COVID-19 und was es mit dem Gehirn macht

Zwei neue Studie weisen kognitive Defizite bei von Long Covid Betroffenen nach und kommen den Ursachen des Brain Fog näher.

COVID-19 und was es mit dem Gehirn macht
Long Covid (=PCC) und die kognitive Leistung

Die potentiellen Folgen einer COVID-19-Erkrankung für das Gehirn gehören für mich zu den besonders besorgniserregenden Aspekten der Infektion. Anders als häufig behauptet, ist SARS-CoV-2 eben nicht einfach ein Erkältungsvirus, es ist ein Virus, das fast alle Organe des Körpers beeinflussen und schädigen kann, auch das Gehirn. Siehe zum Beispiel "Verschmelzende Zellen und andere Dinge, die COVID-19 im Gehirn anstellen kann".

SARS-CoV-2 ist ein neuroinvasives Virus, d.h. ein Virus. das in das zentrale Nervensystem eindringen kann. Ob es auch die Nervenzellen des Gehirns infizieren kann, ist nicht 100%ig nachgewiesen. Eine erst vor wenigen Tagen im Nature-Verlag erschienene Studie einer Forschungsgruppe der Charité fand dafür keinen Hinweis, sehr wohl aber für lokale Immunreaktionen, die neurologische Symptome erklären könnten. Der Artikel selbst ist hinter einer Bezahlschranke, aber hier findet sich eine Zusammenfassung inkl. weiteren Erläuterungen der Studienleiterin Helena Radbruch.


Neurologische Folgekrankheiten

Ob es sich um begleitende Immunphänomene handelt oder doch auch um eine direkte Infektion von (manchen) Nervenzellen - unbestritten ist, dass Krankheiten aus dem neurologischen Formenkreis zu den häufigsten Folgeerkrankungen gehören (siehe z.B. "Mitten in der neuesten Welle: Ein Blick auf die Langzeitfolgen von COVID-19".) COVID-19 kann die sprachlichen Fähigkeiten beeinflussen ("'Dings' - Long Covid, Brain Fog und Sprache") und es gibt Hinweise, dass es zu einer Zunahme von neurodegenerativen Erkrankungen führen kann, insbesondere der Parkinson-Krankheit ("Wird die Pandemie zu einer Zunahme von Parkinson-Erkrankungen führen?").

Das alles ist nicht neu. Bereits 2021 beschrieb eine britische Arbeitsgruppe die Häufigkeit des Auftretens von neurologischen Folgekrankheiten bei fast 250.000 Personen 6 Monate nach COVID-19 im Vergleich zu Personen mit anderen respiratorischen Infekten ("6-month neurological and psychiatric outcomes in 236 379 survivors of COVID-19: a retrospective cohort study using electronic health records"). COVID-19 führte zu einem fast eineinhalbmal höheren Risiko für alle neurologische Erkrankungen zusammen, das Risiko für Demenz war fast verdoppelt.

Rot: Personen nach COVID-19, blau: Personen ohne COVID-19. Obere Reihe: Hirnblutung, Schlaganfall, Störungen der peripheren Nerven. Untere Reihe: neuromuskuläre Erkrankungen, Demenz, Stimmungs- bzw. Angststörungen und Psychosen.

Weitere Studien erweiterten das Wissen, im Wesentlichen wurden aber die ursprünglichen Ergebnisse bestätigt.


Long Covid verlangsamt das Denken

Die bisherigen Studien beschränkten sich großteils auf das Durchforsten großer Datenbanken oder Onlineerhebungen. In einer vor wenigen Wochen im Lancet-Verlag erschienenen britisch-deutschen Studie wurde ein anderer Weg gewählt: 270 Personen mit der Diagnose Long Covid absolvierten in Jena oder in Oxford Tests zur Bestimmung der kognitiven Performance, die Ergebnisse wurden mit denen von zwei Kontrollgruppen verglichen: Personen, die nach COVID-19 kein Long Covid entwickelten, und Personen, die sich nicht infiziert hatten ("Long COVID is associated with severe cognitive slowing: a multicentre cross-sectional study").

Bei einem einfachen Test der Reaktionszeit mussten die Probanden auf die Leertaste drücken, sobald am Bildschirm ein großer roter Kreis erschien.

