Was wir aus der JN.1-Welle lernen könnten, wenn wir dazu bereit wären

Ein Blick auf die abnehmende JN.1-Welle und auf die zunehmende Grippewelle. Außerdem: Die Wirksamkeit des Herbstboosters.

Was wir aus der JN.1-Welle lernen könnten, wenn wir dazu bereit wären
Quelle https://zeitferne.github.io/covidat-tools/export/monitoring.html#SARS-CoV-2-Abwassermonitoring

Vier Jahre nach dem Auftreten von SARS-CoV-2 erleben wir die (laut Abwasserdaten) bisher höchste Welle - mit all ihren Folgen für viele Erkrankte, auch wenn COVID-19 ist nicht mehr mit der Krankheit der ersten 2 Jahre vergleichbar ist. Wir sollten uns endlich darauf einstellen, dass COVID-19 bleiben wird.

Eric Topol schreibt in einem Artikel für die LA Times:

Im seinem fünften Jahr hat SARS-CoV-2 erneut bewiesen, dass es äußerst widerstandsfähig ist und sich immer wieder neu erfinden kann, um uns zu infizieren. Dennoch machen wir uns weiterhin vor, dass die Pandemie vorbei wäre, dass die Infektionen durch frühere Exposition(en) auf den Status einer gewöhnlichen Erkältung verwandelt worden wären und dass das Leben zur Normalität zurückgekehrt wäre. Leider ist nichts davon wahr.

Ein Blick auf die aktuelle Welle

Die gute Nachricht: Die Welle geht zurück, und zwar schneller und deutlicher als erwartet. Trotz Weihnachten, trotz Neujahrsfeiern mit zum Beispiel 700.000 in der Wiener Innenstadt feiernden Menschen.

In den Virussequenzierungen - sowohl aus den Stichproben von Nasenrachenabstrichen als auch aus dem Abwasser - zeigt sich eindruckvoll, wie die bis November 2023 bestehende Variantensuppe von Pirola und vor allem von JN.1 verdrängt wurde. Ob man die nun abflauende Welle wenigstens in der Rückschau als Welle bezeichnen darf, sollen die Experten entscheiden. JN.1 macht inzwischen jedenfalls knapp 90% aller SARS-CoV-2-Viren aus.

Quelle https://zeitferne.github.io/covidat-tools/export/monitoring.html#SARS-CoV-2-Abwassermonitoring

Entsprechend nimmt der Druck auf uns in den Spitälern durch COVID-19 endlich wieder ab. Dafür steigt die Zahl der Influenza-Fälle steil an. Das spüren wir auch bei den Hospitalisierungen. Bei uns in den Spitälern gibt es also weiterhin keine Entspannung.

Mal schauen wie sich die die weitere Dynamik bei der Gesamtzahl der grippalen Infekte inkl. Influenza entwickelt. In Wien haben wir seit Wochen rund 20.000 wöchentlichen Neuerkrankungen.

Quelle https://www.wien.gv.at/gesundheit/einrichtungen/grippemeldedienst/

Warum war die JN.1-Welle so hoch?

Einerseits natürlich, weil es keinerlei Maßnahmen mehr gibt. Auch keine freiwilligen. Die Zahl der FFP2-Masken in den übervollen Wiener U-Bahnen zeigt, wie weit das mit Eigenverantwortung und erst recht mit der Verantwortung für die sogenannten Vulnerablen her ist. Schutz für die Vulnerablen war von vornherein Propaganda, um die Ablehnung von Schutzmaßnahmen selbst zu Zeiten der zusammenbrechenden Gesundheitsversorgung zu rechtfertigen. Kaum konnten die Spitäler zu einem annähernden Normalbetrieb zurückkehren, kaum konnte die Pensionisten- und Pflegeheime mit dem Wiederauffüllen der vielen freigewordenen Plätze beginnen, hörte man auch vom Schutz der Vulnerablen nichts mehr.

Die Stadt Wien konnte sich in der jetzigen Welle zu keiner Maskenpflicht in den Spitälern mehr durchringen. Man empfahl das Tragen von FFP2-Masken beim Patientenkontakt und wir erhielten Plakate, auf denen die Besucherinnen und Besucher zum Tragen der Masken gebeten wurden. Auf meiner Station trugen und tragen die meisten vom Personal eine Maske, aber wir sind eher eine Ausnahme im Spital. Masken beim Besuch blieben eine absolute Ausnahme. Irgendwann gibt man es auf, darum zu bitten. Es gab mehrere Ansteckungen im Spital und auch Todesfälle. Auch auf meiner Station.

