COVID-19, strukturelle Schäden des Gehirns und die kognitiven Fähigkeiten
Darüber, wie SARS-CoV-2 das Gehirn schädigen kann und wie sich die kognitive Leistung verschlechtern kann, erschienen 2025 bisher eine Reihe von Fachartikeln. Eine Übersicht.

- COVID-19 kann unter anderem zu beschleunigter Hirnalterung, zu einem veränderten Stoffwechsel verschiedener Hirnregionen und zu einer Abnahme der neuronalen Komplexität führen.
- Ein Verlust der kognitiven Fähigkeiten ist bei Menschen mit Long Covid nachweisbar, aber auch junge, gesunde Personen schneiden nach COVID-19 bei kognitiven Tests oft schlechter ab als nicht-infizierte Kontrollgruppen.
- Über die Auswirkungen auf das Gehirn von Kindern wissen wir noch wenig. Eine Studie bei Vorschulkindern fand strukturelle Veränderungen nach mildem COVID-19.
- Eine andere Studie fand nach COVID-19 am Ende einer Schwangerschaft Hinweise auf eine verzögerte Entwicklung der Babys.
In den letzten Monaten ist eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Artikeln erschienen, die sich mit den mittel- und langfristigen Auswirkungen von SARS-CoV-2 auf das Nervensystem, insbesondere das Gehirn, befassen. Die ganz große Neuigkeit ist zwar nicht dabei, aber die Studien festigen und bestärken die Erkenntnis, dass es zu strukturellen Veränderungen im Gehirn kommen kann. Zudem kann sich das Risiko für eine neu auftretende Demenzerkrankung erhöhen bzw. eine bereits bestehende Demenz kann sich verschlechtern. Auch andere neurologische Erkrankungen können vermehrt auftreten. Davon können nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder und Jugendliche betroffen sein.
Grund genug für eine Übersicht im Schnelldurchlauf.
Struktuelle Änderungen des Gehirns
Zu diesem Thema wurden 2025 gleich mehrere interessante Fachartikel publiziert.
Vor wenigen Tagen erschien im Nature-Verlag eine britische Studie, die doch für etwas Aufsehen sorgte.

Ein KI-Modell lernte anhand von Magnetresonanzuntersuchungen (MRI) der Gehirne von über 15.000 Personen, das Alter zu kalkulieren. Dann wurde die KI mit MRI-Daten von knapp 1000 gesunden Personen ab 45 Jahren gefüttert, die jeweils zwei MRI-Untersuchungen in einem Abstand von mindestens zwei Jahren erhalten hatten. Das Ergebnis: Bei den Personen mit einer MRI-Untersuchung vor und einer während der Pandemie verlief der Alterungsprozess um satte 5,5 Monate rascher als erwartet. Und zwar auch bei den Menschen, die gar nicht an COVID-19 erkrankt gewesen waren. Bevor die Maßnahmengegner das aufpicken, sollten sie den zweiten Teil der Studie lesen. Eine Untersuchung der kognitiven Performance zeigte nur bei den Infizierten eine Verschlechterung.
Die Autor:innen schließen daraus, dass der chronische Stress - von der freiwilligen sozialen Isolation und die Lockdowns über ökonomische Unsicherheiten bis zur Angst vor der Infektion und den Stress durch den Verlust von Angehörigen und Freunden - sichtbare Spuren im Gehirn hinterlassen hat, wobei unklar ist, ob und wie sehr diese Veränderungen reversibel sind, und ob diese Veränderungen sich über einen längeren Zeitraum auch klinisch auswirken. COVID-19 hingegen kann offenbar zu über diesen Alterungsprozess hinausgehenden Hirnschäden führen, und diese haben unmittelbare klinische Konseuquenzen.
Anfang Juli erschien in einem Journal des Nature-Verlags der Artikel einer Forschungsgruppe aus Triest. Sie führten bei Personen, die nach COVID-19 eine Verschlechterung ihrer kognitiven Fähigkeiten verspürten, eine FDG-PET-Untersuchung sowie ein EEG durch. Das FDG-PET ist eine nuklearmedizinische Untersuchung des Stoffwechsels von Gehirnregionen. Ein verminderter Stoffwechsel kann beispielsweise ein Hinweis auf eine Demenzerkrankung sein.

Im Vergleich zu gesunden Probanden wiesen die Personen mit einer COVID-bedingten kognitiven Verschlechterung im FDG-PET einen signifikant reduzierten Stoffwechsel in mehreren Gehirnregionen auf. Im EEG fand sich vor allem in den vorderen Hirnregionen eine Verlangsamung der Hirnströme.
In einer erst vor wenigen Tagen publizierten Studie aus Wuhan erfolgten bei Personen ohne neurologische Vorerkrankungen, die sich in der allerersten COVID-Welle Ende 2019 / Anfang 2020 angesteckt hatten, rund ein Jahr nach der Erkrankung Magnetresonanzuntersuchungen des Gehirns, die über die Routinetechnik hinausgehen, um etwaige Schäden der Mikrostruktur festzustellen.