(A) Der Kreis erschien 16x im zufälligen Abstand von 0,5 bis 2 Sekunden. (B) Mittlere Reaktionszeit (RT). NoCOVID: nicht infiziert, NoPCC: infiziert aber kein Long COVID, PCC: Long Covid, PCC Ox: Oxford-Gruppe von Long Covid. (C) Altersgerechte Anpassung der Reaktionszeit anhand der No-COVID-Kontrollen derselben Altersgruppe. (D) Durchschnittliche Reaktionszeiten bei den 16 Einzeltests (E) Wiederholung des Reaktionstests nach 15 Minuten (F) Auf individueller Ebene hatten die meisten No-COVID- und No-PCC-Kontrollen eine normale Geschwindigkeit (<1 SD), während die meisten PCC-Patienten erhebliche Beeinträchtigungen aufwiesen.

Personen mit Long Covid hatten im Durchschnitt eine signifikant schlechtere Reaktionszeit als die beiden anderen Gruppen. Auf individueller Ebene hatten fast 2/3 eine reduzierte, mehr als die Hälfte sogar eine stark reduzierte Reaktionszeit. Personen, die nach COVID-19 keine Diagnose von Long Covid erhalten hatten, hatten im Vergleich zu den Nicht-Infizierten tendenziell ebenfalls eine etwas schlechtere Reaktionszeit, der Unterschied war aber nicht statistisch signifikant.

In einem weiteren Test hatten die Probanden mit Long Covid auch eine schlechtere Aufmerksamkeit. Und wichtig: Komorbiditäten wie Müdigkeit, Depression, Angstzustände, Schlafstörungen oder posttraumatische Belastungsstörung korrelierten nicht direkt mit der kognitiven Einschränkung. Diese war eine unabhängig aufgetretene Folge der Infektion und nicht etwa die Folge fehlender Erholung durch die häufig im Rahmen von Long Covid auftretenden Schlafstörungen. Und: Die kognitive Einschränkung besserte sich mit der Zeit nicht. Im Gegenteil.

In Personen ohne Long COVID (No-PCC) wurden die Testergebnisse im Zeitverlauf tendenziell besser, in Personen mit Long COVID (PCC) signifikant schlechter.

Schweres COVID-19 verlangsamt das Denken

Ebenfalls vor wenigen Wochen erschien das Preprint einer britischen Studie, in der 351 wegen COVID-19 stationär behandelten Personen (also mit einem schwereren Verlauf der Infektion) ein Jahr lang neurologisch beobachtet wurden ("Post-COVID cognitive deficits at one year are global and associated with elevated brain injury markers and grey matter volume reduction: national prospective study"). Hier ging es also nicht um Long Covid per se, sondern um die Folgen eines schweren = spitalspflichtigen Verlaufs von COVID-19.

Im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne COVID-19 zeigten sich im Blut erhöhte Marker einer Schädigung von Hirngewebe, ein verringertes Volumen der grauen Substanz und ein kognitives Defizit. Und zwar nicht nur die Personen mit diagnostizierten neurologischen Folgeerscheinungen, sondern auch bei jenen, die nach ihrem Spitalsaufenthalt offiziell keine neurologische Diagnose erhalten hatten. Laut den Autoren entsprach die kognitive Leistung bei den im Durchschnitt etwas über 50-Jährigen Personen der von 70-Jährigen.

Aufgrund hier gefundenen labordiagnostischen Marker vermuten die Autoren eine in erster Linie immun-mediierte Schädigung von Hirngewebe.

In diesem Medscape-Artikel werden die Ergebnisse der Studie zusammengefasst und in einem größeren Zusammenhang gesetzt:

New Evidence Suggests Long COVID Could Be a Brain Injury
Long-COVID sufferers of brain fog and memory loss exhibit elevated biomarkers consistent with brain injury.

Fazit

Zwei sehr unterschiedliche Studien mit einem vergleichbaren Ergebnis: Sowohl bei Personen mit einer Long Covid-Diagnose als auch bei Personen nach einem schweren akuten Verlauf der Infektion tritt gehäuft ein kognitives Defizit auf, das nicht nur eine Einbildung der Betroffenen ist, sondern in standardisierten Tests objektiviert werden kann.

Ausgelöst werden dürften diese Veränderungen in erster Linie durch Immunreaktionen im Gehirn. Eine mögliche Hypothese wäre, dass diese Immunreaktionen durch den ganzen Körper betreffende Prozesse (bei schwerem Verlauf von COVID-19) und/oder durch persistierende Immunreaktionen (bei Long Covid) getriggert werden.