Gehirn entnommen. Die dopaminergen Zellen wiesen ähnliche Veränderungen auf wie die im Labor infizierten Zellen. Schließlich testeten die Forscher:innen drei Medikamente - u.a. auch das billige Diabetesmedikament Metformin - im Labor. Alle drei blockierten die Infektion der gezüchteten Nervenzellen und verhinderten so die Zellalterung.


Fazit

Eine Forschungsarbeit mit im Labor gezüchteten Zellen und bei Obduktionen gewonnenen Hirnbiopsien ersetzt keine klinische und epidemiologische Studien. Aber sie ist ein Hinweis, dass die Parkinson-Krankheit sich zu den schon bekannten Folgekrankheiten gesellen könnte, die nach COVID-19 auftreten. Eventuell erst nach Jahren. In den Worten der Autor:innen:

"Angesichts unserer Ergebnisse sind wir der Überzeugung, dass COVID-19-Patienten in den kommenden Jahren genau auf ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Parkinson-Symptomen überwacht werden müssen."