Ungeschützte Vulnerable eben.

Andererseits war die Welle und insbesondere die Zahl der schweren Verläufe hoch, weil die die Impfkampagne für den Herbstbooster bei uns nie richtig ins Rollen kam.

Laut dem österreichischen Impfdaten-Dashboard haben seit dem 1.9.2023 bis heute (21.01.2024) von den über 80-Jährigen 127.622 eine Impfung gegen COVID-19 bekommen, bei den 70-79-Jährigen waren es 150.859, bei den 60-69-Jährigen 152.635. Laut Statistik Austria lebten am 1.1.2023 in Österreich 1.780.703 Personen ab 65 Jahren. Überschlagsmäßig gerechnet erhielten somit rund 20% der über 65-Jährigen den XBB-Herbstbooster.

Gerade einmal ein Fünftel der vulnerabelsten Altersgruppe. In anderen Ländern wie UK, Niederlande oder den skandinavischen Ländern sind es dagegen von 50 bis 80% in dieser Altersgruppe. Und bei der Influenza schaut es auch nicht besser aus. (Außer bei den Kindern, denen in Österreich - im Gegensatz zu Deutschland - die Grippeimpfung empfohlen wird. Trotz Empfehlung kommen aber auch wir bei den Kleinsten nur auf 10%. Aber das ist ein anderes Thema.)

Quelle: Robert Zangerle in der Falter-Seuchenkolumne vom 23.12.2023

Auch in den Pensionisten- und Pflegeheimen, wo die Menschen mit dem höchsten Risiko für einen schweren COVID-Verlauf und für Komplikationen leben, gibt es kaum Impfprogramme, wie anhand der vielen von dort zu uns ins Spital gekommenen Kranken sehen können. Möglicherweise auch aus Selbstschutz, weil die Anfeindungen der dort impfenden Ärztinnen und Ärzte durch coronaleugnende Angehörige in der letzten Impfkampagne zu viele Spuren hinterlassen hat.

Was bringen die upgedateten Herbstbooster?

Dass sie was bringen, zeigt eine dänische Studie bei über 65-Jährigen ("Short-term effectiveness of the XBB.1.5 updated COVID-19 vaccine against hospitalisation in Denmark: a national cohort study"). 440.000 Personen, die den XBB-Herbstbooster erhalten hatten, wurden mit knapp doppelt so vielen Personen verglichen, die alle empfohlenen Impfungen bis Herbst 2022, aber nicht den aktuellen Herbstbooster erhalten hatten. Die Upgedateten hatten in den Wochen nach der Impfungen ein 76% geringeres Risiko, wegen COVID-19 im Spital zu landen.

In einer niederländische Studie wurde der umgekehrte Weg gewählt ("Early COVID-19 vaccine effectiveness of XBB.1.5 vaccine against hospitalisation and admission to intensive care, the Netherlands, 9 October to 5 December 2023"). Bei wegen COVID-19 hospitalisierten Personen wurden geschaut, ob sie den Herbstbooster erhalten hatten. Bei einer Impfrate von rund 50% bei den über 60-Jährigen machten die Upgedateten nur 14,4% der 2050 hospitalisierten Personen aus. Daraus errechneten sie eine Impfwirksamkeit von 70,7% gegen Hospitalisierung.

Diese beiden Studien bringen somit ein vergleichbares Ergebnis wie eine in einem früheren Blogartikel kurz vorgestellte, bisher erst als Preprint erschienene Studie aus den USA, laut der der upgedatete Booster ein um rund 60% geringeres Risiko brachte, wegen COVID-19 eine ärztliche Kontrolle im niedergelassenen Bereich oder in einer Notfallaufnahme zu haben bzw. stationär aufgenommen zu werden (alle Altersgruppen ab 18, unabhängig von früheren Impfungen).

Dazu kommt noch die Risikoreduktion für die Spätfolgen, von Long Covid angefangen.


Fazit

Egal, ob ihr es Pandemie, Epidemie oder Endemie nennen wollt - COVID-19 wird nicht so schnell verschwinden, vermutlich nie. JN.1 hat das eindrücklich bewiesen. Es sei denn wir kriegen irgendwann eine Impfung, die anhaltend vor einer Ansteckung schützt. UND die von der Bevölkerung auch angenommen wird. Bis dahin bleiben uns Maßnahmen für eine bessere Luft und die schon verfügbaren Impfungen. Aber dabei sind wir ja auch nicht besonders gut.