Impfung im Frühling?

Die CDC empfehlen allen ab 65 einen Frühlingsbooster gegen COVID-19. Außerdem: Der hervorragende Schutz der COVID-Impfung vor schweren und vor tödlichen Verläufen in zwei neuen, riesigen Studien. Und: Die Wirkung des letzten Herbstboosters in der enormen JN.1-Welle.

Impfung im Frühling?

Die CDC haben in den USA eine eindeutige Empfehlung für einen Frühlingsbooster für alle Menschen ab einem Alter von 65 Jahren ausgesprochen. Bei uns sind die Impfungen schon seit längerem kein Thema in der Öffentlichkeit mehr. In einem Land, für dessen Politik es offenbar nicht mehr opportun ist, eine echte Impfkampagne zu fahren, in dem nicht einmal mehr die Vulnerabelsten - die Alten in den Pensionisten- und Pflegeheimen - die upgedateten Booster erhalten haben, ist es wahrscheinlich müßig, über einen Frühlingsbooster zu reden. Ich tu's trotzdem.

Die Empfehlung der CDC

Ende Februar haben die CDC zusätzlich zur schon bestehenden Empfehlung für alle immungeschwächten Personen nun auch für alle ab 65 Jahren eine klare Empfehlung für einen Frühlingsbooster ausgesprochen. Die Mitglieder des Advisory Committee on Immunization Practices stimmten mit 11 Pro-Stimmen bei einer Enthaltung für diesen Vorschlag. Die aktuelle Empfehlung der CDC lautet nun:

  • "Personen im Alter von 65 Jahren und älter, die eine Dosis eines aktualisierten COVID-19-Impfstoffs 2023-2024 erhalten haben, sollten mindestens vier Monate nach der letzten aktualisierten Dosis eine weitere Dosis eines aktualisierten COVID-19-Impfstoffs erhalten."

CDC-Direktorin Mandy Cohen begründet die Entscheidung so:

"Die meisten COVID-19-Todesfälle und Krankenhauseinweisungen im vergangenen Jahr betrafen Menschen über 65 Jahre. Eine zusätzliche Impfdosis kann einen zusätzlichen Schutz bieten, der bei Personen mit dem höchsten Risiko möglicherweise im Laufe der Zeit abgenommen hat."

Viel "kann" und "möglicherweise" - typisch für die vorsichtige Diktion der Wissenschaft. Aber das von ihr gesagte entspricht genau dem, was wir im Spital beobachtet haben. Im Gegensatz zu früheren Wellen waren es wirklich fast ausschließlich ältere, vorerkrankte Personen, die wegen COVID-19 eine stationäre Aufnahme brauchten. Gar nicht so wenige von ihnen starben daran. (Offizielle Zahlen dazu habe ich für Österreich keine. Sind sie irgendwo öffentlich?) Die meisten dieser Betroffenen hatten ihre drei bis vier Impfungen erhalten, danach aber keine Booster mehr. Weil sie glaubten, es wäre nicht mehr nötig; weil sie keiner dran erinnerte; weil keiner ihnen dabei half, zu einem Impftermin zu kommen.

Der verbreitete Glaube, die Impfungen brächten "eh nicht soviel". Die Studienlage schaut ganz anders aus. Die Impfungen bringen viel, aber man sieht es nicht mit freiem Auge, weil das, was man verhindern möchte, verhindert wurde. Logisch, oder?


Zur Wirkung der COVID-Impfungen

Wie gut die SARS-CoV-2-Impfungen ganz grundsätzlich wirken - und zwar sowohl zur Verhinderung eines schweren Verlaufes als auch von Long Covid, ist schon so oft gezeigt worden, dass ich gar kein weiteres Mal darauf eingehen möchte. Alleine in diesem Blog wurde es u.a. schon hier (Long Covid), hier (Statement zu Wirksamkeit und Sicherheit), hier (Long Covid bei Kindern), hier (nochmal Long Covid) und hier (schwere Verläufe).

In den letzten Wochen erschienen aber zwei sehr große Studien, die es anzuschauen lohnt.

Eine wichtige Anmerkung vorweg: In der Folge geht es ausschließlich um die Wirkung der Impfungen gegen die akute Erkrankung. "Guter Impfschutz" soll keinesfalls bedeuten, COVID-19 wäre dann harmlos. Wie schon oft besprochen, kann Long Covid ist auch nach leichten Verläufen auftreten! Aber um dieses Thema geht es in diesem Artikel nicht.