Im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe wiesen sie Veränderungen auf, die auf eine verminderte Komplexität der weißen Hirnsubstanz hindeuten. In einer konventionellen MRT-Untersuchung können diese Veränderungen nicht gesehen werden.
Eine brasilianische Studiengruppe untersuchte in vitro (also anhand von Zellkulturen) die Folgen einer Infektion mit SARS-CoV-2 auf die Endothelzellen der kleinen Blutgefäße des Gehirns. Das Endothel ist die innerste Zellschicht der Blutgefäße und ist an zahlreichen Immun-, Gerinnungs- und Stoffwechselprozessen aktiv beteiligt. Im Falle der Hirngefäße ist es ein wichtiger Teil der Blut-Hirn-Schranke, die das Gehirn vor Erregern und Giftstoffen schützen soll. ("SARS-Cov-2 Replication in a Blood–Brain Barrier Model Established with Human Brain Microvascular Endothelial Cells Induces Permeability and Disables ACE2-Dependent Regulation of Bradykinin B1 Receptor").
SARS-CoV-2 führte nicht nur zur Ausschüttung von Botenstoffen des Immunsystems, die an Entzündungsreaktionen beteiligt sind, sondern führte auch zu Störungen der ACE2-Rezeptoren, wodurch ein Schutzmechanismus der Blut-Hirn-Schranke gestört ist.
Eine Arbeitsgruppe aus Dresden publizierten einen Übersichtartikel über Hirnveränderungen, die bei Menschen mit einem Geruchsverlust nach COVID-19 gefunden wurden. ("Mapping the Olfactory Brain: A Systematic Review of Structural and Functional Magnetic Resonance Imaging Changes Following COVID-19 Smell Loss")
Der Riechnerv ist entwicklungsgeschichtlich eigentlich kein Nerv, sondern ein Teil des Gehirns. Da kommt es wohl nicht überraschend, dass Personen mit einem COVID-bedingten Verlust des Geruchssinns eine Reihe von strukturellen Veränderungen des Gehirns aufweisen. Die Autoren:innen belegen dies anhand einer Reihe von Untersuchungen mit unterschiedlicher Methodik.
Schließlich möchte ich noch auf zwei Übersichtartikel verweisen.
Anfang des Jahres erschien ein Artikel einer ungarischen Forschungsgruppe. Anhand einer Vielzahl an Belegen fassen sie die Kenntnisse zu neuropathologischen Prozessen zusammen, die mit einem Teil der Symptome von Long-Covid-Kranken verbunden sind, wobei sie sich vor allem die Schäden der mikroskopischen Blutgefäße des Gehirns und der Blut-Hirn-Schranke anschauten.
Im Juni erschien ein Übersichtsartikel einer Gruppe um Akiko Iwasaki zur Neuroimmunologie von Long Covid ("Neuroimmune pathophysiology of long COVID"). In erster Linie anhand von Autopsiestudien, Tiermodellen und in vitro-Studien schaffen sie das Bild der komplexen neuroimmunologischen Vorgänge, die zur Genese der neurologischen Manifestationen einer SARS-CoV-2-Infektion und von Long Covid führen. Diese basiswissenschaftlichen Erkenntnisse setzen sie in einen größeren klinischen Zusammenhang als Ausgangspunkt für zukünftige Therapieansätze.

Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten
Veränderungen in der Bildgebung, mögliche Pathomechanismen in Zellkulturen, Störungen der Blut-Hirn-Schranke - das ist ja alles ganz interessant, hilft vielleicht ein bisschen, dass die Beschwerden ernst genommen werden, und kann eventuell sogar zur besseren Diagnostik und Therapie beitragen. Die meisten von uns interessiert aber mehr das klinische Bild, also wie es den Betroffenen geht, was für gesundheitliche Probleme auftreten können. Darum geht es in der Folge.
In einer im Juni 2025 publizierten Studie berichten zwei Wissenschaftler:innen aus Heidelberg über die Ergebnisse verschiedener kognitiver Tests bei insgesamt 1400 Testpersonen mit oder ohne vorherige COVID-Erkrankung - unabhängig von etwaigen Symptomen von Long Covid.

