Eine Welle ist eine Welle ist eine Welle
Substack-Artikel am 25.11.2023:
Wir steuern auf die höchsten je erreichten Infektionszahlen zu, auch wenn nicht alle Experten glauben, dass wir uns in einer Welle befinden. Außerdem kurzer Bericht über ein Vernetzungstreffen.
Diese Woche kam es zu einem Vernetzungstreffen in der Wiener Ärztekammer, an dem ich auch teilnehmen durfte. Angestoßen wurde das durch den offenen Brief, in dem einige Medizinerinnen und Mediziner an die Öffentlichkeit gingen, um für Lufthygiene und Masken im Gesundheitswesen, Aufklärung der Bevölkerung und Schulung des Gesundheitspersonals zu plädieren. Dabei waren Leute aus Medizin, Pflege, Wissenschaft und NGOs wie die Initiative Gesundes Österreich, Österreichische Gesellschaft für ME/CFS und die WE&ME-Stiftung.
Das eine Hauptthema ist der Schutz vor über die Luft übertragene Infektionen im Gesundheitswesen. Darum haben wir uns viel zu lange nicht gekümmert. Siehe auch den Blogpost:
Sowohl in Spitälern als auch in Ordinationen gibt es nur mehr selten Schutzmaßnahmen. Selbst die einfachste und billigste aller Maßnahmen, die Maske, ist zur Rarität geworden. In der ersten Phase forderte ein Teil der Gesellschaft “Schutz der Vulnerablen, Freiheit für den Rest”. Doch kaum trat Freiheit im Sinne fehlender Schutzmaßnahmen wieder ein, war der Schutz der Vulnerablen kein Thema mehr.
Das andere Hauptthema sind Awareness und bessere Betreuung der Folgekrankheiten von COVID-19, Stichwort Long Covid und ME/CFS. Beides wird in der medizinischen Praxis trotz zahlreicher Betroffener (97.000 offiziell an Long Covid Erkrankte in Österreich sind nur die Spitze des Eisbergs) weiterhin stiefmütterlich behandelt.
Leicht wird das alles nicht. Der Widerstand ist groß, nicht zuletzt auch in der medizinischen Community selbst. Selbst im Spital sind die freiwillig getragenen Masken rar geworden. Und in der Ärztekammer sitzen ja sogar Mandatare der coronaverharmlosenden AntiVaxx-Partei MFG.
Ist es eine Welle, wenn es wie eine Welle aussieht?
Dabei wäre mehr Awareness gerade derzeit wieder gefragt.
In der einzigen verbliebenen Erfassung von SARS-CoV-2, den Abwassertests, sieht man seit Wochen einen unverminderten Anstieg der Virenlast. In Österreich wie anderswo. Dabei ist bei den meisten in den Medien auftretenden Experten eine merkwürdige Scheu festzustellen, dies als Welle zu bezeichnen. Einigen wir uns eben darauf, dass die Zahlen steigen und steigen.
Unter den Bundesländern gibt es einen neuen Spitzenreiter - Gratulation in den Westen nach Vorarlberg! Aber auch im Rest des Landes wurde das All-Time-High erreicht oder schon überschritten. Ausnahme Wien, wo es noch ein bisschen braucht, bis die wahnwitzige Sommerwelle 2022 eingeholt wird. Wie war das noch einmal mit “saisonaler Viruserkrankung”?
Der im Fediverse unter @zeitferne@mastodon.online zu findende User Christian hat auf Github folgende schöne Grafik veröffentlicht. Gut schaut 2023/24 bisher nicht aus:
Warum ist das noch immer von Bedeutung?
COVID-19 ist kein Schnupfen, auch wenn es sich für viele dank der (Teil-)Immunität durch Impfungen und teilweise auch durch bereits durchgemachte Infektionen so anfühlen mag.
Über die möglichen Langzeitfolgen - von Long Covid bis zu den vielen durch COVID-19 getriggerten Folgekrankheiten - gibt es bereits Tonnen an Berichten. Auch mein Blog ist voll davon. Als Beispiel zwei Artikel aus der letzten Zeit:
Aber auch die Akuterkrankung ist für viele Betroffene alles andere als harmlos, auch wenn die Zahl der schweren Verläufe nicht mehr mit dem in den ersten zwei Jahren der Pandemie erlebten vergleichbar ist.
COVID-19 ist bekanntlich schon seit Juli 2023 in Österreich wie in den meisten europäischen Ländern keine meldepflichtige Erkrankung mehr. In den Spitälern gibt es kein Screening auf SARS-CoV-2 bei stationären Aufnahmen mehr. Aber immerhin gibt es noch die Meldung schwerer akuter respiratorischer Infektionen (SARI) durch die Krankenanstalten, die auch COVID-19 erfasst. (Anmerkung: Ja, COVID-19 ist weit mehr als eine respiratorische Erkrankung, wird aber als über die Atemwege übertragene Infektion bei den SARI miterfasst.) Die Zahl der stationären Aufnahmen wegen COVID-19 steigt deutlich, und auch intensivpflichtige Erkrankungen treten wieder vereinzelt auf. Bei letzteren gibt es weiterhin eine sehr hohe Mortalität.
Die elendigliche Diskussion wegen oder mit COVID-19 können wir uns inzwischen sparen. Getestet wird ja fast ausschließlich bei entsprechender Klinik. Asymptomatische oder oligosymptimatische Infektion werden in der Regel nicht mehr erfasst.
Das hat auf Auswirkungen auf die Krankenstände, bei denen wir wie schon vor einem Jahr sehr hoch liegen. Die Versicherungen veröffentlichen hier lediglich die Gesamtzahl ohne Aufschlüsselung der Gründe für die Krankenstände. Aber natürlich darf man annehmen, dass ein beträchtlicher Teil auf COVID-19 zurückzuführen ist - oft wahrscheinlich ohne entsprechende Diagnose.
Dass die Wirtschaft kein größeres Interesse zeigt, die Zahl der Infektion etwas zu verringern, finde ich eigentlich ziemlich erstaunlich. Der volkswirtschaftliche Schaden durch COVID-19 ist jedenfalls enorm.
Impfe sich, wer kann!
Obwohl wir auf die möglicherweise bisher höchste COVID-19-Welle zusteuern, kommen wir in Österreich bei den upgedateten XBB-Impfoffen kaum vom Fleck. Das schon früher in diesem Blog beklagte Organisationsversagen hat sich kein bisschen gebessert. Laut impfdaten.at wurden bis zum 20.11. gerade mal 326.847 der XBB-Impfungen verabreicht. Bei den über 65jährigen, die den Großteil der stationären Aufnahmen ausmachen, sind es grob geschätzt etas über 10%. Im Vergleich dazu sind es in England und Dänemark jeweils um 65%. Und dort spricht man von einer enttäuschenden Impfrate.
Der überwiegende Teil der auf meiner Abteilung mit COVID-19 behandelten Menschen sind ältere Personen, die sich 2021 brav ihre drei Impfungen und manchmal noch einen Booster 2022 abgeholt haben, dann aber keine weiteren Impfungen erhalten haben. Viele von ihnen sind ehrlich überrascht, dass sie jetzt keinen ausreichenden Schutz mehr haben.
Eine Versagen der Public Health.