Long Covid bei Kindern und Jugendlichen
Zwei neue Fachartikel zeigen, wie wenig wir 4 Jahre nach Beginn der Pandemie über Long Covid bei Kindern und Jugendlichen wissen. Ein Versuch, etwas Struktur ins Chaos zu bringen.
Der Umgang mit Kindern und Jugendlichen war von Anfang der Pandemie an ein übler. Anfangs wurden sie aus ihrem sozialen Umfeld herausgerissen, um uns Erwachsene zu schützen. Dass Kinder selbst schwerer von COVID-19 betroffen sein können und dass sie das Virus selber weitergeben können wurde gerne negiert. Als später alles wieder geöffnet wurde, schwappte die erste Omikron-Welle vor allem durch die Schulen und Kindergärten. Um Schutzmaßnahmen und Luftqualität kümmerte man sich kaum.
Mehr über dieses Thema habe ich in diesem Blog schon einmal geschrieben:
Dabei wissen wir längst, dass SARS-CoV-2 zahlreiche Zellen und Organe befallen kann, insbesondere auch die Nervenzellen und das Gehirn. Wird das bei jungen Menschen, deren Gehirn noch in Entwicklung ist, zu Langzeitfolgen führen? Und wenn ja, wie werden diese ausschauen? Wir wissen es noch nicht.
Auch bei den mittelfristigen Folgen der Infektion, zu denen Long Covid gehört, gibt es bei Kindern und Jugendlichen bisher noch recht wenige Daten. In den letzten Tagen erschienen aber zwei Fachartikel, die etwas Licht in diese Thematik bringen wollen, sich aber damit schwer tun.
Bevor ich auf diese Artikel eingehe, bleibt uns das leidige Thema des Fehlens von allgemeingültigen Definitionen nicht erspart. Wie auch in diesem Blog schon öfters angesprochen, ist "Long Covid" kein klar definierter Begriff, sondern ein von Betroffenen selbst geschaffener Überbegriff für anhaltende Folgen der Infektion. In der wissenschaftlichen Fachliteratur hat sich weitgehend "Postacute Sequelae of SARS-CoV-2 (also "post-akute Folgen von SARS-CoV-2" = PASC) durchgesetzt, der fast deckungsgleich mit Long Covid verwendet wird.
Die WHO versuchte ihr bestes, eine Definition zu schaffen, nannte dies aber auch nicht Long Covid, sondern Post-Covid-19-Erkrankung:
Die Post-COVID-19-Erkrankung tritt bei Personen mit einer wahrscheinlichen oder bestätigten SARS-CoV-2-Infektion in der Anamnese auf, in der Regel drei Monate nach Ausbruch der COVID-19-Erkrankung und mit Symptomen, die mindestens zwei Monate lang anhalten und nicht durch eine andere Diagnose erklärt werden können. [...] Die Symptome können neu auftreten, nach einer anfänglichen Genesung von einer akuten COVID-19-Episode, oder sie können nach der ersten Erkrankung fortbestehen. Die Symptome können auch schwanken oder im Laufe der Zeit zurückkehren.
Die Definition ist sehr weit gefasst, was den Vorteil hat, dass wirklich so ziemlich alle Folgen von COVID-19 hier erfasst werden, und den Nachteil, dass sehr verschiedene Krankheitsentitäten vermischt werden. Wer an den direkten Folgen eines schweren Verlaufs von COVID-19 mit intensivmedizinischer Behandlung leidet, hat genauso "Long Covid" wie jemand, der nach einem milderen Verlauf nicht mehr so recht auf die Beine kommt. Ein lästiger anhaltender Husten oder eine Verschlechterung des Geruchssinnes ist genauso Long Covid wie eine schwere systemische Belastungsintoleranz mit Bettlägerigkeit bei einem postinfektiösen ME/CFS.
Übersicht über die post-akuten Folgen von COVID-19 bei Kindern und Jugendlichen
Vor wenigen Tagen erschien zu diesem Thema ein recht umfassender Übersichtsartikel in der Fachzeitschrift Pediatrics ("Postacute Sequelae of SARS-CoV-2 in Children"). Die Autorinnen und Autoren machen sich dabei große Mühen, auf die oben angesprochenen Unschärfen einzugehen und weisen auf die Schwierigkeit der divergierenden Definitionen hin, die u.a. dazu führen, dass selbst scheinbar einfache Angaben, wie häufig Long Covid bei Kinder ist, sehr unterschiedlich sind. Konsequenterweise verzichten sie darauf, die Häufigkeit zu benennen.
Sie versuchen stattdessen, das diffuse Krankheitsbild zu entwirren und präsentieren folgendes, meiner Meinung nach sehr brauchbares Konzept einer Einteilung von Long Covid:
- Schon vor der Infektion bestehende, aber durch diese verschlimmerte oder sich erst jetzt manifestierende Erkrankungen,
- anhaltende Symptome der akuten Infektion,
- neu aufgetretene Krankheiten (wie z.B. Autoimmunerkrankungen, Diabetes mellitus)
- sowie exklusiv bei Kindern das Multisystemische Entzündungssyndrom bei Kindern (MIS-C), eine seltene aber schwere Komplikation, die vor allem in der Anfangszeit der Pandemie beobachtet wurde.
Weiters schauen die Autorinnen und Autoren die Symptome und Krankheiten der verschiedenen Organsysteme an. Darauf im einzelnen einzugehen, würde diesen Blog bei weitem sprengen. Die folgende Grafik macht deutlich, dass fast jedes Organsystem betroffen sein kann:
Schließlich wird in dem Artikel darauf hingewiesen, wie wenig wir bisher über die Folgen von COVID-19 wissen, aber auch über die indirekten Folgen durch die Maßnahmen auf die neurologische, psychische und soziale Entwicklung der Kinder. Und über den Verlauf von Long Covid bzw. PASC bei Kindern erhalten wir folgende Info:
"Es gibt keine Studien, die die funktionellen Ergebnisse von Kindern mit PASC untersuchen."
Leicht polemisch zusammengefasst bestätigt der Artikel somit den Eindruck, dass Kinder in der COVID-Pandemie nicht nur kaum geschützt wurden und werden, sondern dass es auch wenige Bestrebungen gibt, diejenigen, die direkte Opfer der Infektion sind, angemessen zu schützen und unterstützen.
Erste Daten der "CLoCk-Studie"
Fast gleichzeitig mit der oben besprochenen Übersichtsarbeit erschien ein Artikel mit Daten bis 12 Monate nach der Infektion bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 11-17 Jahren in UK ("Long COVID in non-hospitalised children and young people: A national matched cohort study. (The CLoCk study)".
Zu Beginn beschreiben die Autoren die Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert waren. Der ursprüngliche Plan war ein Vergleich der Folgen von COVID-19 über die Zeit bei 3000 infizierten mit ebenso vielen nicht-infizierten Jugendlichen. Letztlich infizierten sich so viele Jugendliche, dass insgesamt über 30.000 teilnahmen. Allerdings stellte sich bald heraus, dass der Vergleich mit Jugendlichen ohne COVID nicht mehr möglich war, weil auch bei einem großen Teil der initial nicht-infizierten von einer Infektion im weiteren Beobachtungszeitraum ausgegangen werden musste. PCR-Tests gab es aber noch kaum, sodass man nicht eindeutig wusste, wer tatsächlich infiziert war.
Zudem waren die Autorinnen und Autoren mit einem altbekannten Problem konfrontiert:
Ein Problem, das die Long COVID-Forschung bei Kindern und jungen Erwachsenen überschattet, ist das Fehlen einer einheitlichen Definition.
Also schufen sie eine eigene Definition, angelehnt an jene der WHO bei Erwachsenen:
Die Post-COVID-19-Erkrankung tritt bei jungen Menschen mit einer bestätigten SARS-CoV-2-Infektion in der Anamnese auf, bei denen mindestens ein körperliches Symptom über einen Zeitraum von mindestens 12 Wochen nach dem ersten Test bestehen bleibt, das sich nicht durch eine andere Diagnose erklären lässt. Die Symptome wirken sich auf die alltäglichen Abläufe aus, können nach einer COVID-Infektion fortbestehen oder sich entwickeln und im Laufe der Zeit fluktuieren oder zurückkehren. https://adc.bmj.com/content/107/7/674.long
Ein einziges anhaltendes Symptom genügt also laut dieser Definition. Damit ist natürlich gewährleistet, dass wirklich alle von Long Covid betroffenen Jugendlichen erfasst sind, andererseits aber auch all jene, die unabhängig von COVID-19 ein neues körperliches Symptom entwickelt haben. Die Schwierigkeit der Definition von Long Covid wunderbar versinnbildlicht.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass 3 Monaten nach dem initialen PCR-Test 25,2% der PCR-Positiven, aber auch 18,5% der PCR-Negativen die sehr offene Definition erfüllten. Manche leiten von solchen Zahlen ab, dass 7% Long Covid entwickeln. Bei einem längeren Beobachtungszeitraum von 6 und 12 Monaten wird das Bild klarer. Zum Beispiel zeigt sich, dass bei den PCR-Positiven ein großer Teil von denen, die Atemnot zum Zeitpunkt der akuten Erkrankung oder nach drei Monaten angaben, auch nach 6 Monaten darunter litten. Bei den initial PCR-Negativen war die Gesamtzahl deutlich geringer sowie auch der relative Anteil mit anhaltenden Symptomen.
Ähnlich schaute es auch nach 12 Monaten aus.
Dieselbe Arbeitsgruppe reichte inzwischen die Ergebnisse für den Beobachtungszeitraum von 24 Monaten ein ("Long-Term Effects of COVID-19 in Children and Young People: A 24-Month National Cohort Study"). Die Arbeit ist derzeit für eine Publikation im Nature-Verlag in Begutachtung.
Die wichtigsten Ergebnisse: Drei Monate nach der Infektion erfüllten 24,7% der initial PCR-Positiven die obigen Kriterien für eine Post-Covid-Erkrankung, nach 24 Monaten waren es 7,2% die seit der Akuterkrankungen durchgehend Symptome angegeben hatten. Während ein einziges Symptom reichte, um die Definition für Long Covid zu erfüllen, hatten jene 7,2% im Durchschnitt 5 bis 6 anhaltende Symptome.
Fazit
Aufgrund des heterogenen, komplexen Bildes der Folgen von COVID-19 tun wir uns auch vier Jahre nach Beginn der Pandemie schwer, eine klare Definition für Long Covid zu finden. Das betrifft die Erwachsenen, aber noch mehr die Kinder und Jugendlichen. Letztere erhielten nie den Infektionsschutz, den man sich bei einer Erkrankung erwarten dürfte, die fast alle Organe des Körpers betreffen kann - insbesondere das Nervensystem, bei dem wir noch keine Ahnung haben, was für Folgen das für die Entwicklung von Betroffenen haben kann, und auf was für Langzeitfolgen wir uns möglicherweise einstellen sollte.
Die wenigen Studien zu diesem Thema zeigen ein durchaus inkohärentes Bild. Einerseits wird die Zahl der Betroffenen in der Literatur von bis ca. 20% wohl deutlich überschätzt. Viele Jugendliche weisen Symptome von milderen Formen von Long Covid unabhängig von einer Infektion aus. Andererseits gibt es klare Hinweise, dass eine beträchtliche Anzahl von Jugendlichen unter echtem Long Covid leidet - die meisten von ihnen mit anhaltenden Beschwerden.