COVID-19 führt zu einer schlechteren Performance in einer Reihe dieser Tests. Die beiden Autor:innen interpretieren die Ergebnisse als Hinweis für eine verminderte Neurogenese in der Hirnregion des Hippocampus, der eine wichtige Rolle beim Gedächtnis und kognitiven Fähigkeit hat. Frühere Studien haben schon gezeigt, dass der Hippocampus als Folge von COVID-19 geschädigt sein kann. Die Autor:innen fassen zusammen:
"Angesichts der anhaltenden COVID-19-Pandemie liefert unsere Studie zeitnahe Erkenntnisse über die kognitiven Folgen des Virus und liefert wichtige Informationen sowohl für die klinische Praxis als auch für zukünftige Forschungsrichtungen. Das Verständnis des gesamten Spektrums der Auswirkungen von COVID-19 ist entscheidend für die Entwicklung wirksamer Interventionen und Unterstützungssysteme für betroffene Personen. Unsere Studie unterstreicht auch ein kritisches Thema der öffentlichen Gesundheit, indem sie zeigt, dass selbst leichte oder asymptomatische COVID-19-Fälle anhaltende kognitive Auswirkungen haben können."
Eine britische Arbeitsgruppe untersuchte die Gedächtnisleistung bei Personen nach COVID-19 ("Changes in memory function in adults following SARS-CoV-2 infection: Findings from the Covid and Cognition online study"). Im Vergleich zu einer nicht-infizierten Kontrollgruppe schnitten sie bei zwei verschiedenen Tests des Langzeitgedächtnisses sowie bei einem Test des Wortgedächtnisses signifikant schlechter ab.
"Angesichts der Neuheit von Long Covid und der damit verbundenen Forschung basierten einige Vorhersagen in der aktuellen Studie auf möglichen Ähnlichkeiten mit anderen gut dokumentierten Erkrankungen (wie Demenz). Wir glauben, dass unsere Studie zusammen mit anderen Studien wichtige Erkenntnisse über die kognitiven Merkmale dieser Erkrankung liefert und zukünftige Forschungen unterstützen kann, indem sie es Forschern ermöglicht, spezifischere Vorhersagen in diesem Bereich zu entwickeln und zu testen."
In einer ungarischen Studie wurde die kognitive Leistung bei Uni-Studierenden mit Long Covid zwei Jahre nach einer COVID-19-Erkrankung untersucht ("Cognitive Slowing, Dysfunction in Verbal Working Memory, Divided Attention and Response Inhibition in Post COVID-19 Condition in Young Adults").
Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne COVID-19 und zu einer Gruppe mit COVID-19 ohne Langzeitsymptome wiesen die Studierenden mit Long-Covid-Symptomen signifikante und anhaltende kognitive Funktionsstörungen auf. Das verbale Arbeitsgedächtnis war deutlich beeinträchtigt, und es wurde eine geringere Leistungsfähigkeit bei geteilter Aufmerksamkeit und Reaktionshemmung festgestellt. Darüber hinaus kam es bei den meisten kognitiven Aufgaben zu einer Verlängerung der Reaktionszeit als Zeichen einer kognitiven Verlangsamung bei jungen Menschen mit Long Covid hindeutet.
"Die vorliegende Studie hat gezeigt, dass bei jungen Erwachsenen, insbesondere bei Studierenden ohne weitere Begleiterkrankungen, zwei Jahre nach einer COVID-19-Infektion erhebliche und lang anhaltende kognitive Beeinträchtigungen auftreten können."
Eine iranische Studie untersuchte die kognitiven Leistungen nach "mildem" COVID-19 bei "jungen" Erwachsenen (18 bis 50 Jahre, im Durchschnitt knapp über 30).
Auch in dieser Studie schnitten die Probanden nach COVID-19 schlechter als die Kontrollgruppe ohne COVID-19 ab, insbesondere hinsichtlich der Verarbeitungsgeschwindigkeit und der Daueraufmerksamkeit.
"Die vorliegende Studie hat gezeigt, dass bei Personen, die sich von COVID-19 erholt haben, die kognitiven Leistungen beeinträchtigt sind. Verschiedene kognitive Tests ergaben eine verminderte Verarbeitungsgeschwindigkeit und eine verminderte Daueraufmerksamkeit bei Patienten mit leichtem COVID-19-Verlauf."
Schließlich bin ich noch auf eine Studie aus Neuseeland gestoßen, die die kognitive Leistung bei Bachelor-Studierenden untersuchte ("COVID-19 may Enduringly Impact Cognitive Performance and Brain Haemodynamics in Undergraduate Students"). Auch hier wurde eine anhaltende Verschlechterung, vor allem der exekutiven Funktionen wie Planung und Handlungssteuerung gefunden. Während der Performance-Tests wurde die Durchblutung der für diese Funktionen wichtigen präfrontalen Hirnregion überwacht. Sie war nach COVID-19 schlechter als bei der Kontrollgruppe.
"Diese neuen Erkenntnisse könnten sich als wichtig erweisen, wenn wir Maßnahmen entwickeln, um auf die zunehmenden Hinweise auf langfristige Auswirkungen von COVID-19 auf die Gesundheit des Gehirns zu reagieren. Abschließend fordern wir Wissenschaftler dazu auf, dringend auf die rapide zunehmende Verbreitung von Long-COVID-Symptomen im Zusammenhang mit dem Gehirn zu reagieren."
COVID-19 kann nicht nur zu neuen Schädigungen des Gehirns führen, auch schon bestehende Krankheiten können durch die Infektion beeinflusst werden. Eine Forschungsgruppe aus Nigeria beschäftigte sich mit den Auswirkungen auf eine bereits vorbestehener Demenz oder Parkinson-Krankheit ("Long-term Neurological Consequences of COVID-19 in Patients With Pre-existing Alzheimer’s and Parkinson’s Disease: A Comprehensive Review"). In ihrem Übersichtsartikel fassen sie die Pathomechanismen zusammen, mit denen COVID-19 zu neurodegenerativen Erkrankungen beiträgt, und liefern sie einen Überblick über die etablierte Evidenz, dass die Infektion tatsächlich zu einer signifikanten Verschlechterung der Symptome führt. Sie schlussfolgern:
"Die COVID-19-Pandemie hat die komplizierten Zusammenhänge zwischen systemischer Gesundheit, Infektionskrankheiten und neurodegenerativen Prozessen deutlich gemacht."
Kinder
Während es bei Erwachsenen eine ganze Reihe an Studien zu COVID-bedingten Änderungen des Gehirns gibt, schaut die Datenlage bei Kindern noch recht mager aus. Im April erschien eine chinesische Studie, in der bei 19 zuvor gesunden Kindern im Vorschulalter ca. einen Monat nach einer milden Infektion Magnetresonanzuntersuchungen des Gehirns durchgeführt wurden.