Reduktion schwerer Verläufe in UK

Im Jänner erschien im Lancet eine große Studie über die Wirkung der Impfungen gegen schwere Verläufe von COVID-19 ("Undervaccination and severe COVID-19 outcomes: meta-analysis of national cohort studies in England, Northern Ireland, Scotland, and Wales"). Hier wurde anhand der Gesundheitsdaten von praktisch der gesamten Bevölkerung des Vereinigten Königreiches (fast 70 Millionen Menschen) der Impfstatus am Stichtag 01.06.2022 und die schweren COVID-19-Erkrankungen bis zum 30.9.2022 erhoben, also bereits in der Omikron-Zeit. Das daraus kalkulierte Risiko eines schweren Verlaufes war bei unvollständigem Impfstatus - je nach Alter und Zahl der fehlenden Stiche - um 26% (jüngere mit einem fehlenden Stich) bis zum mehr als dreifachen (75+ mit maximal drei Stichen) erhöht.

0 bedeutet "keine fehlende Impfung", 1 "eine fehlende Impfung" etc. Die adjusted HR gibt das Risiko für eine schwere Infektion an.

Daraus errechneten die Autorinnen und Autoren, dass im Falle einer kompletten Durchimpfung der gesamten Bevölkerung im Beobachtungszeitraum statt 40 393 nur 7180 schwere Verläufe von COVID-19 aufgetreten wären.

Reduktion der Mortalität in der WHO-Europaregion

Eine weitere große Studie erschien bisher erst als Preprint. Es handelt sich um eine Erhebung des WHO-Regionalbüros für Europa = die europäischen Länder plus die geografisch in Asien liegenden Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion und Israel ("Estimated number of lives directly saved by COVID-19 vaccination programs in the WHO European Region, December 2020 to March 2023"). Ausreichende Daten zu Alter und Impfstatus lagen aus 34 der 54 Staaten vor (von Deutschland allerdings nur in der Altersgruppe ab 60, denn "data were collected but could not be made available").

Insgesamt errechnete die Autorengruppe, dass durch das Impfprogramm in den 34 Staaten im Zeitraum von Dezember 2020 bis März 2023 insgesamt 1,4 Millionen Leben gerettet wurden (statistische Spanne: 0,7 Millionen bis 2,6 Millionen). In absoluten Zahlen wurden erwartungsgemäß in den vulnerabelsten höheren Altersgruppen am meisten Todesfälle verhindert, aber auch in der Gruppe von 25-49 Jahre führten die Impfungen zu einer relativen Reduktion der Mortalität um 46%.

Abgesehen von der riesigen Menge an Daten ist eine Stärke der Studie, dass hier im Gegensatz zu fast allen vergleichbaren Studien auch ein großer Teil der Omikron-Ära angeschaut wurde. Dass Omikron nicht per se harmloser ist, sondern wegen der viel höheren Grundimmunität in der Bevölkerung anteilsmäßig weniger schwere Verläufe auftraten, wurde auch in dieser Studie gezeigt. 67% der durch die Impfungen verhinderten Todesfälle wären in der Omikron-Zeit aufgetreten. Und: In den Altersgruppen ab 60 war ein Großteil der verhinderten Todesfälle auf die Boosterimpfungen zurückzuführen.

Die upgedateten XBB-Boosterimpfungen im Herbst 2023 flossen in die Ergebnisse dieser Studie natürlich noch nicht ein. Aber auch zu diesen gibt es neue Daten.


Wirksamkeit des XBB-Herbstboosters 2023

Die Wirksamkeit des upgedateten Boosters war auch hier schon ein Thema. Personen mit dem Herbstbooster hatten selbst im Vergleich zu Personen mit allen Stichen bis auf den Herbstbooster ein deutlich geringeres Risiko, wegen COVID-19 im Spital zu landen. Mehr dazu hier:

Was wir aus der JN.1-Welle lernen könnten, wenn wir dazu bereit wären
Ein Blick auf die abnehmende JN.1-Welle und auf die zunehmende Grippewelle. Außerdem: Die Wirksamkeit des Herbstboosters.

Vor wenigen Tagen erschien im Lancet-Verlag eine weitere Studie mit einem längeren Beobachtungszeitraum als die vorigen ("Effectiveness of XBB.1.5 vaccines and antiviral drugs against severe outcomes of omicron infection in the USA"). Personen mit dem XBB-Herbstbooster hatten hier im Vergleich zu den Personen ohne Herbstbooster ein um 31% geringeres Risiko einer schweren COVID-19-Erkrankung. Risikogruppen (immunkompromittiert oder >65) profitierten relativ gesehen mehr als die jüngeren, die sowieso seltener einen schweren Verlauf haben. Der Schutz gegen die JN.1, die Hauptvariante der letzten Welle, war vergleichbar mit jenem gegen die XBB-Varienten selbst.


Warum also ein Frühlingsbooster?

In Österreich wie in ganz Zentraleuropa hat sich die COVID-19-Infektionslage aktuell fast völlig beruhigt.

Die Abwasserdaten der österreichischen Bundesländer seit Anfang 2022.

Entsprechend gibt es auch kaum mehr COVID-19-Kranke in den Spitälern, und weil inzwischen ebenso die Influenza sowie die grippalen Infekte deutlich zurückgehen, meldet nun auch der Grippemeldedienst der Stadt Wien deutlich abnehmende Infektionszahlen. Im Moment ist die Gefahr durch COVID-19 so gering wie seit letzten Juli nicht mehr.

Wie es in den nächsten Wochen und Monaten weitergehen wird, lässt sich nicht verlässlich prognostizieren. Ob und wann eine neue Welle kommt, hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab:

  • Von der abnehmenden Immunität (waning immunity) in der Bevölkerung. Je länger man keinen Kontakt mit dem Virusantigen gehabt hat - entweder durch die Impfung oder durch eine Infektion, umso geringer ist der Schutz vor einer neuerlichen Infektion.
  • Von der Immunflucht des Virus. Neue Varianten können so verändert sein, dass sie der bisher aufgebauten Immunität teilweise entkommen können.

Dass die neutralisierenden Antikörper, die einen wichtigen Teil des Schutzes ausmachen, nach der Impfung relativ bald deutlich abnehmen, wurde schon sehr bald nach Einführung der Impfungen gezeigt. In einer ganz rezenten Studie aus New York wurde dies über einen langen Beobachtungszeitraum wieder gezeigt ("SARS-CoV-2-infection- and vaccine-induced antibody responses are long lasting with an initial waning phase followed by a stabilization phase"). Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn nach der initialen Phase des Abfalls des Antikörpertiters stabilisiert sich dieser nach einigen Monaten und bleibt dann recht konstant.

Antikörpertiter bei vor den Impfungen infizierten (gelb) und nicht-infizierten (blau) Personen. Der Unterschied nach zwei Stichen wird durch den Booster ausgeglichen. Achtung: Die y-Achse ist logarithmisch, der Titerabfall wird also optisch deutlich unterschätzt.

Für die in dieser Studie großteils gesunden, jüngeren Probanden sollte also auf längere Zeit ein ausreichender Impfschutz vorhanden sein. Bei den älteren Personen und den Immunkompromittierten könnte der Antikörperschutz allerdings nach einigen Monaten zu schwach werden. Das sind genau jene Personengruppen, denen von den CDC der Frühlingsbooster empfohlen wird.

Ganz anders schaut es beim Auftauchen einer neuen, besonders immunevasiven Variante aus. In der Antikörperstudie wurde dies beeindruckend mit dem Auftauchen der ersten Omikron-Varianten beobachtet. Während es vor Omikron fast keine Durchbruchsinfektionen gab, schaute dies mit Omikron und seiner ausgeprägten Immunflucht ganz anders aus.

Durchbruchsinfektionen vor (links) und nach (rechts) dem Auftauchen von Omikron.

Ähnliches passierte auch mit der Variante JN.1, die sich beträchtlich von den früheren Varianten unterscheidet. Sie entkam der aufgebauten Immunität besonders gut. Dazu kam gerade bei den Vulnerabelsten der abnehmende Antikörperschutz. Die Herbstbooster mit dem upgedateten und - wie weiter oben besprochen - gut gegen JN.1 wirksamen XBB-Impfstoff wurden in Österreich dank Impfskepsis und völlig in den Sand gefahrenem Impfprogramm kaum verimpft (gerade einmal 600.000 Impfungen laut dem Impfdaten-Dashboard).

Eine neue Virusvariante, die wie JN.1 eine neue große Welle hervorrufen könnte, ist derzeit nicht in Sicht. Die erstmals in Südafrika identifizierte Variante BA.2.87.1 weist zwar ähnlich viele Mutationen auf, kommt aber seit Wochen nicht vom Fleck. Nirgends auf der Welt. Zumindest, sofern nicht weitere Mutationen dazukommen. Wahrscheinlich werden wir es eher wieder mit einer Variantensuppe zu tun haben.


Fazit

Die Evidenz für die Wirksamkeit der COVID-Impfungen ist überwältigend. Jüngere, gesunde Personen sollten nach dem Herbstbooster (oder einer Infektion) auch für die nächsten Monate einen ausreichenden Impfschutz haben, es sei denn es taucht wieder eine neue Virusvariante mit ausgeprägter Immunflucht auf.

Für ältere und immunkompromittierte Personen ist ein Frühlingsbooster frühestens vier, besser wohl sechs Monate nach der letzten Exposition wahrscheinlich sinnvoll und wird in dem USA von den CDC ausdrücklich allen ab 65 Jahren empfohlen. In Österreich gibt es dazu keine klare Empfehlung durch das NIG, in Deutschland empfiehlt die Stiko lediglich eine Auffrischung im Herbst und dies nur den Risikogruppen (u.a. allen über 60).