Im Vergleich zu den Untersuchungsergebnissen bei einer Kontrollgruppe ohne COVID-19 fanden sie Hinweise für strukturelle Veränderungen des in der Entwicklung noch nicht abgeschlossenen Gehirns der kleinen Kinder. Auffallend ist dabei, dass eine Verdickung der Hirnrinde beobachtet wurde, während bei Erwachsenen die Substanz der Hirnrinde durch COVID-19 eher abnimmt. Ob die Veränderungen bei den Kindern ebenfalls zu Schäden und längerfristigen klinischen Folgen führen oder eher ein Ausdruck eines Reparaturmechanismus sind, lässt sich anhand dieser Studie nicht sagen. Tatsache ist, dass die Infektion selbst nach milden Infektionen bei Kindern zu Veränderungen des Gehirns führen kann. Keine tolle Vorstellung.
Leider habe ich keinen Zugriff auf den kompletten Text dieser brasilianischen Studie, die die Auswirkungen einer COVID-19-Infektion bei Schwangeren am Ende einer Schwangerschaft auf die Entwicklung des Babys hat.

Im Abstract erfahren wir, dass 6 Monate nach der Geburt 33,3 % der Säuglinge eine verzögerte kognitive Entwicklung aufwiesen, bei 20 % verzögerte sich die Entwicklung des Kommunikationsvermögens und bei 40 % die motorische Entwicklung. Nach 24 Monaten war der Anteil auf 35,71 %, 64,29 % bzw. 57,14 % angestiegen. Die verzögerte Entwicklung korrelierte mit höheren Werten bestimmter immunologischer Marker im Blut, das unmittelbar nach der Geburt aus dem Nabelschnurblut gewonnen worden war.
Die Studien im Kontext
Wie eingangs erwähnt, ist es nicht so, dass eine dieser Studien grundlegend neue Kenntnisse über die potenziellen Schäden von COVID-19 für das Gehirn liefern. Aber sie erweitern und verfestigen unser Wissen darüber. Selbst nach einem milden Verlauf der Infektion kann es zu klinisch relevanten Veränderungen insbesondere der kognitiven Leistung kommen. Vieles davon fällt in das Spektrum von Long Covid, aber manche Veränderungen sind so mild, dass sie den Betroffenen selbst gar nicht auffallen, aber in speziellen Tests doch sichtbar werden.
Manche dieser Veränderungen mögen reversibel sein, aber vermutlich lange nicht nicht alle. Und bei einer Infektion alle ein bis zwei Jahre ist eine potenzielle Reversibilität sowieso wohl mehr eine theoretische Überlegung.
Zum Abschluss gibt es eine Überblick über weitere Artikel zum Thema in diesem Blog:




